„Undank ist der Welten Lohn“ oder: Der Himmel oder wer auch immer bewahre uns vor Dogmatikern!

Ich habe heute um Punkt acht Uhr achtunddreißig einen schwerwiegenden Entschluss gefasst: Ohne Not helfe ich nicht mehr. Jedenfalls nicht mehr so schnell.

Ich kenne mich. Ich werde diesen Entschluss zwar nicht bereuen, aber brechen. Ich bin so, ich kann nicht anders. Manche Menschen halten mich daher für inkonsequent, aber ich bin nicht inkonsequent, sondern einfach nur zu gutmütig. Manchmal jedenfalls. 😉 Eigentlich gar nicht so selten, nur tarne ich das nach Möglichkeit. Wie schon einmal gesagt: Im Grunde bin ich, wäre ich ein Hund, ein Labrador, aber ich beherrsche echtes Dobermanngehabe. Zumindest das Gehabe, welches viele Menschen mit einem Dobermann verbinden, obwohl auch diese Hunde ein freundliches Gemüt besitzen, bei entsprechender Behandlung aber auch ganz anders können. 😉

Gestern kam eine Kollegin an und klagte, sie müsse nach der Arbeit noch einen dienstlichen Expressbrief zur Post bringen, weil der Chef unserer internen Poststelle – ich bezeichne ihn seiner Attitüde wegen gern als „unseren Postminister“, was ihm schmeichelt, aber gar nicht so gemeint ist, was außer ihm auch jeder versteht – sich außerstande sähe, den Brief seinerseits, obwohl es seine Aufgabe ist, beim nächsten Postamt einzuliefern. Ich staunte da schon, denn ich hätte mich mit dieser Auskunft nicht so schnell abspeisen lassen, aber die Kollegin ist bisweilen etwas unsicher, und da hat sie den wirklich wichtigen Brief halt wieder mitgenommen.

Sie arbeitet halbtags, bleibt aber auch gerne ohne Not schon mal länger – warum, verstehe ich nicht. Ich bin da etwas anders. Wenn ich länger bleibe, hat das zumeist dienstliche Gründe. Ich bleibe nicht länger, weil ich mein Büro so schnieke finde. 😉 Und nicht umsonst ringe ich derzeit mit Minusstunden auf meinem Gleitzeitkonto. Die Kollegin, nennen wir sie Andrea, hat wahrscheinlich das an Plusstunden, völlig unnötig, was ich an Minus vor mir hertrage. Vielleicht sollten wir einfach tauschen oder einen Ausgleich schaffen. Jedem wäre geholfen. 😉

Gestern kam sie an und klagte ein wenig, dass sie nun nach der Arbeit ja noch einen wichtigen Brief bei der Post einliefern müsse. Ich meinte, das sei doch aber dann ein Dienstgang, und das solle sie, bitte, auch so handhaben, auch wenn es sich direkt an ihren Feierabend anschließe. Sie solle sich das einfach von ihrer Chefin so anordnen lassen. Sie erklärte in epischer Breite, dass sie ja ohnehin noch zu ihrer Bank müsse, offenbar einer nur spärlich vertretenen solchen, deren nächste Filiale sich am gleichen Ort befinde wie ein ihr bekanntes Postamt. Dennoch wisse sie nun nicht, ob das ein Dienstgang sei oder nicht. Ich meinte: „Hier wird immer zur Arbeitnehmerseite alles hyperkorrekt und auf die Minute genau abgerechnet, also solltest du das Ganze auch als Dienstgang handhaben. Ich frage aber auch gerne noch einmal nach.“ Ich sitze quasi an der Quelle der Lösung solcher Fragestellungen, und für mich bedeutet es nur einen kleinen Moment oder Schritt, so etwas zu klären. Dachte ich.

Es ging ja nicht nur um Andrea. Die ist extrem gutmütig, macht bisweilen Dinge, die sie nicht machen müsste, die dann aber unter Umständen für selbstverständlich für alle genommen werden. Das muss nicht sein – wir sind ohnehin alle schon nicht über Gebühr entlohnt, und auch noch Freizeit zu opfern, um Dienstbriefe bei der Post einzuliefern, ist etwas, mit dem ich seit einiger Zeit auch nicht mehr so gutmütig agiere. Mit Gründen.

Als die Gelegenheit günstig war, fragte ich meinen Chef. Ich wollte das Ganze gern generell geklärt wissen, da auch ich schon von derlei Dingen betroffen war, das Ganze zwar immer als Dienstgang nach offiziellem Feierabend gehandhabt worden war, aber nie eine generelle Regelung bestanden hatte.

Hätte ich doch nur nie gefragt! Mein Chef wollte sich der Angelegenheit annehmen, und das tat er auch, sehr, sehr intensiv bei einer langen Unterredung mit dem Personalveranwortlichen und teilte mir heute früh mit, es handle sich in der Tat selbstverständlich um einen Dienstgang. (War klar, zumindest jedem außerhalb des öffentlichen Dienstes … 😉 )

Und so schritt ich erfreut zu Andrea, um ihr mitzuteilen, dass sie nicht umsonst den weiten Weg zur Post genommen hatte!

Ich fand sie hektisch und zerfahren vor. Irgendetwas passte nicht, als ich ihr mitteilte: „Andrea, das von gestern war in der Tat offiziell ein Dienstgang. Du musst jetzt nur noch einen Korrekturbeleg ausfüllen und den dann in der Personalabteilung einreichen!“ Und euphorisiert starrte ich Andrea an, denn ich freute mich, dass die Lösung des Problems nur relativ wenig Zeit in Anspruch genommen hatte, obwohl ich – ganz privat – angenommen hatte, dass man dies auch schon gestern hätte klären können. Ich bin trotz vieler Jahre im öffentlichen Dienst bisweilen immer noch zu „wurschtig“. 😉 Der öffentliche Dienst und ich sind zwei Welten, wie es scheint. ÖD ist etwas, in dem Dogmatiker aufgehen, aufblühen und sich absolut wohl fühlen. Eindeutig problemorientiert. Ich bin anders. Ich versuche immer, lösungsorientiert zu arbeiten, wie ein Pragmatiker. Und so freute ich mich auch, Andrea mitzuteilen, dass ihr Problem gar keines mehr sei.

Aber ich stieß auf Unverständnis! Als ich ihr berichtete, sie müsse nur noch einen Korrekturbeleg ausfüllen, starrte sie mich in einer erstaunlichen Mischung aus kühler Panik an (ja, ich weiß, dass das ein Widerspruch in sich ist, aber ihr kennt die Kollegin nicht …) und meinte in unfreundlich-hektischem Tonfall: „Dann erkläre mir doch mal, was ich hier machen soll! Das kann ich doch gar nicht ausfüllen!“ Ich starrte sie verständnislos an – wo war das Problem? Ich sah keines, aber sie erklärte mir in ein-deu-ti-gem Gebaren, dass sie ja um Punkt 13:23 h unseren Arbeitgeber verlassen habe, da sie exakt so ausgestempelt habe. Und um Punkt 13:37 h sei sie an der Post vorbeigefahren, auf der Suche nach einem Parkplatz. Um Punkt 13:43 h habe sie dann die Post betreten und sei um Punkt 13:49 h wieder hinausgegangen. Wie sie das denn da eintragen und vor der Personalabteilung rechtfertigen solle! Und flinken Fingers deutete sie auf einen Passus in unserem gängigen Zeitkorrekturbeleg, den ich heute zum ersten Male las: „Hiermit bestätige ich die Richtigkeit meiner Angaben. Ich bin mir darüber bewusst, dass falsche Angaben zu personalrechtlichen Folgen führen können […]“ Und sie meinte: „Ich kann doch die paar Minuten nicht angeben! Am Ende habe ich ein Disziplinarverfahren am Hals!“ Ich gab – einigermaßen konsterniert – zurück: „Warum veranschlagst du nicht einfach eine halbe Stunde, wie das jeder hier in so einem Falle tut und völlig anerkannt ist? Bedenke doch auch die An- und Abfahrtszeit, die Suche nach einem Parkplatz!“ Allein, meine Worte verhallten ungehört …  Hingegen starrte man mich an, als hätte ich dazu aufgefordert, mitten im Vatikan eine römische Orgie zu feiern! (Obwohl … naja … lassen wir das.) Und dann meinte sie noch: „Hättest du mal deinen Chef nicht gefragt!“ In einem Tonfall, als hätte ich ihr ans Bein gepinkelt! Dabei hatte ich wirklich nur Gutes gewollt. 🙁

Um acht Uhr siebenunddreißig war heute meine Welt in ihren Grundfesten mal wieder erschüttert. Um acht Uhr achtunddreißig erfolgte oben genannter Entschluss. Und wenn wir alle demnächst dienstliche Expressbriefe nach Feierabend in unserer Freizeit aufgeben müssen, ohne dass dieses als Dienstgang angerechnet wird, weiß ich wenigstens, an wen ich mich revanchemäßig zu wenden habe … 😉 Und das Allerschlimmste: Ich mag Andrea – sie ist ein lieber Mensch, aber manchmal etwas anstrengend. Okay, bin ich auch … Daher versuche ich mich ausnahmsweise mal in Nachsicht.

Aber seht zu, dass ihr euch, sofern Pragmatiker, von Dogmatikern so heftigen Weihwassers so fern wie möglich haltet: Ich fühlte mich heute um kurz nach halb neun bereits so, als säße ich schon fünf Stunden am Stück bei der Arbeit … 😉

Löwe mit Aszendent Widder – ich kann nichts dafür! Oder: Ein ganz „normaler“ Arbeitstag …

Gestern war ein wunderbarer Tag, denn ich ging gutgelaunt zur Arbeit. Warum, wusste ich auch nicht so recht, aber ich fühlte mich recht gut, mal abgesehen davon, dass ich nach der Arbeit noch zum Zahnarzt musste – eine Wurzelentzündung an Zahn No. 4-7. Und obwohl ich relativ sicher damit rechnete, dass der aufmüpfige, bereits überbrückte Molar unter Umständen gezogen werden müsste, war meine Stimmung recht gut, wenngleich ich, ich tendiere zu Ironie und Sarkasmus, und das auch noch gern, morgens mein schwarzes Strickkleid, schwarze Strumpfhosen und Stiefel aus dem Schrank zerrte und anzog: Mir erschien dies angemessen für den Abschied von einem Zahn.

Dumm war nur, dass ich seit einigen Tagen etwas mit dem Magen laboriere. Seit meiner Kindheit hieß es stets, ich hätte einen nervösen Magen, und tatsächlich ist es so, dass mir Stress, Kummer und Ärger grundsätzlich auf denselben schlagen. Hier war es aber eher so gewesen, dass ich zusätzlich zu Stress und Ärger oder Kummer offenbar auch noch etwas gegessen hatte, das wider Erwarten nicht mehr ganz so gut gewesen war.

Das hatte zur Folge, dass ich seit einigen Tagen kaum etwas Richtiges zu mir genommen hatte – ich hatte auch einfach keinen Hunger. Und so ein paar Pfunde abnehmen schadete sicherlich nicht. Nicht, dass ich dick wäre, aber in den letzten Jahren sind ein paar Pfündchen dazugekommen, an denen zwar mein Herz nicht hängt, sie aber an mir umso lieber. Und das an den völlig falschen Stellen. Finde ich jedenfalls.

Da meine direkte Kollegin derzeit Urlaub hat, arbeite ich quasi an zwei Fronten bzw. bin Diener zweier Herren. Gestern war nur mein Chef im Hause, aber der Kollegin Telefon klingelte dauernd, es gab Rückfragen, man wollte ihren Chef sprechen, der aber erst am Nachmittag die heiligen Hallen betreten wollte. Genau dann, wenn ich diese verlassen wollte bzw. musste – der Zahnarzttermin rief schließlich, und mit Wurzelentzündungen ist wirklich nicht zu spaßen.

Ich sauste hin, ich sauste her, brachte wichtige Vorgänge in die Postfächer, holte noch wichtigere heraus und apportierte sie gekonnt wie ein besonders eifriger Labrador (natürlich ein schwarzer solcher, denn ich trug ja ebenfalls diese Farbe) in das Büro des Kolleginnenchefs wie in das meines eigenen. Schrieb Briefe und Mails, telefonierte – ich war gut beschäftigt. Mein Chef, der absolut in Ordnung ist, rief mehrfach: „Frau B. – Sie sind heute aber besonders schwungvoll!“ O ja, das war ich. „Schwung“ war gestern mein zweiter Vorname. 😉

Nur kam ich nicht dazu, etwas zu essen. Als ich Zeit gehabt hätte, hatte ich absolut keinen Hunger, und als der Hunger dann kam, hatte ich absolut keine Zeit. Und das bis zum Nachmittag. Doch! Einen Keks habe ich gegessen, aber – wie sich später zeigen sollte – das war eindeutig zu wenig. 😉

Es ist bei mir nicht anders als bei anderen Menschen: Bisweilen sinkt der Blutzuckerspiegel, nämlich dann, wenn nicht „aufgefüllt“ wird, und zwei Tassen Kaffee mit ausnahmsweise viel Milch – ja, ich weiß, nicht gut für den Magen – sind auch nicht hinreichend geeignet, das Defizit auszugleichen. Sicherlich kennt ihr das Phänomen von Leuten, die von sich sagen, dass sie ungemütlich würden, wenn sie nicht in gewissen Abständen etwas zu essen bekämen. Ist bei mir nicht anders. Offenbar spielen hier metabolische Prozesse eine große Rolle. Ich jedenfalls stand gestern eindeutig unter dem Einfluss von Adrenalin … 😉 Und was das im Einzelnen bedeutet, wisst ihr sicher. 😉 Falls nicht, startet einfach einen kleinen Selbstversuch. Mein Tipp nur: Haltet euch von anderen Menschen fern. 😉

Heute kam meine geschätzte Kollegin Sybille an, als ich gerade – Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste – den Inhalt zweier Gläser Babynahrung („Schinkennudeln in Tomatensauce“), die ich des Magens wegen anderer, besser schmeckender Nahrung vorzog, in erwärmtem Zustand und, zugegeben, nachgewürzt zu mir nahm. Sie fragte, wie es denn beim Zahnarzt gewesen sei. Ich erklärte, ich hätte gestern den Beginn einer umfassenden Wurzelbehandlung hinter mich gebracht. Schon in der nächsten Woche sei der nächste Termin, gab ich schaudernd zu Protokoll.

Daraufhin brach Sybille in lautes Lachen aus. Ich fand die Wurzelbehandlung gar nicht so lustig, da mit Schmerzen verbunden, und so fragte ich sie, was denn konkreter Anlass ihres Gelächters sei, obwohl ich es bereits ahnte oder ganz genau wusste. Und so schauderte mir noch mehr. Da meinte sie: „Ich lache nicht wegen der Wurzelbehandlung, sondern wegen gestern. Das war grandios, Ali! Kannst du das bitte öfter machen? Das war einfach nur großartig! Das Highlight des gestrigen Tages!“ Ich grinste schief und meinte dann in einem Anflug von Selbsterkenntnis: „Keine Sorge – das wird gewiss nicht das letzte Mal gewesen sein. Du kennst mich inzwischen doch etwas.“ Sybille ist erst seit etwas über zwei Jahren bei unserem Arbeitgeber und auf unserem Flur. Heute meinte sie: „Im Ernst – ich fand das wirklich klasse, und du hast uns so zum Lachen gebracht.“ Ja. Hätte ich auch, hätte nicht ich im Zentrum gestanden.

Was war passiert? Nun, ich hatte gestern herumgewirbelt, fast nichts gegessen, bis auf den Keks belgischer Provenienz, und je näher der Zahnarzttermin rückte, desto mehr schauderte mir davor – es ist ja nicht meine erste Wurzelbehandlung, und so wusste ich genau, was an Ungeheuerlichkeiten erneut auf mich zukommen würde. Kurz: Ich war extrem hibbelig. Und ich habe ohnehin bisweilen eine etwas zu große Klappe, trage mein Herz auf der Zunge und bin dafür bekannt, dass ich manchmal Sprüche heraushaue, die manch genantem Menschen die Schamesröte ins Gesicht treiben, da einfach sehr direkt. Ein Erbe von meiner Mutter. Aber die ist doch etwas weniger heftig als ich, erschrickt aber auch immer so sympathisch über das, was sie manchmal so sagt, ohne es wirklich böse zu meinen. Ich staune ja nicht selten selbst, was mir bisweilen verbal so entfleucht. Und das leider auch noch in einer Geschwindigkeit, die schwindelerregend ist. Normalerweise pflege ich vor dem Reden zu denken – es gibt jedoch Momente, da ich eindeutig unter dem leide, was spöttisch als „Logorrhoe“ bezeichnet wird – dem  zu wenig reflektierten, dafür umso spontaneren, wasserfallartigen Absondern von Worten. Durchaus sinnstiftenden solchen. Leider, so muss ich sagen, sind sie durchaus sinnstiftend, denn würde ich lachend irgendeinen Unsinn faseln, wäre die Situation sicherlich weniger riskant. Es wäre zwar peinlich, und man würde mich für komplett bekloppt halten, aber man kann das besser entschuldigen und mit einem schwachen Kreislauf oder so etwas Ähnlichem tarnen. Zum Glück habe ich wenig Probleme damit, mich – und das zumeist aufrichtig – zu entschuldigen. Immerhin. Denn ich benötige diese Fähigkeit durchaus öfter. Es ist zwar unangenehm, aber zuweilen einfach zwingend nötig. Musste ich auch erst lernen, aber ich habe im Laufe der Jahre erkannt, dass es unumgänglich sei, wenn ich mich nicht komplett von rechts auf links oder umgekehrt drehen oder gezwungen sein wollte, eine Art Maulkorb zu tragen. Mir war klar, dass das ohnehin nicht funktionieren würde. 😉

Als ich gestern gerade gestiefelt, gespornt und mit meinem Gepäck zum Zahnarzt aufbrach, ging ich noch zum Büro, in dem Sybille und ein anderer netter Kollege sitzen, und ich meinte mit fatalistischer Gebärde: „So, ich mache mich jetzt auf den Weg. Seht mich noch einmal an, denn vielleicht erkennt ihr mich morgen, nach der Zahnbehandlung, gar nicht mehr.“ Und ich lachte ebenso fatalistisch.

Da bog der Chef meiner Kollegin um die Ecke, der zu seinem 16-Uhr-Termin kam. Und er rief: „Helau!“

Ich hasse das! „Helau“ war noch nie originell zur Begrüßung, und wenn man es zu oft hört und Geduld nicht zu den stärksten Eigenschaften gehört, die man so besitzt, reagiert man leicht gereizt, auch wenn man es sich nicht unbedingt nach außen anmerken lässt, sondern sich immer zusammenreißt. Ich lächelte also da schon etwas gezwungen – zu oft muss ich dieses: „Helau!“ hören. Dann aber beging der Chef einen richtig eklatanten Fehler, denn er sagte: „Frau B.! Der Tag hätte so schön werden können!“ Da ich ja ohnehin schon etwas angefressen war, mich obendrein in der letzten Zeit öfter über einige Dinge in dieser chefmäßigen Hinsicht geärgert hatte, noch dazu wirklich nervös und hibbelig war, spielte mir mein Gehirn einen Streich, indem es den Satz vervollständigte und daraus machte: „Der Tag hätte so schön werden können! Aber jetzt sehe ich Sie!“ Frechheit!

Und so nahm das Unglück seinen Lauf, denn wie ein Hund, der nur kurz nach der Seite schnappt und beißt, schnappte ich: „Ach, Herr F., ich habe jetzt gleich einen Termin beim Zahnarzt. Und der ist noch schlimmer als Sie!“ Immerhin, zumindest glaube ich das, habe ich dabei albern gelacht … Ich hoffe es wenigstens. Das Schlimmste war gewesen, dass ich in dem Moment, da ich herausplatzte, bereits begriff, dass es sich keineswegs um eine Beleidigung, sondern um ein – recht abgestandenes – „Kompliment“ gehandelt hatte. Aber ich konnte meinen Redefluss ums Verrecken nicht stoppen – was heraus musste, musste heraus! 😉 Wenn ich nur in manch anderen Situationen etwas eloquenter wäre, wo ich leider schüchtern bin … Ja, das gibt es bei mir auch.

Mir wurde siedend heiß, und als ich meine beiden geschätzten Kollegen in ihrem Büro ansah, sah ich zwei sehr große Augenpaare, beide blau, während Herr F. sich etwas perplex entfernte. Ich stammelte, zu meinen Kollegen gerichtet: „Habe ich das gerade wirklich gesagt?“ Kollegin Sybille meinte: „Ja, Ali, das hast du.“ Und sie fing zu lachen an, während ich voller Scham meine Hände vors Gesicht schlug. Dann sah ich den Kollegen an, als erwartete ich, er würde sagen: „Nein, keine Sorge – das hast du nicht gesagt!“ Aber der lachte auch nur, versuchte aber zumindest, das Ganze noch zu unterdrücken. Mir war ganz schlecht, und der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn. Und das schon vor der Wurzelbehandlung!

Als die beiden dann noch mehr lachten, rannte ich zurück und ins Büro Herrn F.s. Dort entschuldigte ich mich, und er reagierte recht nett. Er kenne mich ja – was auch immer das heißen mag – und wisse, dass ich gern frotzle. O ja. Ich vermute aber, dass bei der verbalen Eruption von gestern auch mein Unterbewusstsein eine Rolle gespielt haben könnte – aber ich kann mich natürlich irren. 😉

Ich schlich zurück zum Zweierbüro, in dem Sybille und der andere nette Kollege noch immer lachten. Sybille rief: „Ach, Ali, du bist vielleicht `ne Marke!“ Ich schämte mich bis aufs Knochenmark.

Und beim Zahnarzt musste ich dann alles büßen … Da, wo andere Leute nur zwei Wurzelkanäle haben, habe ich drei, davon einer auch noch vital, was bei einer Wurzelbehandlung ganz besonders „angenehm“ ist. Noch angenehmer dann die Spritze direkt in den entsprechenden Nervenkanal – man musste mich zu zweit an den Schultern festhalten, damit ich nicht abhob. Ich wette, das war die Strafe für mein ungebührliches Benehmen … 😉

Ein anderer Kollege, der sich sehr für Astrologie interessiert und mal meinen Aszendenten berechnet hat, meinte heute, als ich es ihm erzählte, nur: „Du kannst nichts dafür, Ali. Als Löwe mit Aszendent Widder bist du einfach so – manchmal bist du einfach etwas impulsiv. Aber wir mögen dich!“

Na, das hat mich doch wirklich beruhigt. Und ich kann ja auch gar nichts dafür – als Löwe mit Aszendent Widder! Sollte ich je eine Abmahnung wegen Frechheit bekommen, werde ich exakt dies als Argument heranziehen … 😉

Für Mutti, die sich schon früher immer Sorgen machte, weil ich die Diplomatie nicht erfunden habe. Sie weiß genau, wovon sie spricht. 😉

„Aus dir wird nie eine Dame!“

Das weissagte mir – da war ich noch klein – mal eine nahe Verwandte. Sie selber gerierte sich sehr damenhaft, und wenn ich sie auch mochte, wollte ich doch angesichts der Albernheiten, wie es mir schien, die man offenbar anstellen musste, eine Dame zu sein, niemals eine solche werden. Daher schockierte mich ihre Warnung auch nicht sonderlich. Und überdies hat sie Recht behalten. 😉

Die Vorstufe zur Dame erschien mir immer das zu sein, was heute als „Girlie“ bezeichnet wird. Grauenhaft! Gut, ich schreie mir auch fast die Lunge aus dem Leib, wenn ich eine Spinne in meiner Wohnung sehe, die größer ist als mein Daumennagel. Naja, größer als meine beiden Daumennägel nebeneinander. Da kann es durchaus passieren, dass mir – Reflex! – ein mehr oder minder schriller Schrei entfleucht. Ich habe generell ein Problem mit Spinnen und den meisten Insekten – keine Ahnung, woher das kommt. Ich bin allerdings noch nie kreischend auf einen Stuhl oder Tisch geklettert, wenn eine Maus im Zimmer war. Mäuse sind doch süß! Diese stecknadelkopfgroßen, schwarzen Augen, die kleine Nase mit den Tasthaaren – und erst diese fast transparenten Ohren! Wie kann man vor so etwas Niedlichem denn kreischend auf Tische und Stühle flüchten, als befände sich ein Werwolf im Raum?

Gut, auch mir ist es lieber, wenn sich Mäuse draußen aufhalten, aber das hat eher damit zu tun, dass sie nicht nur Vorräte anfressen, nachts einen für ihre geringe Körpergröße erstaunlichen Lärm zu machen in der Lage sind, sondern obendrein unhygienische Hinterlassenschaften produzieren, die auch noch unangenehmen Geruch verbreiten. Aber sonst? Lieber drei Mäuse in der Wohnung als eine riesige Spinne.

Als ich noch sehr klein war, zeigte ich zunächst eher „damenhafte“ Züge, denn ich zog immer mein damals noch kleines Näschen kraus, sobald um mich herum laute Geräusche auftraten. Mein Ingenieurvater, Heimwerker mit Leib und Seele, kann ein schauriges Lied davon singen. Wann immer er in und an der Wohnung, später Haus, heimwerkte und dazu die Bohrmaschine oder andere laute Werkzeuge aus seinem mit Verve und Herzblut gepflegten Heimwerker-Instrumentarium nur in die Hand nahm, sah er sich einem echten Horrorszenario ausgesetzt: blondes Kleinkind mit sorgenzerfurchter Stirn und gerümpfter Nase, ergo mit bereits zum Weinen verzogenen Gesicht. Sobald das Werkzeug dann in Betrieb genommen wurde, steigerte sich das Ganze dann so, dass das Kleinkind in etwa so dreinblickte, als sei es gerade Augenzeugin eines grauenhaften Unfalls mit ungezählten Toten und Verletzten, abgetrennten Gliedmaßen und Blut, viel Blut, geworden. Augenzeugin eines Infernos. Dazu sonderte es zwar kein lautes Geplärr ab, aber Tränen stürzten aus den Augen, und es schluchzte leise und mit dezentem „Sprachfehler“ vor sich hin: „Nein, Papa! Nich die Massine!“ Es konnte noch kein SCH sprechen, dazu war es noch zu klein.

Ich denke, zunächst dachte man, ich sei tatsächlich etwas sehr mädchenhaft und ängstigte mich vor den Werkzeugen. Doch weit gefehlt – die fand ich eigentlich ganz interessant. Mir machte der Lärm Angst, der mich offenbar schlicht überforderte. Mein Vater erklärte mir, ich müsse keine Angst haben – aber ich war noch zu klein, ihm zu erklären, dass ich einfach den Lärm unerträglich fand. Fortan heimwerkte mein Vater lieber, wenn ich weit entfernt war.

Doch die Gefahren lauerten auch anderswo im Haushalt. Wir hatten damals einen „Electrolux“-Staubsauger. Ein tolles Gerät, das von langer Lebensdauer war. Aber der sympathische Schwede in der schrillen Farbkombination rot-beige war auch sehr laut. Wann immer meine Mutter ihn in Betrieb nahm, stand ich erneut kurz vor dem Zusammenbruch. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir in einer baufälligen, staubigen Hütte gelebt. 😉 Und meine Eltern ohne Kaffee, denn damals wurde der noch vor dem händischen Aufbrühen höchstselbst gemahlen – immerhin in einer elektrischen Kaffeemühle. Ihr werdet es bereits ahnen: in einer sehr lauten, elektrischen Kaffeemühle, deren Geräusch immer mit einem sehr intensiven „Wuiiiiiiiiiiiiiiiii“ in meine Ohren drang.

Zum Glück begriff man schnell, dass ich einfach nur sehr geräuschempfindlich war. Oder bin. Noch heute empfinde ich allzu laute Werkzeuge oder Küchengeräte als extrem stressend. Ich glaube aber, dass das völlig geschlechtsunabhängig ist, seit ich neulich mit einem Kollegen in der Küche stand und ihm beim Ziehen eines Kaffees aus unserem neuen Kaffeevollautomaten half, der zwar durch sein schickes Design besticht, aber erschreckend laut ist. Ich wollte nichts sagen, die Lautstärke störte mich sehr, und da meinte mein Kollege: „Warum muss das Ding so laut sein? Ich mag so etwas nicht.“ Tja, man rannte offene Türen bei mir ein, und ich grinste nur, während ich mir wünschte, Schlappohren wie manche Hunderasse zu besitzen. 😉

Doch zurück: Wir sprachen ja über „Damen“. Ich entwickelte mich so ganz anders, als spätere Damen das wohl so tun. Zwar sammelte ich eifrig Glanzbilder, hatte auch ein Poesiealbum, aber irgendwie fehlte mir das Herzblut für derlei Dinge. Mit meinen Freundinnen kam ich gut klar, aber ich hasste es wie die Pest, wenn sie zickig wurden, aus minderem Anlass heulten oder sonstwie schwächelten. Ich werde nie vergessen, wie meine damals beste Freundin Britta und ich im zarten Alter von sieben Jahren, beide aus wahrscheinlich sekundären Gründen unserer Familien überdrüssig, planten, auszuwandern. Es war eine eher spontane, jedoch gar nicht so schlechte Planung, und ich erinnere mich, dass Amerika und Australien im Gespräch waren, von wo wir dann triumphierend Postkarten an unsere vor Schmach weinenden Familien, weinend, weil wir sie verlassen hatten, schreiben wollten. Immerhin hatten wir beide je 50 Pfennig Bargeld, und wenn etwas fehlte, würden wir das durch die Vorführung von Kunststücken kurzerhand verdienen. Es war also alles hervorragend durchgeplant. Etwas irritierte uns dann der Abschied von unseren Müttern, denn Brittas Mama drückte uns je einen Apfel, einen „Granny Smith“, meine uns je eine Mettwurst in die Hand, und dies mit den Worten: „Ihr braucht doch Proviant – bis Amerika und Australien ist es weit“. Meine Mutter rief noch: „Halt, wartet! Nehmt den hier auch noch mit!“ Und sie legte mit sicherer Hand unserem damaligen Hund, einem Rauhhaardackel mit Leib und Seele, Halsband und Leine an, die sie mir dann in die Hand drückte: „Es ist dein Hund, Ali. Nimm ihn also mit. Und um 6 gibt es Abendessen!“ Es war nicht ganz einfach, mit dem zum Haus zurückstrebenden Hund, einer Mettwurst und einem Granny Smith in der Hand auszuwandern, noch dazu, da wir uns fragten, was die Zeitangabe meiner Mutter hinsichtlich des Abendessens zu bedeuten habe – schließlich wanderten wir aus und würden nie zurückkehren! -, aber wir haben es immerhin bis zur nächsten Kreuzung geschafft. Ich bin mir sicher, mindestens einer der Wege dort führte nach Amerika und Australien. Nur leider haben wir es nie wirklich erfahren, da Britta plötzlich meinte, sie dürfe eigentlich die Straße um diese Uhrzeit gar nicht mehr überqueren, und außerdem gäbe es zum Abendessen Nudelsalat! Ich war genervt! Mit wem war ich denn da losgezogen! Da sie sich einer Diskussion entzog und ich nur mehr „Nudelsalat“ hörte, kehrten wir um, die eine in Vorfreude auf den Nudelsalat, die andere eher genervt. Die grinsenden Mienen unserer Mütter werde ich nie vergessen – was für eine Schmach! Und ich musste dann noch mit dem Dackel Gassi gehen!

Später bin ich dann – eigentlich ganz mädchenmäßig – zum Pferd gekommen. Ja, ich gehöre zu den Mädels, die Pferde mögen, und das bis heute, da ich gar kein „Mädel“ mehr bin. Mir machte es nicht nur nichts aus, die Pferde zu putzen und zu striegeln, bis sie glänzten, ich fand eher die Art mancher Mädels irritierend, die sich beschwerten, dass die Pferde noch nicht fertig geputzt, gesattelt und getrenst bereitstanden und sie nur noch aufsitzen mussten. Zugegeben, die meisten dieser Art Mädels ritten erheblich besser als ich, wunderten sich jedoch, dass sie so gar keinen Draht zum jeweiligen Pferd hatten, während mit mir sogar Scotty schmuste, der von den meisten gefürchtet wurde, weil er bisweilen biss und schlug. Mich nie. Mir zupfte er nur immer vorsichtig-mahnend am Pferdeschwanz herum, wenn ich an ihm vorbeiging, ohne ihn zu streicheln. Die Hufe hob er bei mir nur, wenn ich das auch wollte, um sie auszukratzen.

Seit jeher hatte ich nie so das rechte Gespür für Kleider. Meine Mutter liebte während meiner Kindheit so grässliche Dinge wie Kleider mit Matrosenkragen! Zumindest für bessere Anlässe. Nur hatte sie leider nicht mit mir gerechnet, denn mir waren seit jeher Kleider völlig schnurz und piepe, sobald ein freundlicher Hund auf mich zustürzte, mit nassen, schmutzigen Pfoten an mir hochsprang. Mir war da das Kleid völlig egal – so ein lieber Hund, den ich auch gleich knuddelte! Meine Mutter ist sehr tierlieb, und sie liebt speziell Hunde, aber sie muss bisweilen sehr gelitten haben, wenn sie mitansehen musste, was mit der von ihr nicht nur mit viel Geschmack ausgewählten, sondern auch gepflegten Garderobe ihrer Jüngsten so geschah. 😉

Ich gebe zu, heutzutage bin ich da etwas „pisseliger“. Wahrscheinlich liegt es am fortschreitenden Alter und daran, dass ich meine Klamotten heute selber aussuche und – noch wichtiger – höchstselbst bezahle. 😉 Dennoch freue ich mich nach wie vor, wenn ein Hund sich freut, mich zu sehen, und man wird mich auch immer mit dem Tier herumknuddeln sehen – eine Sache, die, wie mein Vater meinte, sich mit der Pubertät sicherlich legen würde. Er rechnete wohl mit mehr damenhafter Attitüde. Ja, sorry, Papa, das hat nicht so geklappt. 😉

Meine ganze Art ist wenig damenhaft, und es gibt Menschen, die meinen, mit mir könne man Pferde stehlen, über Zäune klettern und Äpfel klauen – auch heute noch. Ich fürchte, sie haben Recht. Ich bin nie zur echten Weinkennerin aufgestiegen, und Champagner wirkt auf mich wie zuviel Hafer bei Pferden. Nicht gut. Lieber trinke ich ein handfestes Bier.

Und seit neuestem gibt es am Arbeitsplatz etwas, das mich nervt: Unsere Brandmeldeanlage ist durch einen Blitzeinschlag zerstört worden, und seitdem zirkulieren Brandwachen über unsere Flure. Im Grunde nette Menschen, die achtgeben sollen, ob es nicht irgendwo brenne, bis die BMA wieder funktioniert. Aber nervig ist, dass einer dabei ist, der meiner Kollegin und mir dauernd die Tür aufreißt, wenn wir zum Rauchen nach draußen gehen wollen. Ebenso, wenn wir wieder hereinkommen. Er scheint förmlich Ausschau nach uns zu halten, hält oben im ersten Stock die Tür schon auf, wenn wir im Parterre ankommen. Und ewig derselbe Spruch: „Das ist doch das Mindeste, was man für eine Dame tun kann!“ Ein-, zweimal ist das okay, ab dem dritten Mal reagiere ich bereits genervt. Es wird der Tag kommen, an dem ich ihm – und das sicherlich nicht sehr damenhaft – erkläre, dass er sicherlich nicht dafür bezahlt werde, uns die Tür aufzuhalten – wir hätten beide recht gesunde Hände.

Meine nahe Verwandte hatte eindeutig Recht. 😉

Tempi passati oder: Was man in Studentenjobs so erleben kann … (Teil 2)

Meine Tätigkeit in einer alteingesessenen Aachener Studentenkneipe begann nach einer Trennung. Ich brauchte dringend Ablenkung, das Semester war gerade vorbei, und man suchte in der Kneipe eine Thekenfrau und Kellnerin für die Mittagsschicht. Ich hatte erst einmal gekellnert, kurz zuvor, in einem mit einem Stern prämiierten Restaurant. Ein sehr anstrengender Abend, während dem der Oberkellner mich dauernd mit einem falschen Namen anredete, die meisten Gäste eines Aachener Fabrikanten ziemlich prollig waren, ich mehrfach in den Hintern gekniffen wurde und wiederholt kurz davor stand, die Contenance zu verlieren, weil ich es absolut daneben finde, von Idioten einfach in den Hintern gekniffen zu werden. Als um 4 Uhr früh endlich Feierabend war und ich um 5 h mit meinem wirklich schwer verdienten Lohn und schmerzenden Füßen in meiner schwarz-weißen Dienstmontur, schwarzer, knielanger Rock und weiße Bluse, nach Hause schlich, schwor ich mir, nie wieder dort zu arbeiten, nicht ohne Not. Die Atmosphäre war die ganze Zeit ätzend gewesen – nein, ich beschloss, derlei Restaurants künftig nur noch als Gast zu betreten, wenn überhaupt.

Nun aber die Kneipe. Da war das Publikum gemischt, viele Studenten, aber auch diverse Ex-Studenten, die in der Kneipe älter geworden waren und sich meist an der Theke aufhielten. Man warnte mich vor, die würden mich sicherlich erst einmal nicht akzeptieren. Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen hätten weinend gekündigt, weil die „Stammbesetzung“ sie nicht akzeptiert hätte, ebenso ein männlicher Mitarbeiter. O je – was hatte ich mir denn da vorgenommen? „Je kleiner und mädchenhafter die Bedienung, desto mehr Schikane,“, sagte mir ein anderer Kellner. Klein bin ich noch immer, aber damals war ich etwas zierlicher und galt in der Tat als „mädchenhaft“. Mir graute vor meiner ersten Schicht.

Aber es geschah Erstaunliches: Nach einigen Versuchen, mich zu provozieren, gaben sie auf! Stattdessen war die Stammbesetzung eher kumpelhaft, verteidigte mich gar, wenn mal wieder ein arroganter Gast mir – wir hatten damals noch die D-Mark – einen Groschen Trinkgeld geben wollte, und dies mit den Worten: „Aber nicht alles auf einmal ausgeben!“ Oder wenn mir sonst jemand dumm kam. Ich hatte offenbar irgendetwas richtig gemacht, und sie mochten das „Pottmädel“, wie mich einige wegen meiner Herkunft nannten, da es – so ihre Meinung – nicht auf den Mund gefallen war. Sie parierten sogar, wenn ich – wie in mehreren Fällen nötig – einen von ihnen rausschmiss, weil er sich mit einem anderen in die Haare bekommen hatte und der Streit zu eskalieren drohte. Ich war selbst verblüfft, dass in solchen Fällen derjenige, der angefangen hatte, bereitwillig seine Sachen nahm, bezahlte und ging.

Mittags war ich mit der Köchin allein, und anfangs war es nicht ganz einfach, wenn ein neues Fass angeschlagen werden musste, das aber weit entfernt vom Anschluss stand. Das Anschlagen selber stellte keine Schwierigkeit dar, aber die Fässer waren schwer und der Bierkeller klein und vollgestellt. Man musste sie dann an die richtige Stelle tragen. Aber kein Problem – ich hatte immer Helfer, wenn es wirklich nötig war. 😉

Ziemlich schnell ging mir alles locker von der Hand. Die Stammgäste mochten mich, mit den meisten Studis kam ich auch sehr gut klar, mit der türkischen Köchin verstand ich mich blendend. Irgendwann arbeitete ich dann auch abends, dann allerdings zusammen mit wechselnden Kollegen, die den Kellnerjob machten, während ich allein für die Theke und die Zubereitung von Getränken zuständig war. Ich habe nie gern gekellnert, aber an der Theke war es okay. Etwas nervend war, dass einige der Stammgäste mich anschmachteten und ich diverse Verehrer hatte, die zwar nett waren, aber mehr auch nicht. So etwas kann ziemlich anstrengend sein, wenn man aufpassen muss, dass man nicht etwas sagt, was missverstanden werden könnte. Ich wollte doch nur dort arbeiten … Dennoch  musste man weiterhin kumpelhaft bleiben – nicht immer einfach, noch dazu, da einige darauf beharrten, dass ich sie doch sicher ganz besonders möge.

Eines Samstagabends arbeitete ich mit Freddy, und eigentlich hatten wir auch schon Sonntag, als es plötzlich an die bereits abgeschlossene Tür klopfte, und das ziemlich hektisch. Es war schon nach 1 Uhr, einige Gäste waren noch da, aber die Konzession ging nur bis 1 Uhr, und da musste man immer etwas vorsichtig sein (obwohl wir oft bis 3 Uhr – natürlich inoffiziell – machten … 😉 ). An der Theke saßen nur noch zwei Gäste, einer davon Karl-Heinz, der auch zur Stammbesetzung gehörte. Das Klopfen nahm nicht ab, wurde eher intensiver, und Freddy ging schließlich zur Tür, schloss auf und kam mit einer blonden, verhuscht wirkenden Frau in einem Trenchcoat zurück, den sie mit beiden Händen zuhielt. Sie stammelte, ihr Freund habe sie verprügelt und aus ihrer Wohnung geworfen. Freddy bugsierte sie an die Theke neben Karl-Heinz, und sie saß dann etwas verkrampft neben ihm, weiterhin ihren Trench zuhaltend. Auf Freddys Geheiß machte ich ihr etwas zu trinken. Sie wollte ein Pils, und ich stellte das Glas schließlich vor ihr auf den Tresen. Als sie danach griff, ging ihr Trench vorne auf, und ich hoffe, ich stand nicht offenen Mundes da, als ich sah, was zum Vorschein kam … Nämlich nichts. Jedenfalls keine Kleidung. Die Frau war gänzlich unbekleidet unter dem Mantel! Karl-Heinz hatte es auch gesehen, und er witterte seine Chance und ergriff sie und der Frau Hände mit seinen beiden Händen, auf dass die Frau ihren Mantel nicht mehr zuhalten könne!

Ich erklärte Freddy leise, was Sache sei, und er grinste und meinte: „Na, ist doch mal nett für Kalle!“ Ich meinte: „Was, wenn ihr Macker hier auftaucht? Die hat gesagt, sie wohne um die Ecke! Und wo soll sie schon sein, wenn nicht hier? Hier ist nicht so viel, wohin man flüchten könnte!“ Freddy hatte in jeder Hinsicht ein sonniges Gemüt, und er sagte: „Keine Sorge, ich bin Kampfsportler.“ Das beruhigte mich nicht sonderlich. Stattdessen ging ich zu der Frau und fragte, ob ich die Polizei rufen solle. „Nein, nicht die Polizei!“ war die Antwort, aber sie bat mich dennoch um Hilfe. Ich wurde ein bisschen ungeduldig – wie sollte ich ihr wohl helfen? Sie fragte, ob ich nicht zu ihr nach Hause gehen könne, um mit ihrem Freund zu sprechen, aber ich schnaubte nur spöttisch und fragte, ob sie vielleicht noch eine solch gute Idee habe.

Da schlug Kalles große Stunde! Er meinte: „Ich gehe hin! Dem werde ich schon Bescheid geben!“ – „Kalle! Du bleibst hier sitzen!“ sagte ich sehr energisch, denn ich ahnte Ungutes. Freddy kam hinzu, er hatte gerade die anderen Gäste verabschiedet. Und in seinem sonnigen Gemüt sagte er zu der derangierten Frau: „Wir gehen jetzt alle zu deiner Wohnung. Wäre ja gelacht, wenn wir den da nicht rausbekämen!“ Ich starrte ihn entgeistert an – das war doch wohl nicht sein Ernst! „Bist du wahnsinnig?“ raunte ich ihm zu. „Wer weiß, was für ein Bekloppter das ist!“ – „Nein, keine Angst. Aber du musst mitkommen, je mehr Zeugen, desto besser.“ Ich wollte nicht, ich fand die Idee bescheuert, aber ich dachte mir: „Besser, du gehst mit. Offenbar bist du die Einzige hier, die noch bei klarem Verstand ist.“ Denn Karl-Heinz und Freddy schienen sich richtiggehend darauf zu freuen, dem Freund der in jeder Hinsicht merkwürdigen Blondine eins auf die Zwölf zu geben.

Sie wohnte in einem Haus um die Ecke, und offenbar hatte sie zwar einen Haustür-, aber keinen Wohnungsschlüssel – den habe ihr Freund ihr abgenommen, obwohl es ihre Wohnung sei, sagte sie und wandte mir ihr Gesicht zu, in dem sich inzwischen ein Veilchen deutlich bemerkbar machte, das zuvor noch nicht so ausgeprägt gewesen war. Ich fragte, ob das schon öfter vorgekommen sei, und sie sagte: „Ja, schon ein- oder zweimal. Aber er ist ein ganz lieber und gutmütiger Kerl! Er hatte etwas Stress bei der Arbeit, und dann habe ich wohl auch etwas Falsches gesagt …“ – „Nein! Stress bei der Arbeit ist kein Grund, jemanden grün und blau zu schlagen und aus der eigenen Wohnung zu werfen!“ – „Ach, du siehst das zu streng …“ Nun, wenn sie meinte … Ich merkte, dass ich ein wenig ungeduldig wurde – ich verstehe so etwas einfach nicht. Streit ist eine Sache und kommt schon einmal vor. Schläge sind eine ganz andere Hausnummer.

Freddy meinte zu mir: „Du stellst dich am besten hier vor die Treppe, falls der Typ herauskommt und im Treppenhaus herumprügelt.“ Ja, klar, nichts lieber als das – zur Not konnte ich ja die Treppe noch hinaufrennen … Ich war etwas genervt, aber ich wollte Freddy und Kalle auch nicht alleinlassen, die inzwischen an die Wohnungstür hämmerten und den Freund der Blondine aufforderten, die Tür zu öffnen. Allein – ohne Erfolg.

Freddy meinte schließlich zu mir: „Das hat keinen Sinn. Komm, Ali, wir gehen schnell zu dir und rufen die Polizei!“ Ich wohnte nicht weit entfernt – nur quer über die Straße. Wir beide erklärten Kalle und der Blondine, sie sollten bitte nichts weiter machen und einfach auf unsere Rückkehr warten, und ich fügte hinzu: „Solltet ihr hier weggehen oder sonst etwas machen, gibt es Ärger – ich habe keine Lust, der Polizei zu erklären, dass sie umsonst gekommen sei!“

Es wäre wohl besser gewesen, wäre ich allein gegangen, um die Polizei zu rufen, denn als wir zurückkehrten, war das Treppenhaus dunkel, und die Haustür war zu. Ich schnaubte wütend: „Wahrscheinlich sitzen die beiden in irgendeiner Eckkneipe und halten Händchen! Na, warte nur, Kalle!“ Nichts gegen Kalle an sich, mit dem ich mich gut verstand, zumal er auch aus dem Ruhrgebiet kam – aus Oberhausen. Einer der wenigen Ruhris, die ich in Aachen kennenlernte. Aber das war eindeutig gegen die Vereinbarung.

Dann geschah alles auf einmal. Drei Streifenwagen trafen ein, deren Besatzungen sogleich ausstiegen, auf uns zukamen, und dies mit den Worten: „Hier waren wir doch vor zwei Tagen schon einmal. Und letzte Woche auch.“ Gleichzeitig ging im Treppenhaus das Licht an, die – inzwischen zur Gänze bekleidete – Blondine öffnete die Haustür, und die Polizei stürmte in den Hausflur. Ich blieb mit Freddy lieber vor dem Haus stehen – so groß war der Flur nicht. Und ich hoffte, sie würden den Freund der Blondine mitnehmen …

Aber wie erstaunt war ich, als plötzlich ein Typ mit einer Sporttasche aus dem Haus heraushumpelte, mich schmierig angrinste und verschwand, während aus dem Treppenhaus Geräusche drangen, die an eine Auseinandersetzung erinnerten! Freddy und ich beschlossen, lieber hineinzugehen, und wir sahen gerade noch, wie Kalle von mehreren Polizisten bäuchlings auf den Boden gezwungen wurde, seine Arme auf den Rücken gedreht wurden und man ihm Handschellen verpasste! Ich fühlte mich wie im Film – nur im falschen – und war – das kommt bei mir ganz selten vor – sprachlos.

„Arschlöcher!“ rief Kalle, und die Polizisten meinten: „Super! Nicht nur Widerstand leisten, auch noch Beamtenbeleidigung! Und Körperverletzung gegen den Freund der … Dame hier.“

Freddy und ich versuchten, zu vermitteln, und ich meinte zu den Polizisten: „Was ist denn überhaupt passiert?“ Die verwiesen an die Blondine, die erklärte, ihr Freund habe dann doch die Tür geöffnet, und dann habe man diskutiert. Offenbar aber war die Diskussion nicht von Einsicht gekrönt gewesen, denn Kalle hatte dem Freund wohl ordentlich nicht nur eine, sondern gleich mehrere verpasst. Aber kurz bevor die Polizei kam, habe der Typ bereits seine Sachen gepackt, um zu gehen. Im Treppenhaus habe er dann Kalle eine geknallt, der sich gewehrt habe und dann auch gegen die Polizisten, die dazwischen gingen, ausfallend geworden sei. Nicht gut.

Freddy versuchte, Kalle zu verteidigen, was nichts nutzte, ich versuchte es dann mit Liebreiz und unschuldsvoll weitaufgerissenen Augen (hatte bei meinem Vater fast immer geholfen, ihn von geplanter Strafe abzubringen, als ich noch jünger war) bei einem älteren Polizisten: „Aber er hat es doch nicht böse gemeint! Er wollte wirklich nur helfen – die … Dame hier wurde zuvor von ihrem Freund verprügelt und ist zu uns in die Kneipe geflohen! Sehen Sie doch mal, was ihr Freund ihr angetan hat!“ Und ich wies auf das Veilchen und zwei verletzte Finger der Blondine, die überirdisch lächelnd an der Wand lehnte und nicht einmal einen ihrer unverletzten Finger rührte, um Kalle zu helfen.

Der ältere Polizist lächelte mich an und meinte: „Ich finde sehr schön, dass Sie Ihrem Bekannten hier helfen wollen, und mir ist auch klar, dass er es nicht böse meinte. Aber er ist gerade ziemlich ausfallend geworden, und deshalb müssen wir ihn mitnehmen. Aber eines muss man Ihnen lassen: Sehr schöne, große Augen, und dieser Unschuldsblick ist auch nicht von schlechten Eltern. Nur: Wir können ihn wirklich nicht laufenlassen, auch wenn ich glaube, dass er kein schlechter Kerl ist und nur helfen wollte. Ihm wird auch nicht viel passieren.“ Ich nickte resigniert und meinte zu Kalle, der noch immer bäuchlings am Boden lag: „Tut mir leid!“

Wir konnten nur noch zusehen, wie Kalle hochgezogen und dann aus dem Haus eskortiert wurde, wobei er Freddy und mich angrinste und: „Bis bald!“ rief. Seine Brille lag einsam und verlassen auf dem Fußboden, aber das hatte er wohl noch nicht bemerkt. Ich hob sie auf und rannte hinter den Polizisten her, von denen zwei Kalle soeben in den Fond eines der drei Streifenwagen bugsierten. Den älteren Polizisten, mit dem ich zuvor gesprochen hatte, zupfte ich am Uniformärmel: „Hier, das ist seine Brille! Würden Sie die bitte mitnehmen und ihm geben? Er kann doch sonst nicht richtig sehen!“ Der Polizist grinste und meinte: „Frolleinchen, da, wo der jetzt erstmal hinkommt, braucht er die Brille nicht. Nehmen Sie sie in Verwahrung.“ – „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Er muss doch richtig sehen und lesen können! Ach, bitte – nehmen Sie sie doch mit!“ Der Polizist streckte die Hand aus und meinte: „Sie hätte ich gerne mal als Anwältin, als Verteidigerin. Ich nehme sie mit. Sie haben ja Recht.“ Freddy fragte: „Und wie lange muss er bei Ihnen bleiben?“ – „Das hängt davon ab. Es ist ja Ostersonntag, und da müssen wir sehen, ob wir ihn gleich morgen früh wieder freilassen können. Ich weiß nicht, ob wir den zuständigen Staatsanwalt noch erreichen – sonst muss er bis Montag bleiben.“

Kalle musste bis inklusive Ostermontag einsitzen. Seitdem ließ er herrenlose Blondinen links liegen. Egal, ob bekleidet oder fast unbekleidet. 😉

Die Blondine mit dem „gutmütigen“ Freund durften wir in unseren Schichten allerdings noch mehrfach erleben. Einmal kamen sie ganz „harmonisch“ an und tranken mehrere Biere, wobei der reizende Freund mich aufs Peinlichste anbaggerte, und das vor den Augen seiner Freundin, die jedoch nur überirdisch lächelnd daneben saß – offenbar war sie entweder aus einer anderen Galaxie oder aus dem Alexianer-Krankenhaus für psychische Krankheiten ausgebrochen. Anders konnte ich mir ihr erratisches Verhalten nicht erklären.

Mein Tipp: Wenn Ihr immer etwas zu erzählen haben wollt, solltet Ihr als Nebenjob den des Taxifahrers auswählen – oder in einer Kneipe jobben. Gesprächsstoff garantiert! 😉

Tempi passati oder: Was man in Studentenjobs so erleben kann … (Teil 1)

Während meiner Studienzeit war es noch etwas einfacher, neben dem Studium zu arbeiten, da es noch Diplom- und Magisterstudiengänge (ach, ja, und natürlich die Staatsexamen-Studiengänge …) statt Bachelor und Master gab. Bulimielernen gab es zwar auch, aber nicht in diesem Ausmaß wie heute – in meinem Studiengang war es meist dann angezeigt, wenn man vor den Prüfungen gepennt hatte. Klar, auch wir mussten viel lernen, aber nicht zwingend auf diese nicht sonderlich effektive Weise und hauptsächlich fürs Kurzzeitgedächtnis (so klagten zumindest diverse meiner Studis).

Dieser Umstand ermöglichte uns einfacher als heute, noch nebenher zu jobben, wenn man zum Beispiel in den Urlaub fahren oder eine größere Anschaffung tätigen wollte. Einige meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen – von letzteren gab es vergleichsweise wenig – arbeiteten bei Zentis. Die Arbeit sei okay, erklärten sie, aber sie konnten keine Marmelade mehr sehen, geschweige denn essen, ganz zu schweigen von Nusspli und anderen schokoladenhaltigen Produkten dieses Aachener Produzenten. Eine weitere Kommilitonin jobbte bei „Dansk Vanilli“, einem dänischen Eisladen, in dem sogar die Waffelhörnchen selber gebacken wurden. Näherte sich die Kommilitonin dem Seminarraum, konnte man sie bereits riechen: Ein Duft von Vanille eilte ihr voraus. Ich fand es eigentlich immer ganz angenehm, neben ihr zu sitzen, denn ich liebe Vanille, aber sie klagte, sie könne duschen, bis sie umfalle – sie werde diesen Geruch nicht los und hätte ihn ständig in der Nase. Eine andere Kommilitonin jobbte in einer Frittenbude – eindeutig war der Geruch alten Frittenfetts schlimmer, und am schlimmsten, saß man zwischen Madame „Dansk Vanilli“ und Madame „Aphrodite-Grill“.

Mein erster Studentenjob trug sich ebenfalls im gastronomischen Bereich zu: bei einem bekannten amerikanischen Vertreter der Systemgastronomie mit schottischem Namen. Lange habe ich dort nicht gearbeitet, ich gebe es zu, denn ich war in der schlimmsten der Aachener Niederlassungen gelandet. Dort habe ich auch meine erste Ratte live und in Farbe gesehen, als ich – ich arbeitete an jenem Tag in der sogenannten Lobby – einen bis oben prall gefüllten Müllsack zum sogenannten Müllraum schleppte, dort die Tür öffnete, wobei mir ein unvorstellbarer Gestank und ein größeres Tier entgegenkamen. Es sah aus wie eine sehr, sehr große Maus, und ich schleuderte schnell den Müllsack irgendwohin und knallte dem Tier geistesgegenwärtig die Tür vor der Nase zu. Iiih! Offenbar gefiel es dem Nagetier im Müllraum auch nicht – und das trotz der „leckeren“ Abfälle …

Da unsere Schichtleiterin uns nur herumbosste, habe ich dann am Ende dieser Schicht gekündigt. Die Frau war unmöglich und schrie uns, die ihr Untergebenen, vor den Gästen zusammen, wenn sie meinte, das passe gerade gut. Meist ohne echten Anlass. Mich schrie sie an, als ich ein kleines Mädchen, das sich in der Damentoilette eingeschlossen hatte und des klemmenden Schlosses wegen nicht herauskonnte, vor der Tür stehend beruhigte, weil es weinte und Angst hatte. Ich versprach, jemanden zu holen, der ihm helfen könne, denn ich konnte auch nichts ausrichten, und da schrie mich meine Vorgesetzte vor den Gästen dermaßen zusammen, dass mir vor Wut fast die Tränen kamen. Sie ging dann in die Damentoilette und sprach mit liebreizender Stimme auf das heulende Kind ein.

Als dann später bei Schichtwechsel meine Ablösung nicht kam und nachdem ich dann noch eine Stunde länger hatte arbeiten müssen, war das Maß voll, und da gerade der Vorgesetzte der Schichtleiterin anwesend war, ging ich zu ihm und kündigte. Gleichzeitig beschwerte ich mich über meine direkte Vorgesetzte, die hinzugerufen wurde und die Freundlichkeit in Person mimte. Sie wollte mich als unglaubwürdig hinstellen und sprach mich direkt an, aber ich sagte zu ihr: „Mit Ihnen spreche ich gar nicht mehr!“ Man drohte mir mit disziplinarischen Maßnahmen, aber ich meinte nur: „Hier sind meine Bankverbindungsdaten. Sollte in einer Woche mein Lohn nicht da sein, hören Sie von meinem Anwalt!“ Die Wahrheit war: Ich hatte gar keinen Anwalt. 😉 Aber man gab dann Ruhe und ließ mich ziehen, nachdem ich meine hässliche Dienstkleidung in der Umkleide aus- und meine Zivilkleidung angezogen hatte. Meine Kolleginnen, die alle sehr nett waren, meinten, es sei schade, dass ich schon ginge, aber sie hätten gut gefunden, wie ich es der Schichtleiterin gezeigt hätte, die nun im Hintergrund mit ihrem Vorgesetzten ein offenbar nicht ganz so angenehmes Gespräch führte. Ich hörte nur etwas von „Ablösung nicht gekommen“, „Frau B. kündigt und droht mit einem Anwalt“, „Beschwerden auch von anderen Mitarbeitern“ und „Wenn Sie weiter so vorgehen, stehen Sie bald wieder an der Kasse“ – gut so. Damit hatte ich in dieser Institution gar nicht gerechnet! 😉

Und dann bekam ich tatsächlich einen Scheck zugeschickt …

Mein zweiter Studentenjob fand in den Semesterferien statt, bei einem großen Versand für Wolle und sonstige Handarbeitsutensilien. Ausgerechnet! Es passte zu mir wie eine Nonne ins Bordell passt, denn ich hasse Handarbeiten! 😉 Ich arbeitete in der Spätschicht, was gut war, denn es war mitten im Hochsommer und brüllend heiß in jenem Jahr. Die Frühschicht dauerte nicht nur länger und man verdiente weniger – es war auch hinsichtlich der klimatischen Verhältnisse weniger günstig. Sogar um 17 h, zu Beginn der Spätschicht, die bis 22 h dauerte, war es noch sehr warm, und da ich in der Katalogabteilung zusammen mit diversen anderen Mitarbeitern mit zwei sehr großen und lauten Maschinen arbeitete, war es nicht immer angenehm. An den Lärm, den die beiden Maschinen machten, habe ich mich schnell gewöhnt. Am schlimmsten war, dass die ganze Schicht hindurch WDR 4 lief, in voller Lautstärke, denn die Maschinen mussten ja übertönt werden, um dem anspruchsvollen Programm dieses Senders folgen zu können. 😉

Die erste Schicht war die Hölle. Ich arbeitete am Band und musste große und mit Katalogen prall gefüllte DIN-C4-Umschläge nach Postleitzahlen sortieren, was sehr schnell gehen musste, diese dann in Sechserpacks zusammenfassen und auf einen Packtisch wuchten. Eine sehr monotone Arbeit mit monotonen Bewegungsabläufen. Mit WDR 4 in meinem Rücken dachte ich nach zwei Stunden: „So habe ich mir immer die Hölle vorgestellt.“ Ich sagte es aber lieber nicht laut. Ich wollte nicht als verweichlichte Studentin gelten.  Alles, nur das nicht. Daher hielt ich tapfer durch, obwohl nach drei Stunden meine Gelenke und Sehnen zu knirschen schienen, sobald ich mich bewegte. Ich knirschte meinerseits mit den Zähnen und schaffte die fünf Stunden irgendwie. Ich hatte noch eine ganz besonders verantwortungsvolle Aufgabe: Unser Pensum ging immer bis zu einer bestimmten Postleitzahl. Tauchte die nächste auf, musste ich: „Schicht!“ brüllen, und die Vorarbeiterin schaltete die Maschine, eine riesige Kuvertiermaschine, diverse Meter lang und mit -zig seitlichen Bestückungsstationen versehen, hinter der Station, die die Heißkleberdüse und die Fixierungswalze enthielt, noch ein Fließband, aus. Danach musste die Halle gefegt werden, und dann durften wir zur Stechuhr und uns ausstempeln.

Der Heimweg nach der ersten Schicht ist unvergessen. Normalerweise hätte ich zwanzig Minuten, maximal eine halbe Stunde gebraucht. Aber ich hatte das Gefühl, mein Rücken wäre kurz vor dem Durchbrechen; meine Schultern schmerzten derart, dass ich sie verfluchte, und vom langen Stehen hatte ich das Gefühl, meine Beine wären mit Blei gefüllt. Eigentlich tat alles weh, und ich musste verblüfft feststellen, dass es Muskeln auch an Stellen gibt, an denen ich bis dato nie gemerkt hatte, dass sie existierten. Ich war kurz davor, mich an der Krefelder Straße einfach hinzusetzen und nicht mehr weiterzugehen, aber hätte ich das getan, würde ich wahrscheinlich noch heute dort sitzen – als Aachener Attraktion und Sehenswürdigkeit: „Und dieses Skelett hier sitzt schon seit Jahren an dieser Stelle. Man vermutet, dass es sich dabei um die sterblichen Überreste einer verweichlichten Studentin handelt, die vor Jahren ernsthaft glaubte, sie könne am Fließband arbeiten. Hahaha!“ Alles, nur das nicht. Und so schleppte ich mich auf dem Zahnfleisch nach Hause, wo ich noch duschte und mich dann sofort ins Bett legte, zu nichts mehr zu gebrauchen. Als ich am nächsten Morgen erwachte, war ich nicht ich selbst, und es dauerte etwa zehn Minuten, bis ich es geschafft hatte, aus dem Bett zu kommen … Und damit sollte ich am späten Nachmittag wieder antreten – wie sollte das gehen? Ich war doch erst 21 und fühlte mich wie ein Fossil! Ich habe es aber geschafft, und ab der zweiten Schicht wurde alles viel leichter. Heute denke ich gerne an den Job zurück, denn trotz WDR 4 und der allerersten Schicht des Horrors war es ganz nett dort. Eine freundliche Kollegin hat mir damals sogar ihr Rezept für „Jurkensalat“ gegeben (sie sprach Öcher Platt). War aber nicht so mein Fall – sie tat keine Sahne hinein und auch keinen Dill. 😉

Später habe ich dann in einer privaten Sprach- und Förderschule gearbeitet. Und in einer Studentenkneipe. Was ich als Thekenfrau erlebt habe, würde das hier aber sprengen – lieber in einem „Special“. 😉

Es ist immer ganz gut, sofern möglich, nebenbei zu arbeiten – man weiß unter anderem Geld mehr zu würdigen. 😉

Die Macht der Farben

Heute stolperte ich in der Mittagspause im Internet über einen wahnsinnig wichtigen und weiterführenden Psychotest. Die meisten Psychotests, die man so findet, sind Schwachsinn, machen aber Spaß. So habe ich bereits erfahren, dass ich ein sensibler, sehr tierlieber Mensch sei, der Harmonie liebe, dennoch Ecken und Kanten habe, allzu Weichgespültes hasse und trotz seines Harmoniestrebens bisweilen, wenn ein reinigendes Gewitter helfen könnte, auf Konfrontationskurs gehe. Ach! Donnerwetter. Das hätte ich ohne den Psychotest sicherlich nie erfahren … 😉 Aber Spaß macht es trotzdem, manchen Test zu machen. Man muss es von der unterhaltenden Warte sehen.

Im heutigen Test ging es um Farben. Genauer: um Lieblingsfarben. Meine ist Blau, und ich lernte, dass ich damit zur Mehrheit der Deutschen gehöre, denn ein Drittel bezeichne Blau als seine Lieblingsfarbe. Endlich einmal gehörte ich zur Mehrheit! Denn ansonsten zähle ich eher zu Minderheiten und hatte schon immer ein besonders großes Herz für Underdogs. So lernte ich, dass meine Augenfarbe weltweit die seltenste sei und nur etwa zwei bis vier Prozent der Menschen weltweit diese ihr eigen nennen könnten. Sehr schön, das gefiel mir. 😉 (Ebenso das, was man mit meiner Augenfarbe verbinde. 😉 ) Und ich gehöre zu jenen Menschen ohne Rhesusfaktor – auch eine Minderheit.

Dafür nun bei der Mehrheit im Hinblick auf meine Lieblingsfarbe. Es muss ja auch ein Ausgleich her. 😉 Der Psychotest verhieß, zu verraten, was die Lieblingsfarbe über den Charakter aussage. Es klang bereits heftigst nach Humbug, aber Humbug macht in diesem Kontext immer viel Spaß, und so machte ich den Test.

Heraus kam folgendes: Ich möge Harmonie, Gelassenheit und Freiheit. (Ach!) Ich sei treu und tiefgründig. Soso. Eine „treue Seele“ bin ich in der Tat – fragt gute Freunde! 😉 Tiefgründig? Naja, ich denke, es ist etwas Wahres dran. Allerdings, so das Testergebnis, tendierten Blauliebhaber auch zur Distanz, könnten zu den Dingen in ihrer Umwelt bisweilen Distanz aufbauen und kühl und rational agieren.

Hmmm … Ja, ich denke fast, auch da ist was dran. Hängt allerdings auch stark von den Gegebenheiten und dem Gegenüber ab. Denn oft reagiere ich erst auf Dinge, bevor ich dann „kühl und rational“ agiere. Meist spiegle ich dann aber eher das Verhalten des Gegenübers. Kommt mir jemand fröhlich, aufgeschlossen und interessiert entgegen, ist meine Reaktion auch meist so. (Es sei denn, ich habe einen richtigen Scheißtag oder kann den Entgegenkommenden nicht ausstehen. Soll vorkommen, beides.) Hat das – von mir gemochte – Gegenüber jedoch am nächsten Tag seinerseits einen Scheißtag und ist eher mürrisch, ist durchaus damit zu rechnen, dass meine Reaktion dann ähnlich ausfällt, statt einfach freundlich weiterzulächeln. Und das alles nur, weil Blau meine Lieblingsfarbe ist! Natürlich nur deshalb. 😉

Ich mag aber auch Rot – es war meine erklärte Lieblingsfarbe als Kind. Rot leuchtet so schön, sticht immer heraus, wirkt jedoch auch bisweilen – Signalfarbe – etwas aggressiv. Und so lernte ich, dass Menschen mit der Lieblingsfarbe Rot leidenschaftlich seien. Quelle surprise! 😉 Sie hätten zwei Seiten: einmal die leidenschaftliche im positiven Sinne, dann aber auch die der Wut, Rache und Zerstörungskraft. Rotliebhaber seien immer „Erscheinungen“, und Rot sei mit heftigen Gefühlen assoziiert – positiven wie negativen. Aha. Irgendwie bin ich ganz froh, dass es bei mir nur auf Platz 2 liegt, allerdings dicht hinter Blau. Was sagt das nun über mich aus? 😉 Offenbar bin ich ein gegensätzlicher Mensch. Eine gute Freundin sagt über mich, ich sei sehr facettenreich – ich sollte sie mal über meine Lieblingsfarbe und die Zweitlieblingsfarbe aufklären. 😉

Grün: Es gibt so schöne Grüntöne, und ich liebe Türkis, aber da ist ja auch Blau drin – aber mit Grün hatte ich irgendwie nie so viel am Hut. Zum Glück. Denn die Auswertung zur Farbe Grün war nicht mein Ding. Stabiles Image ausstrahlen wollen? Nicht meins. Vielleicht verbinde ich damit aber auch nur Langeweile – das mag sein. Geld haben wollen? Erfolgreich sein? Beides schön und auch von mir gewünscht, aber Geld ist nicht alles, und mir reicht eigentlich eine gewisse Anerkennung, und ich brauche nicht den ganz großen Erfolg oder dauerhafte Erfolge. Mir reichen bisweilen auch kleine solche. Bei Grünliebhabern müsse sich immer alles bewegen, aber nie dürfe dabei der sichere Boden unter den Füßen verloren werden. Hallo? Was ist das denn? Warmduschen? Beckenrandschwimmen? Ich liebe zwar auch gewisse Sicherheiten, aber mir ist auch klar, dass man manchmal Dinge wagen muss, ebenso, dass man dabei zwar untergehen kann, aber nicht muss, sondern dann mit einem Zugewinn aus der Sache herausgehen kann. Grün ist nicht meine Farbe – ich wusste es doch! 😉 Oder? Ganz sicher bin ich mir nicht.

Gelb ist schön als Raumfarbe. Als Kleidungsfarbe fand ich es schon immer gewöhnungsbedürftig, und es steht mir auch nicht. Aber was sagt der Test über Gelb aus? Aha, die Farbe der Optimisten. Dann ist sie nichts für mich. Ich bin zwar manchmal durchaus optimistisch, aber es ist nicht meine stärkste Seite, um es euphemistisch auszudrücken. 😉 Daueroptimisten stehe ich generell sehr skeptisch gegenüber. 😉 Gelb-Fans gäben nicht auf, stand da noch. Ah, ja. Ich gebe auch nicht auf, aber ich käme nie im Traum auf die Idee, Gelb als Lieblingsfarbe zu bezeichnen. Außerdem sei es eine eher unruhige Farbe.

Tja. Ich als Blauliebhaberin mit einer kleinen Schwäche für Rot sollte mich vielleicht auf Violett einschießen, oder? Ach, nein, das geht ja auch nicht! Denn ich werde niemals einen meiner Aachener Professoren vergessen, der sogar kleiner als ich ist, bedrohlich wirkende Augenbrauen hat, die ihm annähernd in die Augen wuchern, und Belgier ist. Verzeihung, er ist natürlich Flame, nicht etwa Wallone – darauf bestand er immer. Wallonen begegnete er stets mit einer gewissen Skepsis, die man auch als Aversion bezeichnen könnte. Dieser Professor – er hat fast den gleichen Sprachduktus wie der verstorbene Marcel Reich-Ranicki – äußerte einmal in einem Exkurs über Farben folgendes: „Misstrrraauuään Sie stets Menschen, die Violett, auch Lila genannt, als ihrrrää Lieblingsfarrrbää bezeichnen! Diese Menschen können sich nicht entschaaiiden zwischen Rrrot und Blaauu! Diese Menschen sind zwiespältig – halten Sie sich von ihnen bässäärrr färrrn! Eine sährrr dubiose Saache! Märrrkään Sie sich maaiine Worrrtää!“

Ich fand den Farb-Exkurs angesichts der Tatsache, dass wir eigentlich nicht Farbpsychologie, sondern Literaturwissenschaften studierten, meinerseits etwas dubios. Aber mittwochs habe ich dann doch lieber nie wieder meinen schönen, violetten damaligen Lieblingspullover getragen, wenn wir Tutorium bei Professor D. hatten: nicht, dass er sich das merken würde und ich bis zum Examen stigmatisiert wäre, das ich dann meiner dubiosen Farbvorliebe wegen nicht bestehen würde. 😉

Ich liebe Blau, ich bleibe dabei, ebenso Rot, aber nicht ganz so sehr. Und wenn mich das zu einem gegensätzlichen Menschen macht: bitte sehr! Ich stand noch nie auf Mainstream. 😉

Und wer an Psychotests glaubt, ist schlimmer als jeder Violett-Liebhaber … 😉 Aber Spaß machen sie! 😉