Zwar stehen die nächsten Wahlen hier erst wieder anno 2017 an, unter anderem die Bundestagswahl, auf die ich gespannt bin, aber ich weiß schon jetzt, wer dann wieder als Wahlhelferin tätig sein wird, am Wahlsonntag ganz ungewohnt um 6 Uhr früh aufsteht, weil sie spätestens um 7:30 Uhr im Wahllokal sein muss: ich.
Ich tue das beileibe nicht freiwillig, auch wenn sich das Wort „Ehrenamt“ so wunderbar selbstlos anhört. Ich habe auch schon ehrenamtlich gearbeitet, im Krankenhaus, aber dieses Ehrenamt hatte ich mir höchstselbst ausgesucht und das auch nie bereut. Hier ist es etwas anders … Es ist auch kein „Ehrenamt“ an sich, da man eine finanzielle Entschädigung und sogar einen Urlaubstag bekommt, aber wer mich kennt, weiß, dass mir Ausschlafen an Sonntagen wirklich heilig ist. 😉
Ich arbeite im öffentlichen Dienst, und da ist es üblich, dass der Arbeitgeber sämtliche Mitarbeiter, die am Standort der Institution, in der sie arbeiten, leben, der Stadt, der Kommune quasi anbietet, als Wahlhelfer tätig zu sein. Und ich lebe am Standort meines Arbeitgebers. Acht Jahre lang war ich bereits feilgeboten worden, aber verschont geblieben. Just anno 2013 traf es mich, als ich gerade umgezogen war. Die Benachrichtigung war mit einem Sonderboten übermittelt worden, und nur der Tatsache, dass ich wegen eines defekten Eckventils in der Küche täglich in die alte Wohnung musste, um den unter dem leckenden Ventil stehenden Eimer zu kontrollieren, gegebenenfalls zu leeren, bis endlich der Installateur kam, war zu verdanken, dass ich die Aufforderung – denn nur so kann man es nennen, obwohl ich auch gern den Begriff „Vorladung“ verwende – überhaupt entdeckte. Da man sich nicht so einfach aus der Affäre ziehen kann, sondern seine Teilnahme auch noch formal bestätigen muss, sonst Strafe, da Ordnungswidrigkeit, habe ich noch einmal Glück gehabt.
Im September war dann Wahltag, und das war schon mit Problemen verbunden. Das Wahllokal befindet sich in einer Schule in der Nähe meiner Wohnung. Die Schule ist von anderen Schulen quasi umzingelt, und diese sind voneinander durch Gitter und Zäune getrennt. Es gibt aber auch Tore in diesen Gittern und Zäunen, und ich hatte vorher noch nachgefragt, ob diese am Wahlsonntag auch geöffnet seien, wie sonst immer, denn ansonsten hätte ich einen größeren Umweg gehen müssen. Und ich bin ja nun einmal kein Morgenmensch und geize wirklich mit jeder Minute, die ich länger im Bett liegen kann.
Ich hatte daher am Wahlsonntag den kurzen Weg einkalkuliert, musste dann aber feststellen, dass sämtliche Tore verschlossen waren. Und ich lag ohnehin schon nicht ganz so gut in der Zeit, hatte die „Snooze“-Funktion meines Weckers und Smartphones, von der ich ja behaupte, man habe sie für mich erfunden, wirklich ausgereizt … 😉
Fluchend stand ich vor dem Hindernisparcours, als der Hausmeister einer der Schulen auf den Plan trat. Ich rief ihm zu, warum denn alles verschlossen sei – man habe mich diesbezüglich anders informiert. Er rief zurück: „Weil Sonntag ist!“ Er war auch nicht bereit, ausnahmsweise mal für mich aufzuschließen, obwohl ich ihm mitteilte, ich sei eine Person von Bedeutung an diesem Wahlsonntag. (Gut, ich habe es etwas anders ausgedrückt.) Na, toll! Ich musste also über diverse Zäune und Gitter klettern – außen herum zu laufen, hätte noch mehr Zeit gekostet. Fluchend kam ich am Wahllokal an, einige Minuten verspätet. Der Stellvertretende Wahlvorstand begrüßte mich grinsend, sah auf seine Armbanduhr und meinte: „Frau B. – Sie sind ein wenig verspätet. Wie auch manchmal bei der Arbeit.“ Ich grinste auch – es war ein Arbeitskollege von mir … Mit dem hatte ich zuvor eher einen distanzierten Umgang gehabt, sehr förmlich. Viel geändert hat sich am Wahlsonntag auch nichts, aber nachdem abends alle Stimmen ausgezählt waren, meinte er zu mir: „Frau B., ich fand es nett, dass wir hier heute zusammen gearbeitet haben, und mit Ihnen kann man auch gut arbeiten.“ – „Danke, dito“, sagte ich etwas vorlaut, denn der Kollege ist mir übergeordnet.
Mein zweiter Einsatz fand 2014 statt. Ich war superpünktlich und diesmal auch nicht über Zäune und sonstige Hindernisse geklettert. Von der „alten Mannschaft“ fand ich nur eine sehr nette Dame aus dem Bürgerbüro vor, die die Funktion der Schriftführerin innehat und immer Namen abhaken muss. Ich begrüßte sie freundlich, und sie meinte: „Schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen – die anderen kenne ich nicht.“ In der Tat, es waren völlig andere Leute da als beim letzten Mal. Der Wahlvorstand war nervös bis zum Abwinken, und er schien mir Herz-Kreislaufpatient zu sein, eindeutig übergewichtig und schon morgens schweißgebadet. Ich vermute, er mochte seinen Einsatz auch nicht.
Er zählte uns durch: Seine Stellvertreterin, eine sehr nette junge Grundschullehrerin, war zugegen, die Erste Schriftführerin, zwei Erste Beisitzer und ein Zweiter Beisitzer. Zwei fehlten, da es ja eine Früh- und eine Spätschicht gibt. Doch da flog auch schon die Tür auf, und die Zweite Schriftführerin, wie sich herausstellte, nahte. Die Erste Schriftführerin, meine mir schon bekannte „Kollegin“ aus dem Bürgerbüro, zuckte zusammen: „O je, das ist eine Klientin von mir. Das wird nicht lustig.“ – „Ach, das ist eine KlientIN! Ich war mir nicht ganz sicher.“ So gab ich zurück, und Frau N. aus dem Bürgerbüro lachte gequält.
Ihr Lachen ging in einem dröhnenden Ausruf des weiblichen Neuankömmlings unter: „Na, Jungs und Mädels! Da bin ich! Ich bin als Zweite Schriftführerin bestellt!“ Wir, die „Jungs und Mädels“, sahen einander irritiert an. Wir waren alle jenseits der Zwanziger und mehr oder minder arrivierte Personen. Auch vom Stil her ganz anders als die Dame, die gleich: „Wat liecht denn getz an?“ rief.
Der Wahlvorstand erklärte, wir müssten nun noch Wegweiser mit der Aufschrift „Wahlbezirk 08/15“ draußen aufhängen, und „Madame Wat-liecht-denn-getz-an“ eilte gleich mit einer Rolle Tesafilm und den Schildern auf den Schulhof. Wir atmeten nach dem ungewohnten morgendlichen Schrecken auf und hängten unsererseits Wahllisten und Stimmzettel zur Ansicht an die Eingangstür der Schule. Praktischerweise hatte der Hausmeister in seinem Kabuff einen elektrisch betriebenen Tesa-Abroller, der bequem Tesastreifen in vermutlich genormter Länge produzierte. Ein immenser Vorteil, wie wir feststellen mussten, als unsere Zweite Schriftführerin von ihrer Mission zurückkehrte, die Tesarolle durch den Raum schmiss und dabei zu unserer Erbauung pöbelte: „Dat Tesading da kann sich die Stadt dahin schieben, wo die Sonne nich scheint. Kein Abroller – ich happ die Streifen mitte Zähne abreißen müssen! Die vonne Stadt solln sich dat Ding dahin schieben, wo die Sonne nich scheint, und ich glaube, ich muss nich ääaklääan, wattich damit meine, ne?“ Nein. Das musste sie nicht. Wir standen alle irgendwie erstarrt da, auch um die Ecke im Wahllokal 08/16 verstummten sämtliche Wahlhelfer. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Aber nicht für lange, denn Madame schnaubte den Wahlvorstand an: „Wann müssen wa denn getz aabeiten? Sind die Schichten schon eingeteilt?“ – „Sie erklären mir bitte nicht meine Arbeit,“, gab der Vorstand zurück. Es herrschte morgens um kurz vor 8 schon ganz harmonische Stimmung, genau so, wie ich es liebe. 😉
Ich will bei so etwas immer die Frühschicht – wenn ich mich schon um 6 oder etwas später aus dem Bett quäle, möchte ich dann wenigstens gleich loslegen, und so meldete ich mich für die Frühschicht von 8 bis 13 Uhr, ebenso die Erste Schriftführerin, und auch die Stellvertreterin unseres Wahlvorstandes wollte gerne mit uns dableiben. Es entstand noch beinahe Streit zwischen Erster und Zweiter Schriftführerin, da Letztere auch lieber vormittags arbeiten wollte. Ich hoffte, ich würde in diesem Fall noch auf den Nachmittag umschwenken können … Aber die Erste Schriftführerin behielt die Nase vorn, ich blieb dann auch bei meiner ursprünglichen Absicht. Nur die Stellvertreterin des Vorstandes musste nachmittags antanzen, da der Wahlvorstand behauptete, er müsse zwingend vormittags da sein. Ich vermute, er behauptete dies angesichts der Tatsache, dass auch er sich außerstande sah, mit der Zweiten Schriftführerin fünf Stunden am Stück zu arbeiten, ohne Mordgelüste zu verspüren …
Wir traten vormittags mit vier Leuten an, der Zweite Beisitzer der Nachmittagsschicht war nicht erschienen, so bestand diese nur aus drei Personen, von denen zwei mein volles Mitgefühl hatten.
Ich bin immer als Erste Beisitzerin tätig, eine wirklich sehr verantwortungsvolle Tätigkeit, jawohl! 😉 Denn ich händige den Wählern ihre Stimmzettel aus, nachdem ich zusammen mit der Schriftführerin geprüft habe, ob sie wahlberechtigt seien. 😉 Wirklich sehr anspruchsvoll. Diesmal musste ich zusätzlich den Zweiten Beisitzer beaufsichtigen, der auf der anderen Seite neben den Urnen saß und nur Verwirrung stiftete. Gleich der allererste Wähler um kurz nach 8 warf auf des Zweiten Beisitzers Geheiß seine Zettel in die falschen Urnen, obwohl vorher ganz genau besprochen worden war, was wohin gehörte. Dreimal. Der arme Wähler, ein freundlicher, älterer Herr, war ganz verzweifelt! „Ist meine Wahl denn nun überhaupt gültig?“ fragte er ein ums andere Mal, und ich versicherte ihm, dass dies der Fall sei, da die unterschiedlichen Stimmzettel ja verschiedene Farben hätten – er solle sich nicht sorgen. Herausholen könnten wir sie leider nun nicht mehr, da die Urnen versiegelt seien. Aber beim Auszählen der Stimmen würde dann alles richtig zugeordnet. In meine Erläuterungen hinein fragte der Zweite Beisitzer den armen Erstwähler: „Haben Sie den europäischen Zettel denn in die große Urne geworfen?“ – „Welchen europäischen Zettel?“ stammelte der arme Mann verwirrt. Ich gebe zu, auch meine Kollegin und ich waren zunächst verwirrt, denn im Grunde waren ja alle Stimmzettel europäischer Herkunft. Gut, woher das Papier stammte, wussten wir nicht, aber von europäischen Druckereien angefertigt waren die Formulare! Aber da wir ja unter anderem Europawahl hatten, war uns dann recht schnell klar, dass es sich wohl um den Europawahl-Stimmzettel handeln musste.
Als um 13 Uhr dann Schichtwechsel war, rannte ich zur Nachbarschule und wählte selbst. Um 18 Uhr musste ich wieder antreten zum Auszählen der Stimmen. Unser Zweiter Beisitzer war nicht wieder erschienen – ich hatte gleich gewusst, es war ein Fehler des Wahlvorstandes, uns unsere finanzielle Entschädigung nach der Frühschicht zu geben -, aber in diesem Falle war es eine Wohltat. Wir hatten schon durch die Zweite Schriftführerin genug Ärger, denn sie stiftete ebenfalls Verwirrung, warf dauernd die bereits geordneten Zettel durcheinander – es gab keinen, der sie nicht am liebsten gemeuchelt hätte. 😉
Erheblich in Verzug, hatten wir dann schließlich alle Stimmen ausgezählt, und die schlimmste Verletzung, die sich die Beteiligten dabei zuzogen, war keineswegs durch – wenn auch nachvollziehbare – rohe Gewalt begründet, sondern durch Papierschnitte. Und zum Glück wurde unser OB in seinem Amt bestätigt, denn ansonsten hätten wir am folgenden Sonntag noch einmal zusammenkommen müssen – in derselben Besetzung. Das hätte wohl nicht nur meine soziale Kompetenz eindeutig überschritten … 😉
Geht bitte immer wählen, und wenn es nur deshalb ist, den Stress der Wahlhelfer zumindest zu rechtfertigen. 😉 Und solltet ihr selber mal in die Lage kommen, als Wahlhelfer tätig werden zu müssen: Macht es wie ich – tragt es mit Fassung. 🙂