Die lieben Nachbarn

Es gibt da ein schönes Sprichwort: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Mit meinen jetzigen Nachbarn habe ich insoweit Glück gehabt, als die meisten freundlich sind – ich bin es ja auch zu ihnen. Mein direkter Nachbar ist zwar manchmal etwas schräg, und wir haben einen – wahrscheinlich selbsternannten – „Hausvorsteher“, was ich erst etwas nervend fand, aber inzwischen ist es völlig okay, und mit dem „Hausvorsteher“ unterhalte ich mich ab und an ganz nett, drücke immer die Daumen, wenn Schalke spielt. Er war auch so freundlich, sich um mein Fahrrad zu kümmern, das ich erst mit in den Urlaub nehmen wollte, dann aber feststellen musste, dass wir beide nicht kompatibel waren, und mir lieber ein neues Fahrrad zulegte.

Also hier keine Klagen. 🙂 Davor jedoch hatte ich öfter mit ganz charmanten „Exemplaren“ von Nachbarn zu tun. Dabei war ich immer freundlich gewesen, hatte getan, was jeder Mieter tun musste – Hausordnung, Mülltonnen nach draußen bringen, wenn ich an der Reihe war, was ja alles auch ganz selbstverständlich ist.

In meiner ersten Aachener Wohnung war eigentlich alles okay mit den Nachbarn, in der zweiten auch. Als ich erneut umzog, weil Wohnung Numero 2 nur aus einem Zimmer bestand und das Bad nebst Toilette auf dem Flur war und ich es mir obendrein mit dem direkten Nachbarn teilen musste, geriet ich jedoch in ein Haus, in dem ein sehr, sehr strenges Regiment herrschte, und dies in Gestalt zweier Damen. Mit der einen verstand ich mich allerdings im Laufe der Zeit gar nicht einmal so schlecht, sie war immer freundlich zu mir, obwohl ich schreckliche Geschichten über sie gehört hatte; zum Beispiel beschwere sie sich dauernd, dass der unter ihr wohnende Nachbar nachts zu laut pinkelte. Hmmm …

Die echte Herrscherin dieses Hauses jedoch war Frau Stelzmann, die im Hochparterre wohnte. Sie war diejenige, die am längsten in diesem Haus lebte, und da war es für sie ganz klar, dass sie auch das Sagen hatte und die Regeln festlegte. Eine echte selbsternannte Hausmeisterin, die allen Mietern auf den Senkel ging, aber keiner sagte etwas.

Ich war die Jüngste im Haus und wohnte in der Dachgeschosswohnung im vierten Stock. Meiner Wohnungstür gegenüber der Dachboden – ich hatte den vierten Stock für mich allein. Unter mir wohnte Frau B., und ich hoffe, sie störte sich nicht daran, wenn ich nachts zur Toilette musste … 😉 Zumindest hat sie nie etwas gesagt.

Stand die Kellerreinigung an, bekam der entsprechende Mieter von Frau Stelzmann höchstselbst eine Karte an die Tür gehängt. Nur ich nicht, denn sie vertrat die Meinung, dass junge Leute diese hochwichtige Karte ja ohnehin nicht wieder herausrücken würden. Vielleicht würden sie sogar Joints daraus basteln – wer wusste das schon? 😉 Junge Leute waren Frau Stelzmann ein Dorn im Auge, und so warf sie mir immer einen Zettel in den Briefkasten: „Fräulein B.! Sie sind in der kommenden Woche mit dem Keller dran!“ Mit Ausrufezeichen, denn junge Leute verstehen die Dringlichkeit der Aufgabe sonst gar nicht und brauchen eine harte Hand … 😉 Und sie nannte mich stets „Fräulein B.“, und das in einer Zeit, da diese Anrede auch für unverheiratete Frauen lange völlig veraltet und überholt war. Allerdings sagte sie nicht „Fräulein“, sondern „Frollein“ – aber das machte die Sache keineswegs besser.

Ich putzte stets samstags den Keller, aber das passte Frau Stelzmann nicht. Es hätte ihr in meinem Falle jedoch auch nicht gepasst, hätte ich an jedem anderen Wochentag geputzt. Bei jungen Leuten war Frau Stelzmann stets in Opposition. Ich hätte sämtliche Winkel des Kellers so akribisch mit einer Zahnbürste reinigen können, dass man vom Boden hätte essen können – es wäre nicht gut genug gewesen.

Und ich putzte sehr gründlich, da ich keine Lust auf Konfrontationen mit der Dame hatte. Dennoch: Auch das reichte nicht, denn eines Tages, als ich gerade mit meinem Putzeimer, Aufnehmer und Schrubber in der linken Hand vor der Kellertür stand, die ich mit der rechten aufschloss, entdeckte ich auf der Kellertreppe senkrechte Kreidestriche. Total subtile Methode von Frau Stelzmann, mich zu überführen, da sie stets annahm, ich putzte nicht, obwohl sie mich mehrfach „ganz zufällig“ im Keller überrascht hatte, wenn ich dort den Feudel schwang.

Im ersten Moment ärgerte ich mich, denn ich hasse ungerechtfertigte Unterstellungen. Dann aber grinste ich und ging noch einmal in meine Wohnung hinauf. Kreide hatte ich auch. Und damit malte ich nach dem Putzen des Kellers ebenfalls Striche auf jede Treppenstufe – nur waagerecht, damit ein Unterschied zu sehen war. Denn Frau Stelzmann war nach mir mit Putzen dran. Danach gab es nie wieder Kreidestriche …

Einmal hielt sie mich sogar auf der Straße am Ärmel fest, als sie mich in der Robensstraße traf, um mich an den zu putzenden Keller zu erinnern. Das war an einem Montag, und ich hatte gerade den obligatorischen Zettel im Briefkasten gefunden, also noch die ganze Woche Zeit. Als sie mich erneut „Frollein B.“ nannte, und dies in einem Tonfall, als sei ich ein schwererziehbares Kind, sagte ich mit schneidender Stimme: „Frau Stelzmann! Ich habe noch die ganze Woche Zeit, ich bin auf dem Weg zur Arbeit und werde jetzt ganz sicher nicht putzen! Außerdem zu Ihrer Kenntnis: Ein Fräulein bin ich schon lange nicht mehr! Daher bitte ‚Frau B.‘!“ Ich hatte laut gesprochen, einige Passanten, die den peinlichen Auftritt Frau Stelzmanns mitbekommen hatten, grinsten amüsiert und etwas schadenfroh in der selbsternannten Hausmeisterin Richtung. Die war erstmalig um Worte verlegen und ging dann auch schnell ihrer Wege.

Immerhin war sie stets um unser aller Sicherheit besorgt. Denn um 22:00 Uhr wurde penibel die Haustür unten abgeschlossen. Doof, wenn man Besuch bekam oder hatte und dann eine Pizza bestellt hatte. Keine Ahnung, wie oft ich mit dem Schlüssel aus dem vierten Stock ins Parterre rennen musste, um Besuch und/oder Pizzaboten die Tür aufzuschließen … Einmal hatte mich ein guter Freund besucht, und wir hatten zusammen drei Bier getrunken. Stefan wollte Nachschub an der nahegelegenen Tankstelle am Europaplatz holen, und sicherheitshalber gab ich ihm meinen Schlüssel mit. Als er nach einer halben Stunde zurückkehrte, wirkte er völlig verstört, und ich fragte, was denn passiert sei. Da sagte er: „Als ich unten die Haustür aufschloss, kam mir eine Xanthippe entgegen, in einem hellblauen Bademantel und mit Lockenwicklern auf dem Kopp. Die fragte mich im Befehlston, wer ich denn sei – ich sei kein Mieter. Und woher ich den Schlüssel hätte. Da habe ich gesagt, ich sei ein Bekannter von Frau B. im vierten Stock, und da wollte sie meinen Ausweis sehen! Man müsse ja schließlich wissen, mit wem man zu tun hätte! Ali, was ist das denn für eine furchtbare Person?“ Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn, aber dann musste ich lachen. Wie absurd war denn, bitte, das wieder gewesen?

Allerdings rannte ich auch mal gegen die verschlossene Haustür, als wir einen wunderschönen und sonnigen Hochsommernachmittag hatten. Samstag, 16:00 Uhr – und die Tür abgeschlossen. Als ich kopfschüttelnd meinen Schlüssel aus der Tasche zog, weil ich das Haus verlassen wollte, näherten sich mir von hinten eifrige Schritte. Frau Stelzmann erklärte mir, das Abschließen der Tür sei wichtig, da uns sonst Einbrecher heimsuchen und „totmachen“ würden. Ich deutete wortlos auf das Schild neben der Tür, auf dem stand, die Tür sei ab 22 Uhr abzuschließen, wies darauf hin, dass dies brandschutzrechtlich bedenklich sei, aber Frau Stelzmann beharrte auf ihrer Meinung. Ich sah, dass jedes Wort von mir eines zuviel gewesen wäre, und so schloss ich lächelnd die Tür auf, öffnete sie, verließ das Haus, drehte mich vor der Tür um und zog die Tür zu, während Frau Stelzmann noch eifrig plapperte. Dabei nickte ich ihr eifrig und lächelnd zu und schloss die Tür von außen wieder ab, obwohl Frau Stelzmann noch immer auf mich einredete. Ich hatte meine Ruhe und sie, was sie wollte. Sie nicht so ganz, denn ich hatte sie einfach stehenlassen, aber doch fast.

Wie froh war ich, als ich umzog – nach Ratingen. Dort gab es dann zwei selbsternannte Hausmeister … Einen männlichen und einen weiblichen, die auch noch liiert waren. Er sprach mich mal auf der Treppe an und machte mir Vorwürfe, weil ich für seine Begriffe zu spät zur Arbeit ginge. Bei uns ging es aber erst um 09:00 Uhr los, und im Übrigen ging ihn das Ganze rein gar nichts an, was ich ihm auch erklärte. Da nannte er mich eine „unverschämte Person“, aber ich meinte nur, erheblich unverschämter sei, anderen Menschen vorschreiben zu wollen, wann diese was zu tun hätten. Und ich fragte ihn, ob er aus der DDR komme. Das war zwar frech, aber ich war sauer. Ein anderes Mal waren meine Eltern zu Besuch gewesen, als ich gerade an der Reihe war, die riesige Papierabfalltonne aus dem Keller auf die Straße zu stellen. Das war immer ein elender Mist – es gab mehr als zehn Mietparteien, und die Blaue Tonne war stets höllenschwer. Und so hatte mein Vater gemeint, das sei ja für mich viel zu schwer, und so wuchtete er die Tonne auf die Straße.

Gleich am nächsten Tag wurde ich vom reizenden männlichen „Hausmeister“ zur Rede gestellt. Es sei meine Aufgabe, die Abfalltonnen auf die Straße zu stellen, und so gehe das doch nicht, junge Leute, verantwortungslos – die ganze Litanei. Ich sagte: „Es ist völlig egal, wer die Tonne auf die Straße stellt. Hauptsache, sie wird auf die Straße gestellt! Alles andere ist dogmatisch und unklug. Guten Tag!“ Da sagte er nichts mehr, grüßte auch nicht mehr zurück, wenn ich ihn – ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, ich sei unhöflich – im Treppenhaus grüßte. Er sprach gar nicht mehr mit mir, und ich wertete dies als Vorteil.

Dann zog ich aus Ratingen weg. Zunächst wohnte ich mit meinem damaligen Freund Henrik in einem Stadtteil im Westen dieser Stadt hier. Keine gute Gegend. Als Henrik dann nach Ratingen zurückzog, zog ich in eine Wohnung in dem Stadtteil, in dem ich auch jetzt noch lebe (zum Glück jedoch in einem anderen Haus und einer anderen Straße). Und dort gab es das Ehepaar Ratzentaler! Die wussten immer genau, wann ich das Haus verließ, wann ich zurückkam, wussten sogar Dinge über mich, die mir selber noch gar nicht bekannt waren! 😉 So erzählten sie jedem, dass ich Musiklehrerin sei und an der Musikschule arbeite. Andere Nachbarn sprachen mich jedenfalls auf meinen vermeintlichen Beruf an. Wie Ratzentalers darauf kamen, habe ich bis heute nicht herausfinden können, zumal es keinerlei Anzeichen dafür gab, denn Musiklehrer spielen doch selber ein oder mehrere Instrumente – ich hatte kein einziges im Haus und übte demzufolge auch nie. Aber ich ließ sie in dem Glauben, denn mir war ganz recht, dass diese neugierigen Menschen nicht meinen gesamten Lebenslauf kannten.

Öfter hatte ich Zettel an der Wohnungstür kleben: Ich würde zu oft waschen, das Treppenhauslicht zu oft anmachen und weitere Dinge dieser Art. Ganz entzückend. Das Treppenhauslicht war ein einziger Witz, denn die Leuchtphase war derart kurz eingestellt – von Herrn Ratzentaler -, dass sich auch alle anderen Hausbewohner aufregten, weil man dauernd im Dunkeln stand. Ein Bewohner, der im Parterre wohnte, und Herr Ratzentaler lieferten sich in der dunklen Jahreszeit jeweils echte Duelle: Der Parterrebewohner stellte die Leuchtphase stets viel länger ein, und sobald Herr Ratzentaler das merkte, „korrigierte“ er das Ganze wieder. Und dann trat wieder der Bewohner aus dem Parterre auf den Plan … Herr Ratzentaler beschwerte sich einmal bei mir, dass das alles viel zu teuer sei, und der unverschämte junge Mann aus dem Parterre würde die Stromkosten unverschämt hochtreiben. Ich grinste nur – klar, die Kosten fürs Treppenhauslicht gehen wirklich ganz empfindlich ans Eingemachte – und meinte mit deutlichem Sarkasmus: „Möchten Sie, dass ich mir künftig eine Kerze auf den Briefkasten lege, die ich dann bei Betreten des Hauses im Dunkeln anzünde, um das Treppenhauslicht zu schonen?“ Da meinte mein Nachbar allen Ernstes und sarkasmusresistent: „Das wäre doch eine Lösung!“

Danach fiel es mir noch schwerer, ihn ernstzunehmen. Und dann zog ich zum Glück aus.

Ich frage mich nur immer wieder, wie einzelne Menschen auf die schräge Idee kommen, sie hätten das Recht, Maßstäbe zu setzen, und seien diese auch noch so doof, an die sich alle anderen gefälligst halten sollen. Ob es da eine Therapie gibt? 😉

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