Non scholae, sed vitae discimus …

Dieses klassische Zitat kann ich eigentlich nicht mehr hören, zumal es mir während meiner Schulzeit von verschiedenen Lehrern vorgetragen wurde, deren größerer Teil diese weisen Worte jedoch nicht selten Lügen strafte. Aber ich will hier nicht über Lehrer meckern – viele machen einen guten Job, und die anderen sollten sich in die Ecke stellen oder nachsitzen.

Aber das Zitat ist wahr, denn wir lernen tatsächlich fürs Leben. Heute wurde für das Leben mit dem PC gelernt, denn vor einigen Wochen rief meine Patentante mich an, die sich nun auch endlich einen Computer zugelegt hatte. Nun nutzt so ein Computer wenig, wenn man nicht weiß, wie man damit umgehen muss, und so rief mich Tante Marieluise dann auch an und meinte: „Mein liebes Mädchen, darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ Ich zögerte zunächst – was mochte dahinterstecken? Es ist ja so, dass man sich, sagt man umgehend ja, möglicherweise etwas ans Bein bindet, was man eigentlich gar nicht will. Ähnlich so wie bei Erbschaften, die man freudig bewegt annimmt, nur um dann festzustellen, dass man eklatante Schulden geerbt hat. So fragte ich vorsichtig: „Worum geht es denn?“ Da erzählte mir Tante Marieluise von der Anschaffung eines Laptops, der bereits eingerichtet sei. Aber sie wisse nicht, wie man damit umgehe, da sie damit noch nie zu tun gehabt habe. Ich dachte mir: „Den Bock zum Gärtner gemacht,“, denn auch ich schieße manchmal versehentlich den einen oder anderen Bock im Umgang mit dem PC, aber für den täglichen Gebrauch reicht es durchaus. Und so sagte ich zu.

Heute fuhr ich hin. Tante Marieluise begrüßte mich freundlich-energisch, wie es so ihre Art ist. Der Laptop stand bereits auf dem Tisch. „Hast du WLAN?“ fragte ich meine Tante. Die sah mich etwas misstrauisch an und meinte schließlich: „Äh, ja.“ – „Hast du auch die Unterlagen dazu? Ich brauche den WLAN-Schlüssel. Sonst kein Internet.“ Tante Marieluise ist zum Glück erheblich organisierter als ich, und so hatte sie die Unterlagen auch sofort zur Hand. Ratz-fatz tat ich, was zu tun war und meinte: „So, jetzt hast du Internetzugang. Aber ich erkläre dir lieber alles von der Pike an, damit du auch mit Word umgehen und problemlos Briefe schreiben kannst, mit Kopf- und Fußzeile und allem Schnick und Schnack.“ – „Ach, Kind, Briefe schreibe ich meist von Hand.“ – „Auch ans Finanzamt oder sonstige Behörden? Reklamationen? Beschwerden und Widersprüche? Von Hand?“ – „Nein, da gehe ich persönlich vorbei oder rufe an.“ – „Es ist sinnvoll, solche Sachen auch schriftlich zu haben.“ Au weia – ich klang schon wie mein Vater … 😉

Tante Marieluise sah zu dem Zeitpunkt schon drein, als hätten sie Zweifel am Entschluss, mich als Lehrerin angeheuert zu haben, überfallen. Ich ließ mich nicht beirren, ich bin den Umgang mit Zweiflern gewohnt. 😉

Wir saßen nebeneinander vor dem Laptop, sie rechts, ich links, und ich fuhr zunächst den Rechner wieder herunter. „Warum das jetzt? Fangen wir nicht gleich an?“ fragte mich meine Tante. „Doch, doch – ich möchte nur, dass du den Rechner selber startest.“ – „Ach, Kind, warum machst du das nicht?“ – „Ich bitte dich! Willst du mich jedes Mal anrufen, wenn du den Rechner benutzen willst? Du traust dir zu wenig zu. Los!“ Auch ich kann sehr energisch sein, wenn ich will. Tante Marieluise startete den PC vorschriftsmäßig und problemlos. Ich fing bei Adam und Eva an, und gemeinsam legten wir ein Word-Dokument an. Ich zeigte ihr alles, was sie wissen musste, alle für sie wichtigen und relevanten Funktionen, und wir kreierten einen Brief mit Kopf- und Fußzeile.

Ich gebe zu, es war nicht ganz einfach, denn mein Unterricht wurde untermalt von vielerlei Lauten und Ausrufen der Resignation. „Das kann ich nicht!“ „Das klappt bei mir nie!“ – „Siehste, ich wusste doch, dass ich das nicht hinbekomme!“ – „Wie speichere ich noch einmal ab? Ach, ich bin zu blöd dazu!“

Noch energischer erklärte ich meiner Tante, sie sei keineswegs zu blöd, sondern zu ungeduldig. Sie beantwortete dies damit, dass sie ja noch den Kuchen, den sie extra für mich vorbereitet hätte, in den Ofen schieben müsse. Nun gut, gegen eine kleine Pause war nichts einzuwenden, und während Tante Marieluise sich der Zubereitung des Kuchens widmete, ging ich auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Irgendwie war die auch nötig. 😉 Nicht etwa, weil meine Tante sich ungeschickt angestellt hätte, denn das tat sie gar nicht, sondern weil sie andauernd lamentierte, sie könne dies und schaffe das nicht.

Bilder vergangener Zeiten tauchten vor meinem geistigen Auge auf: Ali als Gymnasiastin am elterlichen Esstisch, daneben ihr Vater, der nach dem Abendessen seiner „Jüngsten“, wie er das immer nannte, als habe er ein ganzes Mädchenpensionat und nicht „nur“ zwei völlig verschiedene Schwestern großgezogen, Mathe und Physik einzutrichtern versuchte. Oft endete dies in Tränen. Nicht bei meinem Vater, mehr bei mir. Mein Vater verstand nicht, dass ich eine echte Blockade hatte und dachte stets, ich sei „bockig“, wie er das nannte. Und so sagte er immer wieder mit Unverständnis in Stimme und Verhalten: „Du bist doch ein intelligentes Mädchen – sei doch nicht so bockig!“ Das ließ mich stets besonders verzweifelt reagieren, weil ihm nicht klar war, dass ich wirklich blockiert war, schon schweißnasse Hände bekam, wenn ich mir jedwede Aufgabenstellung nur ansah und in meinem Gehirn Aufruhr herrschte – Aufruhr der unproduktiven Art. 😉 Aber möglicherweise war auch mein eigenes Verhalten für sein Verhalten mitverantwortlich, denn mit Schaudern dachte ich daran zurück, wie ich wie ein Mantra und zum Schluss wie ein heulendes Nebelhorn geklagt hatte: „Das kann ich ohnehin nicht.“ Oder: „Das begreife ich nie.“ Mir wurde – spät, aber immerhin – klar, wie zermürbend das für jemanden ist, der jemand anderem etwas beibringen will.

Der Kuchen war im Rohr, und Tante Marieluise fragte, ob sie mir eigentlich schon die Bilder von ihrem letzten Urlaub gezeigt hätte. Raffiniert! 😉 Freundlich, aber bestimmt erklärte ich ihr, die würde ich mir gerne nach erfülltem Auftrag, für den sie mich immerhin extra habe kommen lassen, ansehen – jetzt gehe es erst einmal weiter. Ihr Gesichtsausdruck war das Gegenteil von „begeistert“, aber da bin ich gnadenlos. Ich kenne die Tricks. Die habe ich auch drauf. Je nachdem, an wen man gerät, funktionieren sie auch, aber eben nicht immer. 😉

Ich richtete ihr einen Mailaccount ein, wies sie dann in den Umgang mit dem Internet ein, schrieb mir selber eine Testmail, um zu überprüfen, ob alles funktioniere. Dann sagte ich ihr: „Und nun du. Jetzt schreibst du mir eine Mail.“ – „Ach, Kind, was soll ich denn schreiben?“ – „Völlig wurscht, schreib irgendetwas, was dir in den Sinn kommt.“ Unterbrochen wurde ich davon, dass Tante Marieluise im Garten Ungeheuerliches entdeckte: „Da! Schon wieder das schwarze Eichhörnchen, das das arme rote Eichhörnchen jagt!“ – „Wie meinen?“ – „Die leben beide in meinem Garten, verstehen einander aber nicht, und das schwarze verprügelt das rote immer! Moment! Da muss ich …“ – „Nix da! Sitzenbleiben! Du schreibst mir erst eine Mail!“ – „Mir fällt partout nichts ein.“ – „Schreib einfach einen Testsatz. Schreib: ‚Das schwarze Eichhörnchen ist ein Arschloch.‘“ Tante Marieluise starrte mich perplex an, dann schüttelte sie den Kopf: „Du kommst auf Ideen!“ – „Ich liebe plastische Beispiele.“ – „Plastisch? Eher drastisch.“ – „Das meinte ich. Meine Studis mochten das immer.“ Tante Marieluise grinste, dann tippte sie energisch mein hübsches Beispiel an die richtige Stelle und schickte die Mail gekonnt ab. Und war ganz begeistert, als diese Mail in meinem Account im Posteingang erschien. Ich freute mich auch, endlich war sie überzeugt, dass sie das ganz problemlos …

Aber was war das? Dunkle Wolken zogen im Antlitz meiner Tante auf, und sie sagte mit dräuendem Unterton: „Morgen habe ich das alles wieder vergessen – ich kriege das nicht hin.“ Aaah!

Das Schrillen des Küchenweckers unterbrach sie, und irgendwie erleichtert sprang sie auf und rief: „Ich muss den Kuchen aus dem Ofen holen! Und dann muss ich Sahne schlagen!“ – „Halt! Erst loggst du dich aus, schließt alle Anwendungen und fährst den Rechner herunter!“ Murrend kam sie meiner Aufforderung, die eher ein Befehl war, nach. Na, also – klappte doch alles. Dann eilte sie in die Küche und rief: „Aber danke schön, dass du mir das alles erklärt und gezeigt hast!“ – „Wieso das? So weit sind wir noch nicht! Nach dem Kaffee startest du den Rechner wieder, und dann schauen wir mal, ob du dir auch alles gemerkt hast!“ Ich hörte diffuses Gemurmel aus der Küche, und einmal glaubte ich beinahe, das Wort „Sklaventreiberin“ oder etwas Ähnliches vernommen zu haben. Aber ich bin mir sicher, ich habe mich nur verhört. 😉

Nach dem Kaffee nebst Pflaumenkuchen ging alles prima. Allerdings untermalt mit weiteren Tiraden: „Ich kann das nicht! Da, sieh mal – ich bin zu blöd!“ – „Noch einmal: Du bist nicht zu blöd – es klappt doch alles! Du bist zu ungeduldig und blockierst dich selber. Und ich will das jetzt auch nicht mehr hören.“

Etwas erschöpft fühlte ich mich, als ich meine Tante den Rechner final – zumindest für heute – herunterfahren hieß. Ich trug ihr auf, das gleich morgen und in den Folgetagen weiter zu üben, und da sah ich schon wieder dunkle Wolken, und meine Tante öffnete schon den Mund, aber ich sagte: „Nein! Nicht. Einfach machen. Und wenn etwas ist, rufst du mich an.“ Sie packte mir daraufhin noch ein paar Stücke Pflaumenkuchen sowie einige Äpfel aus dem Garten ein, und ich fuhr nach Hause.

Und was meine Tante nicht weiß: Morgen rufe ich sie an und frage, ob sie schon am Rechner sitze … 😉

Für Papa. Ich weiß, was er mit mir, Mathe und Physik mitgemacht hat. 😉

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