So sein wie die Queen? Kein Problem! Oder: Wie man ganz ohne größere Mühe eine „stiff upper lip“ erzeugen kann …

Was schon länger geplant war, wurde am vergangenen Donnerstag wahr: Ich besuchte meine Freundin Meike, mit der ich auch zusammen im Urlaub in Frankreich gewesen war, in der Lüneburger Heide, wo sie seit zwei Jahren lebt. Leider weggezogen aus dem „Pott“, aber nachdem ich ihre Wohnumgebung gesehen habe, kann ich es wirklich verstehen. Heidelandschaft hat wirklich ihren Reiz … Sie ist vor allem auch so erheblich dünner besiedelt als meine Heimatregion Nr. 1 – eben der „Pott“. 😉

Ich freute mich auf den Aufenthalt dort. Zum einen sehe ich Meike nur selten, zum anderen finde ich oben genannte Heidelandschaft einfach schön. Bis dato kannte ich die Lüneburger Heide nur von Bildern, aber in der Wohnumgebung meiner Eltern im südlichen Münsterland gibt es auch eine – allerdings vergleichsweise kleine – Heide, die ich als Kind schon geliebt hatte. Und in Meikes Umgebung so viel davon … 🙂 Um diese Jahreszeit blüht sie zwar nicht, aber eigentlich hat sie so einen für mich noch größeren Reiz, da ich ja alles Verwunschene liebe, und ich finde eben auch die Heide ein wenig verwunschen. 🙂 Da wäre eine purpurne Farbexplosion eher störend gewesen.

Ich fuhr nach der Arbeit und dem Fünfzigsten eines meiner Kollegen, der jedoch erheblich jünger aussieht, gen Hauptbahnhof und stieg dort in einen IC, der mich in nur zweieinhalb Stunden nach Hamburg-Harburg brachte, wo ich umsteigen musste. Immer wieder erstaunt mich die Kürze der Fahrtdauer, in der man von hier aus in Bremen ist (zwei Stunden mit dem IC), und bis HH-Harburg dauerte es auch nur geringfügig länger. In memoriam Ulli oder Ulrike, meiner leider viel zu jung verstorbenen Cousine, sie 24, ich zu dem Zeitpunkt 23: Du hattest schon recht, meine Schwester und mich als „Fischköpf‘“ zu bezeichnen. Ich bin zumindest nicht weit von den ganz typischen Fischköppen entfernt … 😉

Von dort aus ging es mit einer Regionalbahn weiter gen Lüneburg, wo Meike mich abholte. Wir kauften erst ein, dann fuhren wir in Meikes Wohnort, und zum Abendessen gab es sehr leckeren gebratenen Lachs, Nudeln und sehr leckeren Blattspinat. Dazu Wein, und wir plauderten, bis mir beinahe die Augen zufielen. Ich war nach der Arbeit schon fast im Zug eingeschlafen, da ich etwas müde war, schrak aber immer wieder hoch, da ich befürchtete, erst in HH-Altona wieder aufzuwachen, würde ich einschlafen.

Aber am nächsten Tag sollte es dann richtig losgehen. Ich tappte die Treppe aus dem ersten Stock von Meikes Wohnung hinunter ins Erdgeschoss und Richtung Küche und Wohnzimmer, zunächst einmal sehr lebhaft begrüßt von Lucky, Meikes schwarzer Labradorhündin. Lucky und ich sind „alte“ Freundinnen, da ich sie bereits seit ihrer zehnten Lebenswoche kenne und wir beide am gleichen Tag Anfang August Geburtstag haben. So etwas schweißt zusammen, auch wenn man einander selten sieht und weit voneinander entfernt lebt. 😉 Meike drückte mir eine Tasse Kaffee in die Hand, für die ich sehr dankbar war. Dann rief Meikes Mama an, und ich meinte: „Da gehe ich doch erst einmal unter die Dusche.“ Ganz arglos, wie man das eben so sagt. Lucky begleitete mich bis zum Fuß der Treppe, leckte mir über die Hand und sah dann mit einem langen Blick hinter mir her … Man sagt Tieren ja einen sechsten Sinn nach, nicht wahr? Lucky besitzt diesen ganz sicher. 😉 Denn später, nach dem Duschen, rief ich mir diesen, ihren Blick ins Gedächtnis zurück: War er nicht irgendwie sorgenvoll gewesen? 😉

Im Gästezimmer angekommen, schnappte ich mir aus meinem Trolley Unterwäsche, vom Tisch ein Handtuch und ein Badetuch, beides von Meike für mich hingelegt, und ich verschwand im Bad. Ich freute mich auf eine schöne, warme Dusche. Und schon ging es auch los. Ich hatte, da ich nicht so große Flaschen mit Duschgel und Shampoo mitschleppen wollte, zwei Proben mitgenommen – einmal ein Shampoo, an dem Claudia Schiffer mitentwickelt haben soll und einmal Duschgel von „Treaclemoon“, Duftnote „Iced Strawberry Dream“ – ich bin da etwas „verspielt“ und liebe diese ganzen Sachen von „Treaclemoon“, die so schöne Namen wie „Those Lemonade Days“ oder „Sweet Apple Pie Hugs“ haben. Riechen alle total künstlich nach dem, was sie zu sein vorgeben, erzeugen aber Wohlgefühl. (Nur dieses „Raspberry“-Duschgel geht gar nicht – das riecht selbst mir zu künstlich. 😉 )

Ich schraubte die kleine Shampoo-Probenflasche auf, drückte mir davon großzügig etwas in die Hand, wunderte mich über die Konsistenz: „Komisch, fühlt sich eher an wie eine …“ Spülung! So las ich dann auf dem Fläschchen, und kopfschüttelnd wollte ich das Fläschchen auf der duschinternen Abstellfläche für Duschutensilien abstellen, aber Wasser rann mir in die Augen und übers Gesicht in die Nase, und ich schnappte nach Luft. Dabei stieß ich gegen die Duschutensilien und den Schlauch, der bis zum Duschkopf, einer in einer Halterung steckenden Handbrause, reichte.

Ich weiß nicht, was genau wie passiert ist, aber plötzlich fielen sämtliche Flaschen von der Reinigungsmittelplattform, und von ganz oben stürzte etwas auf mich, genauer: in mein liebliches Antlitz. Noch genauer: mit einer Kante auf die Stelle zwischen meiner sehr empfindlichen slawisch inspirierten Nase und dem Mund. Die Handbrause! So stellte ich fest, als der Schmerz nachließ. Ich bückte mich und hob das wasserspeiende Instrument auf. Aber da tropfte etwas in die Duschtasse, und die Tropfen waren rot … Ich griff mir an die Stelle zwischen Nase und Mund. Was um alles in der Welt … ? Da klaffte doch etwas! Und meine Finger waren rot!

„Scheiße!“ rief ich gedämpft, und mein erster Gedanke galt meiner Kollegin Janine, da diese zwölf Kaninchen ihr eigen nennt. Merkwürdige Gedankenabfolge? Keineswegs! Denn der zweite Gedanke war: „O nein! Sicher habe ich jetzt eine Hasenscharte!“ So etwas sieht zwar albern aus, ist bei Hasen und Kaninchen aber ungeheuer praktisch. Jedoch bei mir? Wohl kaum.

Glücklicherweise bin ich in der Lage, auch in Notlagen relativ beherrscht zu agieren. Andere Menschen wären Hals über Kopf aus der Dusche gestürzt und dabei unter Umständen über den Badvorleger gefallen. Ich dachte nur: „Nein. Keine Panik. Erst wird zu Ende geduscht. Ändern kannst du ohnehin nichts.“ Stimmte – die blutende Scharte befand sich unweigerlich in meinem Gesicht, und daran war nichts zu ändern. Ich duschte zu Ende, allerdings doch etwas kürzer als sonst, und dann begab ich mich vor den Spiegel.

Ach, du meine Güte! Ich blutete, als hätte jemand: „Wasser marsch!“ befohlen, nur hier nicht mit Wasser, sondern eher in Bezug auf das rote Lebenselixier … Ich bin Ersthelferin, weiß, was man in vergleichbaren Fällen tun muss, und so hielt ich mein Gesicht erst einmal unter kaltes Wasser, um die Blutung – wenn möglich – zu stillen.

Meike ist Ärztin, und so machte ich mir etwas weniger Sorgen, als ich schließlich halb bekleidet und barfuß die Treppe Richtung Küche hinabstieg. Etwas kleinlaut sprach ich sie an: „Meike, es tut mir leid, aber es ist nicht wirklich schlimm, nur ist etwas Unvorhergesehenes passiert …“ Und als sie mich ansah, nahm ich die Hand von meinem Gesicht, um ihr die zum Glück relativ senkrechte Platzwunde zu zeigen, die sich da über meiner Oberlippe in voller Schönheit zeigte und das tat, was Platzwunden am besten können: klaffen und bluten.

Meike ist ein sehr gelassener und ausgeglichener Mensch, was ich – und nicht nur das – an ihr sehr zu schätzen weiß, da ich bisweilen etwas zur Hektik neige. In diesem Moment jedoch starrte sie mich an, als hätte ich ihr gerade verkündet, ein UFO sei gelandet und wolle sowohl sie, als auch mich, als auch Lucky in eine andere Galaxie entführen. Lucky stand neben ihr, wedelte sachte mit dem Schwanz, sah ansonsten aber so aus, als wolle sie sagen: „Mir war klar, dass das nicht gutgehen konnte.“ Immerhin stupste sie mich an und leckte mir tröstend über die Hand.

„Ali! Was ist passiert?“ fragte Meike entsetzt. „Ich habe doch nur kurz mit meiner Mutter telefoniert, und du wolltest duschen gehen!“ – „Ja, das habe ich ja auch getan. Offenbar fand deine Dusche mich so sympathisch, dass sie mich aus der Nähe ansehen wollte. Die Handbrause ist mir ins Gesicht gefallen!“ Meike sah mich an, als hätte ich gerade kundgetan, das UFO habe mich bereits entführt und mich zur Erde zurückgeschickt, um auch sie zu überzeugen … Die Situation war recht absurd, und ich musste lachen, aber Meike meinte nur: „Nicht lachen! Das verbreitert die Wunde! Wir fahren jetzt sofort in die Praxis! Das muss …“ – „Nein! Nicht nähen!“ schrie ich gepeinigt. – „Nein, das klammern wir. Hast du Tetanusschutz?“ – „Ja, habe ich.“ – „Warte … Nee, du setzst dich hier schön hin, trinkst einen Kaffee, und ich fahre in die Praxis und hole das Material.“ – „Aber nicht nähen!“ schrie ich, und sie versicherte mir noch einmal, wir würden das klammern.

Klammern war okay. Einer meiner besten Freunde ist das Gemeine Klammerpflaster, da ich offenbar anfällig für Platzwunden bin, dabei aber extrem allergisch auf das Zauberwort „nähen“ reagiere. Meike gebot Lucky, schön bei mir zu bleiben, und das treue, schwarze Tier wich mir nicht von der Seite, als Meike sich ins Auto warf und davonbrauste.

Sie wich mir nicht nur nicht von der Seite, sie setzte alles daran, mich abzulenken und brachte mir einen Ball, den ich für sie werfen sollte. Ein echter Labrador eben. Und sie wollte mich ablenken. Ich warf den Ball, sie hechtete hinterher, fing ihn im Flug. Dann kam sie zu mir geprescht, sprang begeistert an mir hoch. Ich wollte sie knuddeln. Bonk! Da war es auch schon passiert … Luckys äußere Schädeldecke krachte unter mein Kinn, und ich biss mir unfreiwillig auf die Zunge.

Tränen rannen aus meinen Augen, und nur schleierhaft nahm ich wahr, dass Lucky, das liebe Tier, schweifwedelnd vor mir stand und auf einen neuen Ballwurf wartete. Als ich nicht sofort reagierte, knuffte sie mir gegen den Arm. Ich lahme Trine aber auch! Den metallischen Geschmack des Blutes ignorierend, warf ich das Bällchen erneut, wenn auch tränenblind, und Lucky stürzte hinterher. Gerührt blickte ich tränenden Auges hinterher – das Tier war wirklich rührend in seinem Willen, mich abzulenken. Ich führte eine Hand zum rechten Auge, um die rinnenden Tränen abzuwischen … Da war Lucky schon wieder, stupste mich energisch, und mein rechter Zeigefinger verfehlte nur knapp mein rechtes Auge … Schnell weg mit der dräuenden Gefahr – ich warf den Ball erneut. Kaffee war auch alle, und ich erhob mich, um Richtung Küche zu gehen, verfing mich mit dem linken Fuß in der Kante des Teppichs, schlingerte gefährlich, konnte mich aber an der Türzarge abstützen. Die Kaffeemaschine handhabte ich mit größter Vorsicht …

Kaum in der Heide, schon verstümmelt! Ich taumelte zurück ins Wohnzimmer, blieb diesmal von der anderen Seite am Teppich hängen, fing mich und setzte mich auf den nächstgelegenen Stuhl, bereit, dort in alle Ewigkeit sitzenzubleiben. Besser nicht mehr bewegen! Vor meinem geistigen Auge erschien ein bekannter Loriot-Sketch, der mit den Worten: „Das Bild hing schief“ endet. Ich übertrug ihn auf die Situation hier: Meike verließ mich im Glauben, es handle sich nur um eine Platzwunde, aber bei ihrer Rückkunft würde ich halbtot mit gebrochenen Knochen und aus dem Mund, sowie der Nase und den Ohren blutend am Boden liegen! Meine letzten Worte vor der Bewusstlosigkeit: „Der Kaffee war alle.“ Als lautete mein Name Constanze, die Standhafte, blieb ich auf dem Stuhl sitzen … Besser war das.

Meike kam zurück und brachte eine Auswahl an Verbandmaterial mit. Favorit: das Gemeine Klammerpflaster, das bei mir hinsichtlich Platzwunden an Augenbraue und über der Nase schon gute Dienste geleistet hat. Einmal bei Kreislaufschwäche in ein Bücherregal gekracht, beim zweiten Mal mit Schmackes unter eine von mir selbst fahrlässig offengelassene Küchen-Oberschranktür. Der Vorteil bei den vorangegangenen Verletzungen in Kombination mit Klammerpflastern: Ich spreche weder mit der Augenbraue, noch mit der Nase.

Hier jedoch befand sich die Verletzung in Nähe meines Mundes, und den kann ich nur ganz schlecht halten. Kurz: Das Klammerpflaster wollte und wollte nicht halten. Meike klebte es immer wieder fest, resignierte dann aber: „Ali, das hat bei dir keinen Sinn! Du schaffst es ja nicht einmal fünf Minuten lang, deinen Mund zu halten.“ Und sie fasste mich scharf ins Auge. Ich rief: „Nein! Nicht nähen!“ Sie entgegnete: „Ich dachte eher an einen Sprühverband.“

Und so geschah es: Sie führte eine Spraydose mit furchtbar riechendem Sprühpflaster zutage, sprühte mir eine Ladung davon über die Oberlippe, händigte mir das Gebinde dann aus und meinte: „Wie ich dich kenne, brauchen wir das noch öfter – und dann machst du das am besten selber.“

Und dann fuhren wir Richtung Stall, wo ich ihre Pferde kennenlernte, auf dem Weg dorthin noch eine wunderschöne Teekanne nebst Stövchen kaufte. Teekanne rund und im alten Stil, weiß mit blauen, maritim anmutenden Motiven und dem Schriftzug: „Unser Norden“, das Stövchen desgleichen – eine Werbeaktion eines Supermarktes. Günstig, aber sehr, sehr schön. Als ich die entsprechende Teekanne bei ihr in der Küche gesehen hatte und sie mir von der Aktion erzählte, erschien gleich der Schriftzug: „Haben müssen!“ auf meiner Stirn. Denn ich suche schon seit geraumer Zeit nach einer günstigen und schönen, „alten“ Teekanne nebst Stövchen.

Auf dem Weg zum Stall dann fing die Platzwunde erneut zu bluten an – keine Ahnung, woran das wohl lag. 😉 Meike grinste wissend und fuhr rechts heran. Ich tupfte die Wunde ab und verabreichte mir eine großzügige Sprühpflaster-Ladung. Das dann auch zwei Kilometer später … Und überhaupt immer dann, wenn es mir notwendig erschien.

Aus dieser Maßnahme heraus entwickelte ich eine ganz neue Artikulationsmethode meinerseits: Die Oberlippe wird nicht bewegt, ist steif, aber die Unterlippe bewegt sich umso mehr. Es klingt etwas verwaschen, aber man wird verstanden. Man agiert quasi mit steifer Oberlippe, „with a stiff upper lip“. Wie die Queen! Endlich einmal sprechen wie die Queen! 😉

Auf die Weise war es mir möglich, meine Begeisterung hinsichtlich der Pferde zu äußern („Schinndie schön!“), eines schöner als das andere, ohne dass meine Wunde wieder zu bluten begann. Außerdem hatte ich meinen kleinen Bodyguard, Lucky, an der Leine („Lucky, schitsch!“, „Lucky – Huusch!“ ergo: „Lucky, sitz!“ und „Lucky – Fuß!“ Das treue Tier verstand und tat, was ich befahl – eindeutig sprachbegabt, wie ich entsprechend gerührt zur Kenntnis nahm 😉 ), während Meike Pferde longierte.

Gerade ist die Kruste über meiner Oberlippe abgefallen, und ich sehe nicht mehr so erschreckend aus wie ein führender Politiker aus zum Glück vergangenen Zeiten. Ich befürchte nur, es werde eine Narbe bleiben. Aber auf der anderen Seite schätze ich Menschen mit Ecken, Kanten und Narben – das ist irgendwie ehrlich.

Und wenn ich auch nicht die Queen bin: Nennt mich Scarface! 😉

Liebe Meike, ich fand es sehr schön bei Dir und bedanke mich – auch für die medizinische Betreuung. Und das nächste Mal fahren wir zusammen nach Nürnberg – das wird Dir gefallen.

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