„Ich bin sensibel – nehmt gefälligst Rücksicht!“

Ich habe in meinem bescheidenen Leben die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die sich selber als „gute Christen“ bezeichnen, meist so geartet sind, dass man lieber Reißaus nehmen sollte, wenn sie dies äußern, bevor man sie richtig kennen lernt. Denn lernt man sie erst kennen, stellt man nicht selten fest, dass sie offenbar christliche Werte und das ganze Christentum irgendwie anders verstanden haben, als man selbst dies getan hat. Denn ich dachte immer, es gehöre irgendwie dazu, echte Nächstenliebe zu leben, echtes Mitgefühl, und nicht nur in die eigene Tasche zu spielen, wie ich dies leider, leider beim Gros derjenigen erlebt habe, die sich – siehe oben – höchstselbst als „gute Christen“ deklarierten. Diejenigen, die wirklich im Sinne des Christentums handeln – das ich, selber christlich erzogen, aber dem Christentum nebst Glauben schon vor langer Zeit den Rücken gewandt, wie jede Religion mit ganzem Herzen ablehne, es aber denjenigen ebenso aufrichtig gönne, die damit aufrichtig umzugehen wissen -, sind meist ruhige Menschen, die tatsächlich Gutes tun, ohne – wie die „guten Christen“ – dem Grundsatz verfallen zu sein, der da lautet: „Tue Gutes und sprich darüber.“ Diese Menschen haben es nicht nötig, an die große Glocke zu hängen, wie gut sie doch seien. Wir wissen ja alle: Wird eine Sache besonders häufig erwähnt und hervorgehoben, muss es wohl dringend nötig sein bzw. herrscht just am dauernd Erwähnten großer Mangel … Ich kenne solche Fälle, da Menschen beiderlei Geschlechts dauernd betonten, wie glücklich sie in ihrer Ehe seien, wie sehr sie den Partner liebten. Und dann stellte sich nicht selten heraus, dass zu Hause die Bratpfannen, Küchenbeile und Teller mit hoher Frequenz ganz tief flogen und die – ach! – so liebenden Menschen dauernd anderweitig Zerstreuung suchten. Nennt mich altmodisch, aber für mich ist das Scheiße. 😉 Nicht, dass so etwas nicht passieren kann und menschlich ist – darum geht es nicht. Mich nervt nur diese nach außen getragene Heuchelei, dieses Pharisäertum.

Ähnliche Erfahrungen habe ich hinsichtlich der schönen Eigenschaft gemacht, die sich Sensibilität nennt. Ich mag sensible Menschen, auch wenn sie manchmal anstrengend sind in ihrer Verwundbarkeit. Für mich sind es aber interessante Menschen, die bisweilen mehr spüren als andere, mehr sehen und – sofern sie gut drauf sind – nettere Dinge sagen. Die Kehrseite: Wenn sie nicht gut drauf sind, sagen sie bisweilen auch ganz scheußliche Dinge. Vor allem, wenn sie verletzt oder unsicher sind, man aber nicht weiß, warum. 😉

Ich selber bin in den letzten drei Jahren eher zu einer Art Haudegen mit großer Klappe mutiert, seit mir recht schmerzhaft klar(gemacht) wurde, dass Sensibilität einen nicht immer weiterführt. Jedenfalls nicht, wenn sie allzu sehr nach außen getragen wird. Lieber ist es mir, Ecken und Kanten zu zeigen, damit man nicht merke, dass ich selber durchaus verletzbar bin. War in der Vergangenheit nicht sonderlich förderlich. Und man lernt dazu. Vielleicht übertreibe ich es nicht selten – aber ich arbeite ja auch noch an mir und bin auf der Suche nach dem Mittelweg. 😉

Mir ist wurschtiges Verhalten aber lieber als das Benehmen mancher Menschen, die einem gern aufs Butterbrot schmieren, wie sensibel sie seien, einem dann aber – surprise, surprise! – Dinge ins Gesicht hauen, die einen fast aus den Angeln heben und man Mühe hat, die Tränen zurückzuhalten. Sonderlich gut für eine reibungslose Kommunikation ist das nicht, denn zumindest bei mir hat das zur Folge, dass ich ziemlich pampig werde, ärgerlich und zornig. Warum? Weil man mich getroffen hat. Mag ja sein, dass diese Leute sensibel sind, aber sonderlich sensibel gerieren sie sich nicht immer. Ähnlich wie ich, aber doch anders, denn ich erkläre eher selten, dass ich sensibel sei – wer das wissen will, wird es ohnehin über kurz oder lang merken.

Mir wurde schon vorgehalten, meine bisweilen heftigeren Sprüche sorgten beim Gegenüber für Frustration. Ich sagte ja bereits, ich schieße manchmal übers Ziel hinaus. 😉 Meist meine ich es nicht böse. Und ich gehe dann wirklich in mich, wenn man mir so etwas sagt und bemühe mich, künftig nicht mehr ganz so drastische Sprüche abzusondern. Erstaunt bin ich dann aber immer wieder, wenn mir von den sensiblen Menschen umgekehrt völlig unerwartet Sprüche entgegengebracht werden, die meinerseits für Frust sorgen. Offenbar ist der alte Spruch wahr: „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Gleiche.“ Denn wehe, man ist dann geknickt! Das ist dann immer ein Fehler des so angesprochenen Gegenübers und nicht diskussionswürdig, da man selbst ja sehr sensibel ist. Jahrelang hatte ich hinsichtlich des Ex-Kollegen Birger damit zu tun … 😉

War ich im Urlaub, musste er mich vertreten. Kam ich zurück, war nur das Nötigste getan, haufenweise Arbeit stapelte sich auf meinem Schreibtisch, und bereits am ersten Arbeitstag fühlte ich die erholsame Wirkung des Urlaubs schwinden. Kam er aus einem seiner zahlreichen Urlaube oder einer seiner „Ich war ja fast tot!“-Krankschreibungen wegen einer leichten Erkältung zurück, hatte ich zugesehen, alle seiner Aufgaben, so möglich, abzuarbeiten. Dennoch wurde mir dann immer vom sensiblen Birger entgegengeschleudert, warum dies und das – was noch nicht hatte erledigt werden können – denn noch nicht erledigt worden sei. In sehr harschen Worten. Fragte man dann im umgekehrten Falle vorsichtig – er ist ja sensibel – an, wurde man gleich zurechtgewiesen, man könne ja nicht erwarten, dass man in den Urlaub fahre und der Kollege, der so überarbeitet sei, nun alles übernehme.

Bei geringsten Anlässen wurde man zurechtgewiesen, wenn man einen durchaus harmlosen Spruch machte. Birger selber, der so sensibel ist, scheute nicht davor zurück, Witze mit seinem Busenfreund am Telefon zu reißen, der nach Amerika in den Urlaub fliegen wollte, dass er, Birger, ja alles erben würde, würde der Busenfreund mit dem Flieger abstürzen – manchmal gehe es mit dem Sterben ja überraschend schnell. An sich ein harmloser Spruch, wenn auch nicht sonderlich originell, den ich normalerweise gar nicht beachtet hätte, aber ich hatte keine zehn Minuten vorher erfahren, dass ein sehr naher Verwandter im Sterben liege. Birger hatte sein Mitgefühl geäußert, hatte es also mitbekommen. Und dann so ein Spruch. Wirklich völlig unsensibel und vor dem Hintergrund geschmacklos. Aber es betraf ja nicht meinen Ex-Kollegen selber … Und das war leider kein Einzelfall. Ich selber hatte aber gefälligst strammzustehen und Mitgefühl zu äußern, wenn Birger mal wieder ein Problem und ich mir sein Wehklagen gefälligst anzuhören hatte.

Vorsicht also, wenn jemand sich höchstselbst – und das wiederholt – als „sehr sensibel“ deklariert. Es folgt nicht selten Ernüchterung.

Ich für meinen Teil werde mich nun wieder auf die Suche nach der Goldenen Mitte machen. Denn ich weiß, ich bin selber durchaus mackenbewehrt … 😉

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.