Zugegeben, ich finde ja, dass jeder von uns in irgendeiner Hinsicht ein Spießer sei, und sei sie noch so winzig. Ich selber wollte nie eine Spießerin werden, aber ich sammle – nur ein Beispiel – Tassen. „Coffee mugs“, genauer gesagt. Wenn das nicht spießig ist! Und das ist gewiss nicht der einzige Aspekt an mir, den ich selber als spießig empfinde. Aber ich bin auch sehr streng mit mir.
Fußball? Superspießig, wenn man es ganz genau nimmt. Und trotzdem habe ich Verständnis, und es vergeht keine EM oder WM, die ich nicht atemlos verfolge. Gut, wird man nun sagen können, typisch Frau, guckt nur EM oder WM, ist für die Bundesliga-Saison und sämtliche anderen Meisterschaften nicht aufgeschlossen, zumal man als Frau ja eh keine Ahnung habe. Allein die Abseitsregel – kann keine Frau erklären! (Doch. Meine Mutter, mit der ich schon als kleines und allmählich größer werdendes Kind atemlos Europa- und Weltmeisterschaften verfolgte – die kann das, und das innerhalb von einer Minute. Maximal. Gestandene Männer wollten schon den Hut vor ihr ziehen. Übrigens: Mein Vater hasst Fußball, und er hasst Europa- und Weltmeisterschaften, da zu solchen Zeiten seit vielen Jahren der Fernseher von meiner Mutter und mir, später, nach meinem Auszug, von meiner Mutter blockiert war. „Wie – ‚Tatort‘? Hier läuft Fußball!“ Als kleines Kind war ich manchmal verwirrt: Alle anderen Kinder hatten Väter, die bei solchen Gelegenheiten kaum ansprech- oder ablenkbar waren – hier regierte König Fußball -, und sie waren euphorisiert, was ich verstehen kann. Bei uns zu Hause war wohl meine Mutter in dieser Hinsicht der „Vater“. 😉 Zumindest hatte sie diesbezüglich die Rolle inne, die anderswo die Väter einnahmen. Fand ich aber immer cool. Alles, nur nicht Mainstream! Meine Mutter ist ohnehin ziemlich cool. ;-))
Wie gesagt: Meinem Empfinden nach ist jeder Mensch in irgendeiner Hinsicht ein Spießer. Nur: Manche sind das in exorbitantem Ausmaß, und da bekomme auch ich die Krise.
Einmal war ich mit solchen Leuten im Urlaub. Zusammen mit meinem in weitestem Maße relativ unspießigen damaligen Freund, Richie. Es ist schon Jahre her, und über Ostern sollte es in die Niederlande gehen, vulgo: Holland. Genauer: auf die Insel Schouwen-Duiveland. Dorthin wollten Richie und ich, in deren Beziehung es damals kriselte, fahren, und das im Rahmen eines Campingurlaubs.
Ein paar Bedenken hatten wir ja schon vorher gehabt: Einzelne Abende mit Werner und Betty waren nett gewesen, aber ob das für einen einwöchigen Urlaub reichte? Die beiden waren doch ziemlich anders als wir. Aber die Zeichen schienen günstig, denn wir wollten mit zwei Autos fahren. Doof war nur, dass beide Werner und Betty gehörten, aber sie waren großzügig, und wir mussten ja auch so viel Material transportieren. Großzügig boten sie Richie und mir ihren Zweitwagen an. Ich fand das gut: Auf der Fahrt würden Richie und ich sicherlich ein wenig Ruhe zum Reden haben – die Wochen zuvor waren stressig gewesen. Das wussten auch Werner und Betty, und sie hatten auch gesagt, dass Richie und ich völlig unabhängig von ihnen sein sollten. Ich fand das wirklich toll. Richie wohl auch.
Am Vorabend unserer Abreise klingelte plötzlich das Telefon, und Richie ging dran. Offenbar war Werner am anderen Ende, und ich hörte Richie nur wiederholt: „Ah, ja“, „Nein, klar“ und „Okay, dann eben so“ bzw. „Kein Problem“ sagen. Nachdem er aufgelegt hatte, fragte ich ihn, was denn Sache sei, und er meinte nur: „Wir fahren mit zwei Autos.“ – „Ja, klar, was ist daran jetzt neu? Wieso hat Werner angerufen?“ – „Die Sache ist nun so: Du fährst mit Betty, ich mit Werner.“ – „Äh, wieso das jetzt, einen Abend vor der Abfahrt?“ – „Werner ist wohl schon seit Tagen nicht in den Schlaf gekommen, und er sagte, die Maßnahme sei aus versicherungstechnischen Gründen nötig.“ – „Ach! Und wieso hat er dann nicht eher angerufen, wenn er schon seit Tagen nicht in den Schlaf kam? Wieso überhaupt?“ – „Du kennst Werner nicht so lange wie ich. Ich bin schon mit ihm in die Grundschule gegangen. Eigentlich hätte ich es wissen müssen.“
Mehr war nicht zu erfahren, aber am nächsten Tag fuhren wir los, ich mit weniger gutem Gefühl, da es schon so merkwürdig begann. Auch musste ich während der Fahrt Musik hören, die zu meinem Geschmack quasi diametral ausgerichtet ist. Mit Erleichterung sah ich, dass die Kilometerangaben hinsichtlich unseres Zielortes auf den Autobahnschildern immer geringer wurden …
Wir erreichten die Insel, ebenso den Campingplatz. Betty und Werner hatten einen Wohnwagen, wir ein Zelt, das Richie und ich mit scheinbar fröhlichen Mienen installierten, während die anderen beiden bereits mit einer Landkarte dasaßen und mit Zirkel und spitzem Bleistift die Pläne für die nächsten Tage festlegten. So ganz anders als Richie und ich, die eher gelassen an Dinge herangingen, wenn es sich um Urlaub und Freizeit handelte, da man ausspannen möchte.
Endlich stand das verdammte Zelt, und wir schleppten unsere Utensilien hinein. Richie lästerte boshaft – unsere Beziehung war, wie gesagt, bereits etwas brüchig – über meinen Schlafsack und meinte: „Du wirst darin sicherlich erfrieren. Sieh her! Ich habe meinen Bundeswehr-Schlafsack – der ist richtig klasse! Komm nur nicht an, wenn dir kalt wird! Ich habe es dir gleich gesagt!“ Und triumphierend breitete er ein olivgrünes Stepp-Monstrum mit Ärmeln vor mir aus, das seiner Meinung nach unschlagbar wäre. Ich sah mit Sorge auf meinen Schlafsack und gedachte der nachts relativ niedrigen Außentemperaturen mit noch erheblich wachsender Sorge.
Nach der ersten Nacht wurde ich wach. Wunderbar warm war es in meinem Schlafsack, ich hatte erstaunlich gut geschlafen auf der Luftmatratze, und ich fragte mich schon, was denn so viele Leute gegen Campingurlaub im Zelt hätten. Gut, meine Nase war etwas ausgekühlt, aber ansonsten ging es prächtig. Und so schmetterte ich ein fröhliches: „Guten Morgen!“ nach rechts, wo Richie lag.
Zwei gelbe Augen starrten mich voller Ingrimm an. (Eigentlich hatte Richie braune Augen, aber wenn er wütend war, tendierte die Farbe der Iris etwas ins Gelbliche. Bei mir ist es vergleichbar: Bin ich richtig zornig, scheinen meine Augen auch heller zu werden – nur bei mir türkis. Wahrscheinlich kommt die Redewendung: „heller Zorn“ daher. 😉 Nicht wirklich, aber es wäre zumindest ein neuer Erklärungsansatz.) Sie starrten mich an, als hätte einzig mein: „Guten Morgen!“ noch gefehlt, als wäre es der einzige Auslöser gewesen, ganz wahllos Leben auszulöschen. 😉 Und mir wurde ein extrem zorniger Morgengruß entboten.
Ich fragte, was denn mit ihm los sei, und er meinte nur: „Nachts hätte ich dich am liebsten erwürgt!“ – „Wieso? Mich? Was habe ich denn getan?“ – „Du hast geschlafen.“ – „Ja, klar, sicher. Du nicht?“ – „Nein! Nicht eine Minute! Dieser Scheiß-Bundeswehr-Schlafsack ist totaler Mist! Ich habe die ganze Nacht gefroren!“ – „Ach! Du sagtest doch, der sei so toll! Soll das heißen, dass du den nie wirklich ausprobiert hast?“ – „Hrrrmpf!“ – „Ich habe hervorragend geschlafen.“ – „Das habe ich gesehen! Du hast sogar im Schlaf gelächelt! Da hätte ich dich am liebsten erwürgt! Es wirkte so provozierend.“ – „Ja, tut mir leid, aber ich habe keinen Einfluss darauf, ob ich nachts lächle oder nicht, denn ich schlafe dann. Sieh es einfach positiv: Während ich mich nun aus meinem schönen, warmen Schlafsack quälen und in die Kälte gehen muss, bist du ja schon daran gewöhnt.“ Ooops – kein guter Rat, denn die Augen wurden gleich noch einen Touch gelber …
Nach dem Frühstück, an dem Richie fröstelnd teilnahm, händigte Betty ihm ein Deckbett aus, das noch im Wohnwagen war, aber nicht gebraucht wurde. Es sah aus wie das Deckbett für einen maximal Zehnjährigen, aber ich verkniff mir – wenn auch mühsam – jeglichen lästerlichen Kommentar. (In der nächsten Nacht hat Richie dann tatsächlich geschlafen, aber auch nicht, ohne wiederholt aufzuwachen und das Deckbett, das nicht alle Körperregionen eines 1,78 m großen Menschen gleichzeitig abzudecken in der Lage war, umzulagern, um zumindest in Wechselschicht Füße als auch Oberkörper zu wärmen. Nicht einmal ich mit meinen 1,65 m Länge hätte darunter verschwinden können … Das Deckbett rangierte bei ihm und mir nur noch unter dem Begriff „Zwergenplumeau“. Richie war Rheinländer, und die benutzen ja vielfach französischstämmige Begriffe …)
Nach dem Frühstück fuhren wir auch gleich los, die nächstgelegenen Sehenswürdigkeiten en détail und mit vielen Belehrungen Werners und Bettys zu betrachten. Und so ging es dann jeden Tag, ganz nach Fahrplan. Morgens Frühstück, um Punkt 9. Dann Sehenswürdigkeiten nach Plan. Wenn wir Glück hatten, ging es auch noch an den Strand – ich liebe ja das Meer. Aber da war es Betty und Werner meist zu windig. Um 17 Uhr dann Beginn der Vorbereitungen zum Abendessen, und um Punkt 19 Uhr saßen wir jeden Tag im Vorzelt des Wohnwagens und aßen wechselweise Nackenkoteletts oder Scholle vom Grill, wozu wir „Grolsch“ tranken.
Nun könnte man sagen, dass Richie und ich ja allein etwas hätten unternehmen können. Aber nein! Das ging gar nicht. Betty und Werner nahmen den Begriff „Gemeinschaftsurlaub“ sehr wörtlich und klebten uns permanent an den Hacken, sobald wir uns von unserem Zelt entfernten, was wir mehrfach versuchten, weil uns die sehr rastermäßig gestaltete Lebens- und Urlaubsweise der beiden schon nach knapp zwei Tagen auf den Wecker ging. Immerhin waren wir am zweiten Abend alle zusammen in der Kneipe, die zum Campingplatz gehörte. Aber nach einer halben Stunde meinten Betty und Werner – es war gerade 21 Uhr -, nun müssten wir alle zurückkehren zu unserem Platz und in die Betten, da wir anderentags ja früh heraus müssten. Widerspruch zwecklos, und Richie und ich schlichen hinter den beiden her, uns dabei gegenseitig immer wieder Blicke zuwerfend, die Bände sprachen: „Warum sind wir mit den beiden gefahren?“ – „Du bist schuld!“ – „Nein, du!“
Am dritten Abend hatten Betty und Werner keine Lust, abends wegzugehen, weder in den Ort, noch in die Campingplatz-Kneipe, obwohl die eigentlich ganz witzig war, was mich selber überrascht hatte. (Hätte man mir zuvor je erzählt, ich würde mal eine Campingplatz-Kneipe witzig finden, hätte ich einen Vogel gezeigt und laut abgelästert.) In jedem Falle witziger als der reglementierte Tagesablauf unserer beiden Urlaubskameraden. Richie und ich wünschten brav eine gute Nacht, sahen einander verstohlen wie zwei Verschwörer an, und wir verschwanden brav in unserem Zelt, dabei Geräusche machend, wie sie beim Zubettgehen entstehen. Aber wir hatten den Wohnwagen immer im Blick. Kaum ging dort das Licht aus, machten wir uns bereit, warteten sicherheitshalber aber noch fünf Minuten, denn Richie meinte: „Wenn die mitbekommen, dass wir losziehen, wollen die sicher doch mitkommen – und dann ist das auch noch verdorben.“ Dann zogen wir leise den Reißverschluss unseres Zeltes auf, krochen noch leiser heraus, zogen den Reißverschluss wieder zu und schlichen von unserem Platz weg, wobei wir uns selber bescheuert vorkamen, jedoch wussten, dass auch der Abend noch reglementiert werden würde, würden Betty und Werner mitbekommen, dass wir auf eigene Faust etwas machten. Außer Hörweite, gingen wir normal weiter und erreichten schließlich die Kneipe. Peinlich, zu sagen, aber ab Tag 3 waren wir abends immer dort, einfach, um auszuspannen von dem abgezirkelten Programm unserer beiden Miturlauber, die sich morgens wunderten, warum Richie und ich immer so wortkarg und müde waren. Jeden Abend dasselbe Theater! „Gute Nacht, bis zum Frühstück!“ Verschwinden im Zelt. Ssst – Reißverschluss zu. Reißverschluss wieder auf, sobald das Licht im Wohnwagen ausgegangen war. Ein wunderbarer Urlaub! Wir kamen erschöpfter zurück, als wir losgefahren waren. Ich zusammen mit Betty im Auto, Richie mit Werner. Aus versicherungstechnischen Gründen. Wahrscheinlich hätten wir aus versicherungstechnischen Gründen auch niemals allein etwas unternehmen dürfen – ein Glück, dass alles gutging und weder Richie noch ich uns in der Kneipe beim Gang auf die Toilette Arme und Beine oder das Genick brachen.
Und eines hat es gebracht: Richie und ich verstanden uns im Zuge dieses Urlaubs wieder richtig gut, und das hielt auch noch ein paar Wochen an. Nur nicht auf Dauer. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
Mein Tipp: Wenn ihr in einer kriselnden Beziehung seid, ist es gar nicht so schlecht, wenn ihr Urlaub mit spießigen Bekannten macht. Denn das schweißt – zumindest kurzfristig – zusammen, denn irgendwie muss man dagegen zusammenhalten. Zwar nicht unbedingt auf ewig, aber ein paar Wochen mehr Beziehung sind durchaus drin. 😉
Na da war es ja doch etwas entspannter in Frankreich.?
Strand war geplant, leider war die Idee Petrus nicht so wirklich genehm
Nächstes Mal fahren wir spontan nach Wetterbericht
Das ist gar kein Vergleich, Elke! 🙂 Frankreich war toll, und das trotz des Wetters. 🙂