Gartenarbeit? Ohne mich!

Meine und meiner Schwester Eltern – manchmal denke ich, wir entstammten völlig unterschiedlichen Familien – sind irgendwann, als meine Schwester und ich schon lange nicht mehr in unserem Elternhaus lebten, zu Nomaden mutiert. Naja, zu Halbnomaden, wenn man ehrlich ist. Oder besser: zu Wanderern zwischen den Welten. Denn meine Mutter stammt aus Franken, mein Vater ist eherner Westfale. Und während meine Mutter bis zur Pensionierung meines Vaters tapfer im Ruhrgebiet ausharrte, regelmäßig in ihre Heimat fuhr, hoffte sie darauf, dass sie und mein Vater irgendwann, wenn er arbeitstechnisch nicht mehr gebunden sei, ganz dorthin ziehen würden, wo nicht nur das Essen besser ist: nach Franken. Heraus kam ein Kompromiss: ein zweiter Wohnsitz und zweimal im Jahr mehrwöchige Aufenthalte in meiner Mutter Heimatstadt. Immerhin.

Dies hatte zur Folge, dass jemand sich während ihrer Abwesenheit um mein Elternhaus und den Garten – das Werk meiner Mutter Kathrin und ein echtes Juwel – kümmern musste, denn wenn auch der Garten ein Juwel ist, so ist er dies gewiss nicht ohne Mühe. Und meine Mutter ist da sehr präzise.

Wenn meine Mutter und ich auch sonst sehr viel gemeinsam haben, so gibt es einen eklatanten Unterschied: Ich hasse Gartenarbeit! Meine Mutter liebt diese und hat diese Liebe wohl an meine Schwester Stephanie vererbt. Bei dieser jedoch beschränkt sich die Liebe vornehmlich auf den eigenen Garten, genauer: Sie potenziert sich dort sogar. Der Garten meiner Schwester ist spannend: Ich habe noch nie einen solch relativ kleinen Garten gesehen, in dem sich eine Attraktion an die andere reiht – wie Jahrmarktbuden. Wie eine Art Explosion. Klingt böse, aber im Grunde meine ich es nicht so. Ich staune nur darüber, wie man so viele Attraktionen auf kleinem Grund unterbringen kann. Stephanie kriegt das mühelos hin. Man sitzt auf der Terrasse, und zu den Füßen fließt ein kleiner Bach. Daneben stehen halbjapanische Elemente, gerahmt von Leyland-Zypressen (die Kenntnis um deren Existenz habe ich auch nur der begeisterten Schilderung Stephanies kurz nach deren Anschaffung zu verdanken). Und so fort. Zweifellos – der Garten meiner Schwester ist wirklich schön und trotz seiner reiflichen Durchplanung in Teilen sogar ein wenig verwunschen. Ich bekäme das niemals so hin. (Es liegt aber in der Hauptsache daran, dass ich dazu keinerlei Neigung besitze. Hätte ich ein größeres Gartengrundstück, wäre es sicherlich besser, ich hätte auch das entsprechende finanzielle Polster, einen Gärtner zu beschäftigen. Ich koche dafür gern.)

Weniger mühelos geriet ihr die Pflege des elterlichen Gartens, als sie noch am selben Ort wie meine Eltern lebte, partiell sogar in unserem Elternhaus. Jeweils kurz vor Rückkunft meiner Eltern aus Franken und in schöner Regelmäßigkeit ereilte mich ein Brandanruf meiner Schwester: „Hast du am Wochenende schon etwas vor?“ – „Ja, eigentlich …“ – „Das geht nicht! Du musst herkommen. Der Garten muss gemacht werden!“ – „Ja, aber wieso …“ – „Du musst herkommen! Der Rasen muss gemäht werden!“ – „Stephanie! Du wohnst doch dort! Wo ist das Problem, den Rasen zu mähen?“ – „Frag nicht, du musst herkommen! Der Rasen hat es dringend nötig!“ – „Und das kann nur ich, oder wie?“ – „Frag einfach nicht! Wann kommst du?“ Dies hervorgebracht in derart autoritärem Tonfall, dass ich unter allen Umständen zusah, mein jeweiliges Wochenende im Garten meiner Eltern zu verbringen. Horror! Ich hasse es, in der Erde zu wühlen – da lauern Regenwürmer und anderes Krabbelzeug! (Merkwürdigerweise habe ich immer ganz akribisch und aktiv nach Würmern gegraben, wenn ich mit meinem Onkel angeln war und die Lebendköder ausgegangen waren – aber das war ja auch meine ureigene Entscheidung gewesen.)

Wann immer ich in meinem Elternhaus eintraf, sah ich, dass wirklich Hilfe einer zweiten Person angemessen war … Wenn nicht einer dritten. Oder vierten. Oder eines Abrissunternehmens.

Einmal hatte mich Stephanie erneut sehr dringend zu Hilfe gerufen. Ich wisse doch, dass Mama und Papa am Sonntag aus Franken zurückkämen, und sie selber sei vor anderer Arbeit erstickt. Ich selber hätte doch erheblich mehr Zeit, und es sei der Rasen zu mähen. Ich streikte bzw. versuchte es. Angesichts der Alternative gab ich jedoch klein bei. Es war besser so. Stephanie sprach auf der Fahrt zu meinem Elternhaus beruhigend und einlullend auf mich ein, es sei alles nicht schlimm, und im Grunde müsse ja nur der Rasen …

Sie fuhr den Wagen in die Garage, ich schloss die Haustür auf und betrat das Haus, ging durch bis ins Wohnzimmer. Dort warf ich einen Blick durch das Panoramafenster in den … Moment! Was war das denn?!? Garten? Rasenmähen? Welchen Rasen meinte Stephanie? Ich blickte auf eine wilde Wiese, deren Gräser mir schätzungsweise bis über die Knie reichten! Gut, ich bin nicht übermäßig hoch gewachsen, aber ich bin auch kein Zwerg. Wiesen- und Springkraut überall, das sich sanft im Wind wiegte. Ich war – und das geschieht sehr, sehr selten – sprachlos. Wahrscheinlich stand ich sogar offenen Mundes da, als ich versuchte, die genaue Lage des Gartenteichs auszumachen, der sich irgendwo hinter den wildwuchernden Gräsern befinden musste. Bereits beim Anblick der Wildkräuter musste ich niesen. Da! Neben der Region, da ich den Teich vermutete, bewegte sich etwas! Ein leuchtendgrünes Objekt wurde sichtbar, daneben ein erdbraunes. Beide Objekte recht rund geformt und mit einem orangegelben schnabelartigen Auswuchs vorn und Augen versehen. Entenköpfe! Ein Entenpaar! O Gott! Enten. Ich schloss messerscharf, dass sich diese bereits länger im Garten aufhielten – kein Wunder, in dessen derzeitigem Zustand waren sie schön geschützt – und wahrscheinlich dafür gesorgt hatten, dass mal wieder der Gartenteich entwässert werden musste, da Enten den Inhalt von Teichen nicht selten zum Umkippen bringen. Nicht nur das – sie rissen auch immer die Teichrosen heraus und verschreckten die Fische. Ich starrte in den Garten, als hätte dort ein Massaker stattgefunden. Und zwei Tage später würden meine Eltern kommen …

Da kam Stephanie herein, wie üblich grenzenlos optimistisch. Ich stammelte: „Stephanie – im Garten lebt ein Entenpaar.“ – „Entenpaar? Wie? Wo?“ – „Im Garten. Da drüben irgendwo.“ Und ich machte eine diffuse Handbewegung irgendwo in die Wildnis hinein. Die Enten hatten sich bereits wieder weggeduckt. „Ach du Schande! Enten? Nee, die habe ich bisher nicht gesehen.“  Wie auch? Hätte ich nicht niesen müssen, hätte ich sie wahrscheinlich am nächsten Tag erst mit dem Rasenmäher niedergestreckt …

Stephanie strahlte mich an und meinte: „Heute kannst du nicht mehr mähen. Der Rasenmäher ist zu laut. Aber morgen.“ Ich starrte sie an und meinte: „Wie – Rasenmäher? Wovon träumst du nachts? Das Gras geht mir bis übers Knie! Was wir brauchen, ist eine Sense! Gibt es hier irgendwo ein Landwirtschaftsmuseum mit historischen Exponaten, wo wir eine leihen können?“ – „Du bist mal wieder viel zu negativ eingestellt! Wir stellen einfach das Messer des Mähers ganz hoch ein!“ – „Wer ist ‚wir‘?“ – „Naja, du. Und jetzt komm – wir sehen etwas fern.“ Aber mir war nicht nach dem Fernseher. Ich ging lieber ins Bett – am nächsten Tag würde ich meine Kräfte brauchen.

Am nächsten Tag stellte ich das Messer des Rasenmähers so hoch ein, dass es höher nicht ging. Und ich mähte. Stundenlang. Denn der Rasenmäher, der einen Überlastungsschutz hatte, brach nach jeder Reihe zusammen, schaltete sich ermattet aus, während Stephanie – sehr hilfreich – auf der Terrasse stand und mich anfeuerte, teils auch drastisch: „Du bist viel zu langsam! Geht das nicht schneller?“ Ich schwor mir, im nächsten Leben als Diktator zur Welt zu kommen, mit Stephanie als einziger, alleiniger Untertanin. Aber irgendwann, Stunden später, war die Wiese gemäht, und ich machte mich ans Kantenschneiden, was durch das melodische Säuseln des Regens, der eingesetzt hatte, untermalt wurde. Stephanie zupfte angelegentlich ein wenig Unkraut, während das Entenpaar schimpfend von dannen zog – sein Refugium komplett zerstört und massakriert!

Und als meine Eltern am nächsten Tag eintrafen, raufte sich Muttern die Haare – der Garten ein einziges Chaos!

Es ist immer eine Frage der Relation. Sie hatte ihn zuvor nicht gesehen …

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