Frust? Kein Problem! ;-)

Kennt Ihr das auch? Ihr hattet einen total doofen Tag: Chef/Chefin doof, Kollege/Kollegin mies drauf, nix klappt, man hat euer Dienstjubiläum vergessen, plötzlich steht der Ex im Büro und erklärt, es sei doch doof, dass gar kein Kontakt mehr bestünde, ein wichtiger Termin platzt, und ihr habt obendrein Kopfschmerzen. Wahlweise auch Zahnschmerzen. Bei letzteren rate ich: Geht so schnell wie möglich zum Zahnarzt! Zu den anderen Dingen: Den Chef oder die Chefin ertragen – es bleibt eh nichts anderes übrig, desgleichen Kollegen oder Kollegin, zumal ihr selber ja auch mal mies drauf seid. Dienstjubiläen werden im Allgemeinen ohnehin überschätzt. Und den Ex, zu dem ihr bewusst und mit Gründen keinen Kontakt mehr wollt, werft ihr am besten achtkantig aus dem Büro, am besten mit den Worten: „Du gehörst nicht mehr zu meinem Leben. Adieu!“ Oder Vergleichbarem. Eignet sich am besten, wenn der Ex die Trennung herbeigeführt hat, und das so dämlich, wie möglich. Und sollte immer überzeugt geschehen. Umgekehrt sollte man etwas behutsamer sein. 😉 Der geplatzte Termin ist ärgerlich, und die Kopfschmerzen sind es auch.

Am liebsten würdet ihr nach Hause gehen und die Bettdecke über den Kopf ziehen? Aber nein! Es gibt doch viel schönere Möglichkeiten, für Kompensation zu sorgen! 😉 Zumal ihr, wenn ihr nach Hause geht, unter Umständen nur feststellt, dass ihr demnächst den Anstreicher kommen lassen müsst, da Rauchen in der Wohnung nicht unbedingt der Makellosigkeit der Wände und Decken Vorschub leistet (daher rauche ich nur im Wohnzimmer – besser ein Zimmer als die ganze Wohnung streichen lassen zu müssen). Auch das kann deprimierend wirken. Stattdessen kann man ins Kino gehen und sich einen Film ansehen. Die Wahl des Genres obliegt euch ganz allein – gut sind Komödien, aber manchmal, in schlimmeren Fällen, ist es auch hilfreicher, irgendeinen blutrünstigen Splatterfilm zu sehen. Danach geht es meist besser. Psychologisch ausgefeilte und künstlerisch wertvolle Filme sind eher ungeeignet, da man Gefahr läuft, danach ins Grübeln zu verfallen, und Grübeln ist stets kontraproduktiv.

Alkohol kann helfen, zumindest primär, führt aber unter Umständen und je nach Menge zu einem Kater und schlimmeren Kopfschmerzen. Nicht zu empfehlen oder nur bedingt und in Maßen.

Ich selbst verfolge einen ganz anderen Ansatz, der allerdings auch nur angeraten ist, wenn der Hintergrund zumindest einigermaßen stimmt: Ich gehe in die Stadt und schaue mich mal so um. Zunächst. Meist entspringt meinem Gehirn dann der spontane Gedanke, dass ich dringend neue Ohrringe benötige – die, die ich sonst immer trage, kennen ja schon alle, auch wenn es viele verschiedene sind. Natürlich nur Modeschmuck – ich heiße ja nicht Krösus. Oder, in meinem Falle, Krösa. Oder ich schaue mal, was bei „Müller“, „Douglas“ oder „Pieper“ so an Parfums angeboten wird – natürlich nur, um zu schauen. Selbstredend. Und dann freue ich mich immer, wenn man mir an der Kasse noch zwei, drei Parfumproben mitgibt, während man das soeben von mir frisch erworbene – „nur mal schauen“ – Parfum in eine mehr oder minder nobel aussehende Tüte packt.

Seit gestern besitze ich ein neues Paar Stiefel. Eigentlich sind es Stiefeletten, aber mit flachem Absatz. Die waren so schön jeansblau, dass ich eigentlich gar nicht anders konnte, nachdem ich meinen Arbeitsplatz verlassen hatte, wo ich erfahren hatte, dass eine ganze Gruppe Kolleginnen, die im Grunde die gleiche Arbeit wie ich machen, eine Gehaltsgruppe höhergestuft worden sei, während meine vier Kolleginnen auf unserem Flur und ich leer ausgegangen sind. Ich führte zwar direkt mit dem Chef ein Gespräch, in dem ich sehr energisch fragte, wie das sein könne und dass dies nicht gerecht sei, aber viel erreicht habe ich nicht. Und da dachte ich mir dann nach Feierabend, ein kleiner Spaziergang könne nicht schaden. Und der führte durch die Stadt. Und ich habe doch auch sonst fast nur schwarze Schuhe – das ist langweilig. 😉 Interessanterweise habe ich das erste Schuhgeschäft, das am Weg lag, noch hinter mir gelassen, weil ich dachte: „Nein! Du hast mehr als genug Schuhe und erst neulich für diese Abendveranstaltung ein Paar gekauft.“ (Schwarz.) Ich fand mich kolossal vernünftig, aber dann passierte Furchtbares: Als das nächste Schuhgeschäft schon in greifbarer Nähe war, kam es zu einem Stau in der Fußgängerzone, da zwei Mütter mit Kinderwagen meinten, mitsamt den sperrigen Baby-Nobelkarossen mitten auf der Hauptstraße stehenbleiben und plaudern zu müssen. Und das ungeachtet der Tatsache, dass sie den Verkehrsfluss massiv behinderten und partiell zum Erliegen brachten. Ja, was blieb mir denn da anderes übrig, als auszuweichen? Und das direkt in den Eingang des Schuhgeschäftes, in dem fatalerweise schon diverse Ausstellungsregale standen, der Wirkungsweise eines Fliegenfängers nicht unähnlich? Und auf einem dieser Regale eben jene faszinierenden jeansblauen Stiefel? Und meine Lieblingsfarbe ist Blau … Ja, was blieb mir denn übrig? 😉 Das werdet ihr sicherlich nachvollziehen können, oder? 😉

Meine Stiefel fanden heute bei der Arbeit sehr viel Anklang. Nicht so sehr bei meinen Füßen, nachdem sie etwa fünf Stunden darin steckten, aber das ist normal bei neuen Schuhen und wird sich sicherlich ändern. Und kombiniert mit blauen Ohrringen und anderen Accessoires, passen sie auch so gut zu dem neuen dunkelgrauen Pullover, den ich heute … ooops! 😉

Mein Plan fürs Wochenende steht übrigens schon fest: Ich werde meinen Kleiderschrank nebst Schuhschrank sichten und alles, was ich nicht trage, in einen Müllsack packen (oder in mehrere) und sinnvoll und nutzbringend für andere entsorgen. Hat von euch zufällig jemand Schuhgröße 38 und braucht dringend ein Paar hochhackige schwarze Glattleder-Stiefeletten, in denen ich einmal so schlimm umgeknickt bin, dass ich erst glaubte, mein Knöchel sei gebrochen? Eine kurze Übergangsjacke in Violett? Ein Paar Jeans in Größe 36 (dem Prinzip Hoffnung folgend)? 😉

Und ich dachte, ich sei nicht schuhanfällig …

Frustkäufe können durchaus erfreulich sein, sollten aber nie allzu emotional beladen erfolgen. Eine gewisse Ratio sollte dabei sein – deren Fehlen habe ich mir hinsichtlich der neuen Stiefel wenigstens nicht vorzuwerfen. Bei anderen Käufen, die ich mir schon so geleistet habe, muss ich hingegen kurz zuvor einen besonders heftigen Schicksalsschlag mit anschließendem Blackout erlitten haben – zumindest könnte man es meinen. 😉 (Aber ich denke – oder hoffe! -, das kennt jeder irgendwie.) Daher mein Rat an dieser Stelle: Immer zweimal nachdenken, denn dann sind Käufe, dem Frustmotiv folgend, durchaus bereichernd. Und natürlich solltet ihr euch nicht verschulden – das wäre dumm. 😉 Noch besser wäre es, wenn ihr gar keinen Grund zum Frust hättet. 😉

Das wünsche ich euch jedenfalls – und mir selber auch. 😉

Wenn auch all meine Beiträge mit einem gewissen Augenzwinkern geschrieben sind, so ist es dieser ganz besonders. Denn so viele Frustkäufe habe ich gar nicht zu verbuchen. Glaube ich. Oder? 😉

Home, sweet home …

Es ist ja so, dass die meisten, eigentlich alle Menschen eine Heimat besitzen. Ich habe sogar deren drei. Zumindest drei Orte, die ich am ehesten mit dem verbinde, was gemeinhin als „Heimat“ bezeichnet wird. Nichtsdestotrotz bin ich der Ansicht, dass man mich überall aussetzen könnte – bis auf einen bestimmten Teil Süddeutschlands, eher südwestlich gelegen, und Staaten, in denen Religion eine übergroße Rolle spielt oder sonstige Dinge herrschen, mit denen ich wirklich nicht kann, wie z. B. nichtvorhandene Menschenrechte -, und ich würde mich einfügen und auch wohlfühlen. Ich bin durchaus anpassungsfähig – wenn die Voraussetzungen stimmen.

Mit drei Heimaten hat man es nicht immer ganz einfach. Gebürtig bin ich aus einer der schöneren Ecken des Ruhrgebiets, das aber eher durch Zufall, denn meine Eltern lebten damals in einer weniger schönen Stadt, die als „Stadt der tausend Feuer“ bekannt ist, in der auch ich eigentlich das Licht der Welt erblicken sollte, aber es kam anders, da meine Mutter noch von der Geburt meiner älteren Schwester leicht „traumatisiert“ war. Die Geburt hatte über 12 Stunden gedauert, und man hatte sich nicht sonderlich gut um meine Mutter gekümmert – noch heute, Jahrzehnte später, schimpft sie über dieses Krankenhaus und denkt mit Schaudern zurück. Mich wollte sie dann auch nicht mehr in der „Stadt der tausend Feuer“ zur Welt bringen, nachdem sie gehört hatte, dass es in einer der Nachbarstädte und dort mitten im schönen Ruhrtal ein Krankenhaus gäbe, das eine schonendere Entbindungsmethode praktizierte, und so kam ich dort am späten Abend eines extrem heißen Augusttages zur Welt, zur anfänglichen großen Enttäuschung meiner Mutter nicht der langersehnte „Daniel“, sondern eine kleine Ali. Naja – immerhin hatte sie mit einem Mädchen ja schon Erfahrungen. Dennoch: Menschen sind verschieden, und so fragte sie eines Tages die Säuglingsschwester: „Schreit sie viel?“ Denn die Säuglingsschwester kannte meine Gewohnheiten damals besser als meine Mutter, da die Säuglinge den Müttern immer nur zum Stillen gebracht, ansonsten aber in einem Raum auf der Säuglingsstation aufbewahrt wurden, wo man sie durch eine große Glasscheibe besichtigen konnte, vor der sich oft viele Leute, Väter und Verwandte der neuen, kleinen Erdenbürger, sammelten, jauchzten und Ähnlichkeiten zwischen diesen und lebenden wie bereits verstorbenen Angehörigen festzustellen glaubten. 😉

Meine Mutter stellte diese Frage aus berechtigter Sorge, denn meine Schwester hatte als Baby eine Phase gehabt, in der sie jeden Tag um vier Uhr nachmittags erwacht war und zu schreien begonnen hatte – bis Punkt 17:30 h. Jeden Tag. Und eigentlich sei es auch kein besonders lautes Schreien gewesen, mehr eine Art Wimmern, das – so meine Mutter – besonders an den Nerven gerissen habe. Zunächst schaute man nach, ob meine Schwester gewickelt werden müsse. Negativ. Hunger war auch nicht vorhanden. Offenbar wollte meine Schwester – sie redet auch heute noch sehr viel – sich an der allgemeinen Unterhaltung beteiligen. Mein Vater erklärt dazu immer, an kreative, geistige Arbeit wäre in diesen eineinhalb Stunden gar nicht zu denken gewesen, und er habe dann eher praktische Dinge gemacht, die auch zu erledigen gewesen wären.

Bei mir verhielt es sich wohl anders, denn die Säuglingsschwester meinte: „Die Kleine hier? Nein, die schreit nicht viel. Aber wenn sie schreit, dann sehr energisch.“ Auch das ist bis heute so geblieben. 😉

Ende des kleinen Exkurses. Meine eigentliche Heimat ist das Ruhrgebiet, da ich hier aufgewachsen und mit allen Vorurteilen aus anderen Ecken Deutschlands, wo es ebenso viele Vor- wie Nachteile gibt wie hier, vertraut bin. Alleine schon das, was man als Ruhrdeutsch bezeichnet, muss oft als Aspekt der Lächerlichmachung dieser Region durch Angehörige anderer Regionen herhalten. Ich muss gestehen, allzu derbes Ruhrdeutsch geht mir auch bisweilen auf den Senkel, aber Schwäbisch finde ich viel schlimmer, das für meine Ohren so klingt, als seien dessen Sprecher, entgegen ihrem sonstigen sprichwörtlichen Fleiß, zu faul, den Mund beim Sprechen ganz zu öffnen. Oder Sächsisch. Oder Öcher Platt. Geht auch nicht wirklich, jedenfalls nicht für mich. Es ist ja immer eine individuelle Geschmacksfrage.

Ich verteidige meine Heimat stets mit Verve – mir gehen dumpfe Vorurteile wirklich gegen den Strich. Manche Leute, die noch nie hier waren, glauben gar, hier wäre alles voller Kohlenstaub, und die Briketts würden durch die Luft fliegen. Offenbar haben die die Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht ganz mitbekommen … Viele dieser Leute, die dann erstmalig hier sind, staunen und sagen: „Hier ist es ja total grün!“ Und das mit einer Attitüde, als hätte ich – ausgerechnet ich! – etwas anderes behauptet! 😉

Zugegeben: Am heftigsten verteidige ich meine Heimat, wenn ich gerade nicht vor Ort bin, sondern zum Beispiel in meiner zweiten Heimat: Franken. Dorther stammt meine Mutter, und das ist der Grund, aus dem ich ständig meine Verteidigungsposition wechseln musste. War ich in Franken, was in meiner Kindheit aufgrund meiner heimwehkranken Mutter oft der Fall war, und dort wurde das Ruhrgebiet kritisiert, ging ich gleich in Stellung und verteidigte den letzteren Ort. War ich im Ruhrgebiet, und Leute hetzten gegen Bayern (denn hier im Ruhrgebiet kennt kaum einer den Unterschied zwischen Bayern und Franken – die hören nicht einmal Unterschiede zwischen Dialekten), war es umgekehrt. Genauer: Es ist noch heute so. Das ist ziemlich anstrengend, und wohlmeinende Menschen meinten schon, ich solle das doch einfach ignorieren. Sicher, das wäre wohl am gesündesten, und ich versuche es auch immer wieder – mir steht nur mein Wesen im Weg. 😉

Franken ist einfach schön, und die Franken, die keine Bayern sind, mag ich sehr, auch wenn hier im Ruhrgebiet schon Leute meinten, Franken seien falsch und ohnehin unsympathisch. Wahrscheinlich kennen sie diesen genügsamen, gelassenen und gutmütigen Menschenschlag gar nicht persönlich. Vielleicht aber waren sie auch schon vor Ort und sind unangenehm aufgefallen, wie eine meiner Kolleginnen, die auch gegen Franken hetzte, dabei eine furchtbare Oberlehrerin, rechthaberisch und völlig verkrampft ist. Möglich, dass sie versucht hat, Franken klarzumachen, dass man hochdeutsch sprechen müsse, und das überall, und dann hat sie vielleicht versucht, ihnen „richtiges Deutsch“ beizubringen und auch ansonsten eher durch einen eklatanten Mangel an Humor geglänzt. Auf so etwas reagieren Franken dann gemeinhin mit Spott. Möglich, dass es sie einmal getroffen haben mag – in dem Falle kann ich kein Mitleid empfinden.

Ich bin immer gerne dort, und als Kind war es dort herrlich: Viel Gegend, in der man spielen konnte, Pferde, Kühe, Hunde, Kätzchen, freundliche Menschen, und man konnte sich viel freier bewegen als hier. Dazu hervorragendes Essen, und ich bin sehr froh, dass ich kulinarisch eher süddeutsch geprägt bin. Versucht mal hier, einen wirklich fangfrischen Karpfen zu bekommen! Karpfen esse ich nur, wenn ich in Franken bin.

Schwierig war es nur, wenn ich nach wochenlangem Aufenthalt in Franken wieder ins Ruhrgebiet zurückkehrte, da ich mich während des Aufenthaltes sprachlich ziemlich assimiliert hatte und man mich hier nicht verstand. Es war immer erheiternd, wenn dann Leute zu mir sagten: „Sprech gefällichs richtiget Deutsch!“ Ja, nee, ist klar … 😉 (Wohingegen es mir in Franken schon öfter passiert ist, dass „Eingeborene“ im reizendsten Oberfränkisch zu mir sagten, sie sprächen hochdeutsch und ich „einen norddeutschen Dialekt“. Auch klar … 😉 )

Und als meine fränkische Oma vor vielen Jahren mal zu Besuch bei meinen Eltern war und einen Nachbarsjungen mit: „Grüß Gott, Christian,“, begrüßte, konnte man es hinter des Knaben Stirn förmlich arbeiten sehen: „Wie reagiert man darauf richtig? Wie antworte ich jetzt? Was ist die richtige Formel?“ Plötzlich ging ein Leuchten über sein Gesicht, und er sagte eifrig: „Danke, gleichfalls!“ Meine Oma lachte sich halb schlapp, fand die Reaktion aber sehr kreativ.

Meine dritte Heimat ist Aachen. Dort habe ich studiert und auch danach noch dort gelebt und gearbeitet. Zwar geht mir das als „Öcher Platt“ bekannte Heimatidiom bisweilen etwas auf den Senkel, weil es nicht sonderlich schön klingt und in einem etwas nervenden Singsang gesprochen wird, aber Aachen an sich ist wirklich schön. Ich bin vor Jahren dort weggezogen, weil ich wieder zurück ins Ruhrgebiet wollte, aber manchmal frage ich mich schon, ob das meine allerbeste Entscheidung gewesen sei. 😉 Denn das Ruhrgebiet ist nicht mehr das Ruhrgebiet meiner Kindheit und Jugend. Klar, Dinge verändern sich, aber es ist immer schöner, wenn sie sich zum Vorteil verändern … 😉

Diese Zweifel hatte ich auch letztes Jahr, als ich an einem Dezemberwochenende nach Aachen zum Weihnachtsmarkt fuhr, wo ich mich mit einer alten Bekannten aus den Niederlanden treffen wollte. Schon die Ankunft war irgendwie merkwürdig, denn es ist immer etwas merkwürdig, wenn man nach Jahren an einem Ort ankommt, in dem man lange gelebt hat und dann statt in die eigene Wohnung in ein Hotel gehen muss. Zum Glück war das Wiedersehen mehr als nett: Mascha und ich unterhielten einen ganzen Glühweinstand mit unserer Wiedersehensfreude, zumal wir beide etwas lebhafter und lauter sind – aber die Leute lächelten uns an und fanden unsere Art wohl ganz sympathisch. Alles in allem ein gelungener Abend. Nur der Abschied am nächsten Tag fiel mir etwas schwer. Ich brachte meinen Trolley zum Bahnhof und deponierte ihn dort in einem Schließfach. Dann ging ich wieder in die Stadt – ich musste doch unbedingt noch einmal auf den Weihnachtsmarkt und wollte mich auch fern davon etwas umsehen: Es hatte sich soviel verändert. Und meinem Examensprofessor, den wir seiner väterlichen Art wegen immer „Papa W.“ genannt hatten, wollte ich eine Blume bringen, weswegen ich zur Josefskirche musste, wo sein Grab ist.

Das alles machte ich auch, kaufte auf dem Weihnachtsmarkt als erstes „Lemmens Weihnachtsleberwurst“, natürlich die geräucherte Variante, die ich früher jedes Jahr dort gekauft hatte, einige andere Dinge, ging durch die Stadt, und dann musste ich auch schon zum Hauptbahnhof. Als ich am Automaten ein Ticket kaufte, war ich ganz traurig – ich wäre am liebsten in Aachen geblieben. Mir stiegen sogar Tränen in die Augen, ich gebe es zu, und das sah ein Bahnbediensteter, der mich gleich fragte, ob etwas passiert sei. Ich schluckte die Tränen herunter und meinte: „Nein, nicht wirklich. Nur ein kleiner Anfall von Trennungsschmerz, denn ich muss zurück nach Hause. Dabei war Aachen mal mein Zuhause, und es ist immer unschön, wieder wegzumüssen.“ – „Wohin müssen Sie denn?“ – „Ins Ruhrgebiet.“ – „Oh, ja, okay, das verstehe ich.“ Damit war wohl alles gesagt. 😉

Es ist nicht immer einfach, mehrere „Heimaten“ zu haben – siehe Trennungsschmerz und Verteidigungsreflex. Aber schön ist, dass man sich an verschiedenen Orten heimisch und wohlfühlt und immer das Gefühl hat, nach Hause zu kommen, fährt man hin. Das sagt ja auch schon der Lateiner. „Ubi bene, ibi patria“. Da, wo es gut oder schön ist, ist Heimat. Und das ist doch eine schöne Sache – oder? 🙂

Ich lasse mir keine grauen Haare wachsen – ich doch nicht!

Nein, ich bin nicht über Nacht verschärft cool geworden und echauffiere mich nun nicht mehr über Dinge, die im Grunde nicht der Rede wert sind. Das wäre dann doch etwas viel verlangt. Sollte dies doch einmal der Fall sein, ruft bitte sofort den Rettungsdienst, denn dann bin ich wahrscheinlich zumindest klinisch tot. 😉

Aber graue – und lange – Haare lasse ich mir dennoch nicht wachsen. Das wäre ja noch schöner!

Ergo war ich heute – endlich – beim Friseur. Meine Haare waren mal wieder viel zu lang, und morgens fluchte ich immer ganz reizend, wenn die Dinger mal wieder nicht so liegen wollten und sich nicht so formen ließen, wie ich ihnen das oktroyieren wollte. Diverse Strähnen waren sogar derart dreist, sich nach außen zu ringeln, obwohl ich sie nach innen föhnen wollte. Dabei habe ich gar keine Locken, sondern – zu meinem Leidwesen – ganz glatte Haare. Aber offenbar auch mit einem ganz eigenen Willen versehen, und das kann ich morgens vor der Arbeit gar nicht leiden, wenn ich auch sonst ausgemachter Fan eines eigenen Willens bin. Aber nicht bei meinen Haaren! Da bin ich eigen. 😉

Geschmack ändert sich bekanntermaßen mit den Jahren. Als kleines Kind hatte ich unbedingt lange Haare gewollt, und das äußerte ich auch gegenüber jedem, der es wissen wollte … oder auch nicht. Am häufigsten meiner Mutter gegenüber, die damals die Entscheidungs- und Handlungsgewalt innehatte, was das Äußere meiner Wenigkeit anbelangte. (Daher war ich auch häufig in karierten Trägerröckchen unterwegs, von denen ich nur eines wirklich mochte. Übrigens: Träger sind sehr unpraktisch, da die beim Spielen und Rennen immer von der Schulter rutschen … Und offenbar haben diese Trägerröckchen meine Vorliebe für Karomuster begründet. 😉 ) Und so geschah es immer wieder, dass ich, gerade als meine Haare zwar nicht lang, aber zumindest „länglich“ waren und sich eine Tendenz zum Längerwerden abzeichnete, brutal zum Friseur geschleppt wurde, der mir einen „süßen“ Rundschnitt verpasste, der mich immer wie einen kleinen Jungen aussehen ließ, ein kleines „Ding“, das sich zwischen Engel und Teufel nicht hatte entscheiden können, denn ich sah mit dem reizenden Haarschnitt in Hellblond zwar wie ein Engelchen aus, was mein Wesen jedoch Lügen strafte. Und viele Leute meinten, wenn ich gerade kein kariertes Trägerröckchen, sondern Hosen trug: „Der ist ja süß!“ So etwas kann schlimmstenfalls zu Identitätsproblemen führen. 😉

Auch als Jugendliche war mein Traum immer eine lange, blonde Mähne. Gut, blond bin ich ja, aber meine „Mähne“ sah immer ein bisschen so aus, als hätten Motten darin gehaust. Meine Haare sind einfach zu dünn, und – ich hatte es meiner Mutter ja nie glauben wollen – ich sah damit wirklich ziemlich bescheiden aus. Aber der Weg zur Erkenntnis ist ja meist ein längerer, anders als meine Haare, und so dauerte es auch Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte. 😉

Heute trage ich einen „Bob“, eine Frisur, die in den Zwanziger Jahren, den „Roaring Twenties“, einer Ära, in der ich immer gern gelebt hätte, zur Trendfrisur wurde und schon mehrere Renaissancen erlebt hat. Es hat wirklich lange gedauert, bis ich begriff, dass lange Haare mir nicht stehen, und so ist mein Bob an der längsten Stelle auch nur knapp kinnlang.

In den letzten Jahren hat sich nicht nur mein Geschmack, sondern auch meine Haarfarbe geändert. Was früher mittelblond mit ganz hellen Natursträhnen war, ist heute „aschblond“. So nennt es Tonja, meine Friseurin. Ich hingegen habe sie schon mehrfach gefragt, ob denn auf meinem weisen Haupt viele graue Haare zu sehen wären. Sie grinst dann immer und sagt: „Kaum eines, eigentlich sehe ich gar keines. Mal im Ernst: Bevor Sie zum Schneiden und Strähnen hierher kommen, tönen Sie sich doch die Haare – oder? Ich kann wirklich kein echtes graues Haar ausmachen.“ Bei meiner Ehre – ich töne oder färbe niemals selber! Meine Schwester hatte mal nach einem missglückten Do-it-yourself-Versuch grüne Haare – seitdem lasse ich die Finger von derlei Dingen, obwohl ich in meiner Schulzeit recht viel experimentiert habe. Sogar mit Henna, was ein ebenso furchtbares wie irreversibles Ergebnis nach sich zog, zumindest für eine gewisse, viel zu lange Zeit, weshalb mein Vater mich ebenso lange „Füchschen“ nannte. Nie wieder!

Aber auch Aschblond ist nicht schön, kommt aber – so Tonja – spätestens ab Dreißig. Und so lasse ich meine Haare regelmäßig bicolor strähnen. Heute war es, neben dem dringend nötigen Nachschnitt, mal wieder soweit.

Manchmal frage ich mich ja schon, ob Menschen, speziell Frauen, die ansonsten ganz normal ticken, irgendwie zu Masochisten mutieren, wenn es um ihr Aussehen geht. Mir graut im Grunde vor jedem Friseurbesuch, und ich rechne stets mit Sanktionen, seit ich in einer Stadt in der Nähe von Düsseldorf, in der ich vier Jahre lebte, wiederholt von meiner dortigen Friseurin richtig zusammengestaucht wurde, weil ich meine Haare nicht regelmäßig in einer Windelweich-Pflegespülung badete! Sie sah mich immer verächtlich an, hielt meine Haare hoch, als handelte es sich um Sondermüll, und dabei sagte sie, wobei sie jedes Wort auszuspucken schien: „Sie haben ja immer noch keine Pflegespülung benutzt, obwohl ich das angeordnet hatte! Dann müssen Sie sich auch nicht wundern, wenn Ihre Haare irgendwann den Geist aufgeben!“

Die ersten drei Male stand ich unter einer Art Schock. Nicht nur, dass man mir ankündigte, meine Haare seien alsbald offenbar dem Teufel geweiht, nein. Offenbar war ich in einem Friseursalon gelandet, der sich für Masochisten und andere Menschen eignet, die sich gerne erniedrigen lassen. Dazu gehöre ich nicht. Und was sollte das heißen: angeordnet? War ich beim Arzt, der anordnet, man solle nicht mehr rauchen, weil ansonsten die Lunge über kurz oder lang den Geist aufgäbe? Ich fürchtete mich vor dem Friseurbesuch mehr als vor dem Zahnarzt …

Ein viertes Mal fand nicht statt, aber der Wechsel brachte auch nichts, denn im nächsten Friseursalon vor Ort hielt man erneut meine völlig normalen Haare mit gespreizten Fingern und angewidertem Gesichtsausdruck hoch, als hätte ich mich zuvor damit in einem Hundehaufen gewälzt. Und erneut erging die Tirade, die ich ja schon gewohnt war. Offenbar ist Ratingen für Menschen, die nicht so viel Zeit haben, ihre Haare zwar nicht in Unschuld, aber mit einer Spülung zu waschen, besser noch: einer Haarkur zu unterziehen, wenig geeignet. Zumindest dann, betrachtet man die merkwürdige Attitüde einiger Friseure vor Ort, die dem Kunden ein schlechtes Gewissen einjagen, um dann möglichst viele Sonderleistungen an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Damals – ich trug die Haare halblang – dachte ich doch einmal wieder darüber nach, meine Haare einfach dem Wildwuchs auszusetzen, da ich mich vor den Ratinger Friseuren fürchtete, zumal bei meinem letzten Besuch bei einem vor Ort die Friseurin zu mir sagte: „Im Alter dunkeln halt auch blonde Haare nach,“, als ich fragte, warum meine Haare immer dunkler würden. Ich hatte die Dreißig knapp überschritten. 😉 Ich hoffe, friseurtechnisch möge sich dort einiges geändert haben …

Heute ist alles viel besser. Ich bin in einem wirklich netten Friseursalon, in dem noch niemals eine der Friseurinnen versucht hat, mir ein schlechtes Gewissen einzureden bzw. mir ein überteuertes Pflegemittel aufzuschwatzen oder gar unter Drohungen an den Mann zu bringen. Besser: an mich.

Meine Haare werden so geschnitten, wie ich das möchte, die Strähnchen sind immer sehr gut, wenn ich auch wieder und wieder an die Frage gelange, ob es das wirklich wert sei, wenn ich einmal mehr nach einer halben Stunde Strähnenapplikation eine weitere halbe Stunde lang unter dem „Climazon“-Wärmegerät sitze, das die Einwirkzeit der Farbe um die Hälfte reduzieren soll, mir aber der Schweiß ausbricht und ich jedes Mal, wenn die Zeit abgelaufen ist, von dem widerlich lauten Signal des Geräts fast einem Herzinfarkt anheimfalle …

Danach wird es angenehmer, denn dann werden die Haare gewaschen, mein Kopf ergo wieder heruntergekühlt, und wenn ich Glück habe, gibt es auch noch eine Kopfhautmassage. Am schnellsten ist das Schneiden, das geht ratz-fatz. Nur danach werde ich noch gefühlte Stunden geföhnt, toupiert und in Form gezupft, bis der Bob so sitzt, wie er bis zum nächsten Friseurbesuch nie wieder sitzen wird. (Toupieren! Als hätte ich morgens die Zeit dazu! 😉 )

Immerhin habe ich nun für etwa sechs Wochen Ruhe. Dann muss wieder geschnitten werden. Wenigstens in netter Atmosphäre, vor allem, seitdem meine Ex-Chefin den Friseur gewechselt hat, denn wir hatten längere Zeit denselben. Das muss nicht sein. Da lasse ich mich doch noch lieber von Friseurinnen, die meine Haare wie Sondermüll behandeln, erniedrigen … 😉

Non scholae, sed vitae discimus …

Dieses klassische Zitat kann ich eigentlich nicht mehr hören, zumal es mir während meiner Schulzeit von verschiedenen Lehrern vorgetragen wurde, deren größerer Teil diese weisen Worte jedoch nicht selten Lügen strafte. Aber ich will hier nicht über Lehrer meckern – viele machen einen guten Job, und die anderen sollten sich in die Ecke stellen oder nachsitzen.

Aber das Zitat ist wahr, denn wir lernen tatsächlich fürs Leben. Heute wurde für das Leben mit dem PC gelernt, denn vor einigen Wochen rief meine Patentante mich an, die sich nun auch endlich einen Computer zugelegt hatte. Nun nutzt so ein Computer wenig, wenn man nicht weiß, wie man damit umgehen muss, und so rief mich Tante Marieluise dann auch an und meinte: „Mein liebes Mädchen, darf ich dich um einen Gefallen bitten?“ Ich zögerte zunächst – was mochte dahinterstecken? Es ist ja so, dass man sich, sagt man umgehend ja, möglicherweise etwas ans Bein bindet, was man eigentlich gar nicht will. Ähnlich so wie bei Erbschaften, die man freudig bewegt annimmt, nur um dann festzustellen, dass man eklatante Schulden geerbt hat. So fragte ich vorsichtig: „Worum geht es denn?“ Da erzählte mir Tante Marieluise von der Anschaffung eines Laptops, der bereits eingerichtet sei. Aber sie wisse nicht, wie man damit umgehe, da sie damit noch nie zu tun gehabt habe. Ich dachte mir: „Den Bock zum Gärtner gemacht,“, denn auch ich schieße manchmal versehentlich den einen oder anderen Bock im Umgang mit dem PC, aber für den täglichen Gebrauch reicht es durchaus. Und so sagte ich zu.

Heute fuhr ich hin. Tante Marieluise begrüßte mich freundlich-energisch, wie es so ihre Art ist. Der Laptop stand bereits auf dem Tisch. „Hast du WLAN?“ fragte ich meine Tante. Die sah mich etwas misstrauisch an und meinte schließlich: „Äh, ja.“ – „Hast du auch die Unterlagen dazu? Ich brauche den WLAN-Schlüssel. Sonst kein Internet.“ Tante Marieluise ist zum Glück erheblich organisierter als ich, und so hatte sie die Unterlagen auch sofort zur Hand. Ratz-fatz tat ich, was zu tun war und meinte: „So, jetzt hast du Internetzugang. Aber ich erkläre dir lieber alles von der Pike an, damit du auch mit Word umgehen und problemlos Briefe schreiben kannst, mit Kopf- und Fußzeile und allem Schnick und Schnack.“ – „Ach, Kind, Briefe schreibe ich meist von Hand.“ – „Auch ans Finanzamt oder sonstige Behörden? Reklamationen? Beschwerden und Widersprüche? Von Hand?“ – „Nein, da gehe ich persönlich vorbei oder rufe an.“ – „Es ist sinnvoll, solche Sachen auch schriftlich zu haben.“ Au weia – ich klang schon wie mein Vater … 😉

Tante Marieluise sah zu dem Zeitpunkt schon drein, als hätten sie Zweifel am Entschluss, mich als Lehrerin angeheuert zu haben, überfallen. Ich ließ mich nicht beirren, ich bin den Umgang mit Zweiflern gewohnt. 😉

Wir saßen nebeneinander vor dem Laptop, sie rechts, ich links, und ich fuhr zunächst den Rechner wieder herunter. „Warum das jetzt? Fangen wir nicht gleich an?“ fragte mich meine Tante. „Doch, doch – ich möchte nur, dass du den Rechner selber startest.“ – „Ach, Kind, warum machst du das nicht?“ – „Ich bitte dich! Willst du mich jedes Mal anrufen, wenn du den Rechner benutzen willst? Du traust dir zu wenig zu. Los!“ Auch ich kann sehr energisch sein, wenn ich will. Tante Marieluise startete den PC vorschriftsmäßig und problemlos. Ich fing bei Adam und Eva an, und gemeinsam legten wir ein Word-Dokument an. Ich zeigte ihr alles, was sie wissen musste, alle für sie wichtigen und relevanten Funktionen, und wir kreierten einen Brief mit Kopf- und Fußzeile.

Ich gebe zu, es war nicht ganz einfach, denn mein Unterricht wurde untermalt von vielerlei Lauten und Ausrufen der Resignation. „Das kann ich nicht!“ „Das klappt bei mir nie!“ – „Siehste, ich wusste doch, dass ich das nicht hinbekomme!“ – „Wie speichere ich noch einmal ab? Ach, ich bin zu blöd dazu!“

Noch energischer erklärte ich meiner Tante, sie sei keineswegs zu blöd, sondern zu ungeduldig. Sie beantwortete dies damit, dass sie ja noch den Kuchen, den sie extra für mich vorbereitet hätte, in den Ofen schieben müsse. Nun gut, gegen eine kleine Pause war nichts einzuwenden, und während Tante Marieluise sich der Zubereitung des Kuchens widmete, ging ich auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Irgendwie war die auch nötig. 😉 Nicht etwa, weil meine Tante sich ungeschickt angestellt hätte, denn das tat sie gar nicht, sondern weil sie andauernd lamentierte, sie könne dies und schaffe das nicht.

Bilder vergangener Zeiten tauchten vor meinem geistigen Auge auf: Ali als Gymnasiastin am elterlichen Esstisch, daneben ihr Vater, der nach dem Abendessen seiner „Jüngsten“, wie er das immer nannte, als habe er ein ganzes Mädchenpensionat und nicht „nur“ zwei völlig verschiedene Schwestern großgezogen, Mathe und Physik einzutrichtern versuchte. Oft endete dies in Tränen. Nicht bei meinem Vater, mehr bei mir. Mein Vater verstand nicht, dass ich eine echte Blockade hatte und dachte stets, ich sei „bockig“, wie er das nannte. Und so sagte er immer wieder mit Unverständnis in Stimme und Verhalten: „Du bist doch ein intelligentes Mädchen – sei doch nicht so bockig!“ Das ließ mich stets besonders verzweifelt reagieren, weil ihm nicht klar war, dass ich wirklich blockiert war, schon schweißnasse Hände bekam, wenn ich mir jedwede Aufgabenstellung nur ansah und in meinem Gehirn Aufruhr herrschte – Aufruhr der unproduktiven Art. 😉 Aber möglicherweise war auch mein eigenes Verhalten für sein Verhalten mitverantwortlich, denn mit Schaudern dachte ich daran zurück, wie ich wie ein Mantra und zum Schluss wie ein heulendes Nebelhorn geklagt hatte: „Das kann ich ohnehin nicht.“ Oder: „Das begreife ich nie.“ Mir wurde – spät, aber immerhin – klar, wie zermürbend das für jemanden ist, der jemand anderem etwas beibringen will.

Der Kuchen war im Rohr, und Tante Marieluise fragte, ob sie mir eigentlich schon die Bilder von ihrem letzten Urlaub gezeigt hätte. Raffiniert! 😉 Freundlich, aber bestimmt erklärte ich ihr, die würde ich mir gerne nach erfülltem Auftrag, für den sie mich immerhin extra habe kommen lassen, ansehen – jetzt gehe es erst einmal weiter. Ihr Gesichtsausdruck war das Gegenteil von „begeistert“, aber da bin ich gnadenlos. Ich kenne die Tricks. Die habe ich auch drauf. Je nachdem, an wen man gerät, funktionieren sie auch, aber eben nicht immer. 😉

Ich richtete ihr einen Mailaccount ein, wies sie dann in den Umgang mit dem Internet ein, schrieb mir selber eine Testmail, um zu überprüfen, ob alles funktioniere. Dann sagte ich ihr: „Und nun du. Jetzt schreibst du mir eine Mail.“ – „Ach, Kind, was soll ich denn schreiben?“ – „Völlig wurscht, schreib irgendetwas, was dir in den Sinn kommt.“ Unterbrochen wurde ich davon, dass Tante Marieluise im Garten Ungeheuerliches entdeckte: „Da! Schon wieder das schwarze Eichhörnchen, das das arme rote Eichhörnchen jagt!“ – „Wie meinen?“ – „Die leben beide in meinem Garten, verstehen einander aber nicht, und das schwarze verprügelt das rote immer! Moment! Da muss ich …“ – „Nix da! Sitzenbleiben! Du schreibst mir erst eine Mail!“ – „Mir fällt partout nichts ein.“ – „Schreib einfach einen Testsatz. Schreib: ‚Das schwarze Eichhörnchen ist ein Arschloch.‘“ Tante Marieluise starrte mich perplex an, dann schüttelte sie den Kopf: „Du kommst auf Ideen!“ – „Ich liebe plastische Beispiele.“ – „Plastisch? Eher drastisch.“ – „Das meinte ich. Meine Studis mochten das immer.“ Tante Marieluise grinste, dann tippte sie energisch mein hübsches Beispiel an die richtige Stelle und schickte die Mail gekonnt ab. Und war ganz begeistert, als diese Mail in meinem Account im Posteingang erschien. Ich freute mich auch, endlich war sie überzeugt, dass sie das ganz problemlos …

Aber was war das? Dunkle Wolken zogen im Antlitz meiner Tante auf, und sie sagte mit dräuendem Unterton: „Morgen habe ich das alles wieder vergessen – ich kriege das nicht hin.“ Aaah!

Das Schrillen des Küchenweckers unterbrach sie, und irgendwie erleichtert sprang sie auf und rief: „Ich muss den Kuchen aus dem Ofen holen! Und dann muss ich Sahne schlagen!“ – „Halt! Erst loggst du dich aus, schließt alle Anwendungen und fährst den Rechner herunter!“ Murrend kam sie meiner Aufforderung, die eher ein Befehl war, nach. Na, also – klappte doch alles. Dann eilte sie in die Küche und rief: „Aber danke schön, dass du mir das alles erklärt und gezeigt hast!“ – „Wieso das? So weit sind wir noch nicht! Nach dem Kaffee startest du den Rechner wieder, und dann schauen wir mal, ob du dir auch alles gemerkt hast!“ Ich hörte diffuses Gemurmel aus der Küche, und einmal glaubte ich beinahe, das Wort „Sklaventreiberin“ oder etwas Ähnliches vernommen zu haben. Aber ich bin mir sicher, ich habe mich nur verhört. 😉

Nach dem Kaffee nebst Pflaumenkuchen ging alles prima. Allerdings untermalt mit weiteren Tiraden: „Ich kann das nicht! Da, sieh mal – ich bin zu blöd!“ – „Noch einmal: Du bist nicht zu blöd – es klappt doch alles! Du bist zu ungeduldig und blockierst dich selber. Und ich will das jetzt auch nicht mehr hören.“

Etwas erschöpft fühlte ich mich, als ich meine Tante den Rechner final – zumindest für heute – herunterfahren hieß. Ich trug ihr auf, das gleich morgen und in den Folgetagen weiter zu üben, und da sah ich schon wieder dunkle Wolken, und meine Tante öffnete schon den Mund, aber ich sagte: „Nein! Nicht. Einfach machen. Und wenn etwas ist, rufst du mich an.“ Sie packte mir daraufhin noch ein paar Stücke Pflaumenkuchen sowie einige Äpfel aus dem Garten ein, und ich fuhr nach Hause.

Und was meine Tante nicht weiß: Morgen rufe ich sie an und frage, ob sie schon am Rechner sitze … 😉

Für Papa. Ich weiß, was er mit mir, Mathe und Physik mitgemacht hat. 😉

Die Qual der Wahl

Zwar stehen die nächsten Wahlen hier erst wieder anno 2017 an, unter anderem die Bundestagswahl, auf die ich gespannt bin, aber ich weiß schon jetzt, wer dann wieder als Wahlhelferin tätig sein wird, am Wahlsonntag ganz ungewohnt um 6 Uhr früh aufsteht, weil sie spätestens um 7:30 Uhr im Wahllokal sein muss: ich.

Ich tue das beileibe nicht freiwillig, auch wenn sich das Wort „Ehrenamt“ so wunderbar selbstlos anhört. Ich habe auch schon ehrenamtlich gearbeitet, im Krankenhaus, aber dieses Ehrenamt hatte ich mir höchstselbst ausgesucht und das auch nie bereut. Hier ist es etwas anders … Es ist auch kein „Ehrenamt“ an sich, da man eine finanzielle Entschädigung und sogar einen Urlaubstag bekommt, aber wer mich kennt, weiß, dass mir Ausschlafen an Sonntagen wirklich heilig ist. 😉

Ich arbeite im öffentlichen Dienst, und da ist es üblich, dass der Arbeitgeber sämtliche Mitarbeiter, die am Standort der Institution, in der sie arbeiten, leben, der Stadt, der Kommune quasi anbietet, als Wahlhelfer tätig zu sein. Und ich lebe am Standort meines Arbeitgebers. Acht Jahre lang war ich bereits feilgeboten worden, aber verschont geblieben. Just anno 2013 traf es mich, als ich gerade umgezogen war. Die Benachrichtigung war mit einem Sonderboten übermittelt worden, und nur der Tatsache, dass ich wegen eines defekten Eckventils in der Küche täglich in die alte Wohnung musste, um den unter dem leckenden Ventil stehenden Eimer zu kontrollieren, gegebenenfalls zu leeren, bis endlich der Installateur kam, war zu verdanken, dass ich die Aufforderung – denn nur so kann man es nennen, obwohl ich auch gern den Begriff „Vorladung“ verwende – überhaupt entdeckte. Da man sich nicht so einfach aus der Affäre ziehen kann, sondern seine Teilnahme auch noch formal bestätigen muss, sonst Strafe, da Ordnungswidrigkeit, habe ich noch einmal Glück gehabt.

Im September war dann Wahltag, und das war schon mit Problemen verbunden. Das Wahllokal befindet sich in einer Schule in der Nähe meiner Wohnung. Die Schule ist von anderen Schulen quasi umzingelt, und diese sind voneinander durch Gitter und Zäune getrennt. Es gibt aber auch Tore in diesen Gittern und Zäunen, und ich hatte vorher noch nachgefragt, ob diese am Wahlsonntag auch geöffnet seien, wie sonst immer, denn ansonsten hätte ich einen größeren Umweg gehen müssen. Und ich bin ja nun einmal kein Morgenmensch und geize wirklich mit jeder Minute, die ich länger im Bett liegen kann.

Ich hatte daher am Wahlsonntag den kurzen Weg einkalkuliert, musste dann aber feststellen, dass sämtliche Tore verschlossen waren. Und ich lag ohnehin schon nicht ganz so gut in der Zeit, hatte die „Snooze“-Funktion meines Weckers und Smartphones, von der ich ja behaupte, man habe sie für mich erfunden, wirklich ausgereizt … 😉

Fluchend stand ich vor dem Hindernisparcours, als der Hausmeister einer der Schulen auf den Plan trat. Ich rief ihm zu, warum denn alles verschlossen sei – man habe mich diesbezüglich anders informiert. Er rief zurück: „Weil Sonntag ist!“ Er war auch nicht bereit, ausnahmsweise mal für mich aufzuschließen, obwohl ich ihm mitteilte, ich sei eine Person von Bedeutung an diesem Wahlsonntag. (Gut, ich habe es etwas anders ausgedrückt.) Na, toll! Ich musste also über diverse Zäune und Gitter klettern – außen herum zu laufen, hätte noch mehr Zeit gekostet. Fluchend kam ich am Wahllokal an, einige Minuten verspätet. Der Stellvertretende Wahlvorstand begrüßte mich grinsend, sah auf seine Armbanduhr und meinte: „Frau B. – Sie sind ein wenig verspätet. Wie auch manchmal bei der Arbeit.“ Ich grinste auch – es war ein Arbeitskollege von mir … Mit dem hatte ich zuvor eher einen distanzierten Umgang gehabt, sehr förmlich. Viel geändert hat sich am Wahlsonntag auch nichts, aber nachdem abends alle Stimmen ausgezählt waren, meinte er zu mir: „Frau B., ich fand es nett, dass wir hier heute zusammen gearbeitet haben, und mit Ihnen kann man auch gut arbeiten.“ – „Danke, dito“, sagte ich etwas vorlaut, denn der Kollege ist mir übergeordnet.

Mein zweiter Einsatz fand 2014 statt. Ich war superpünktlich und diesmal auch nicht über Zäune und sonstige Hindernisse geklettert. Von der „alten Mannschaft“ fand ich nur eine sehr nette Dame aus dem Bürgerbüro vor, die die Funktion der Schriftführerin innehat und immer Namen abhaken muss. Ich begrüßte sie freundlich, und sie meinte: „Schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen – die anderen kenne ich nicht.“ In der Tat, es waren völlig andere Leute da als beim letzten Mal. Der Wahlvorstand war nervös bis zum Abwinken, und er schien mir Herz-Kreislaufpatient zu sein, eindeutig übergewichtig und schon morgens schweißgebadet. Ich vermute, er mochte seinen Einsatz auch nicht.

Er zählte uns durch: Seine Stellvertreterin, eine sehr nette junge Grundschullehrerin, war zugegen, die Erste Schriftführerin, zwei Erste Beisitzer und ein Zweiter Beisitzer. Zwei fehlten, da es ja eine Früh- und eine Spätschicht gibt. Doch da flog auch schon die Tür auf, und die Zweite Schriftführerin, wie sich herausstellte, nahte. Die Erste Schriftführerin, meine mir schon bekannte „Kollegin“ aus dem Bürgerbüro, zuckte zusammen: „O je, das ist eine Klientin von mir. Das wird nicht lustig.“ – „Ach, das ist eine KlientIN! Ich war mir nicht ganz sicher.“ So gab ich zurück, und Frau N. aus dem Bürgerbüro lachte gequält.

Ihr Lachen ging in einem dröhnenden Ausruf des weiblichen Neuankömmlings unter: „Na, Jungs und Mädels! Da bin ich! Ich bin als Zweite Schriftführerin bestellt!“ Wir, die „Jungs und Mädels“, sahen einander irritiert an. Wir waren alle jenseits der Zwanziger und mehr oder minder arrivierte Personen. Auch vom Stil her ganz anders als die Dame, die gleich: „Wat liecht denn getz an?“ rief.

Der Wahlvorstand erklärte, wir müssten nun noch Wegweiser mit der Aufschrift „Wahlbezirk 08/15“ draußen aufhängen, und „Madame Wat-liecht-denn-getz-an“ eilte gleich mit einer Rolle Tesafilm und den Schildern auf den Schulhof. Wir atmeten nach dem ungewohnten morgendlichen Schrecken auf und hängten unsererseits Wahllisten und Stimmzettel zur Ansicht an die Eingangstür der Schule. Praktischerweise hatte der Hausmeister in seinem Kabuff einen elektrisch betriebenen Tesa-Abroller, der bequem Tesastreifen in vermutlich genormter Länge produzierte. Ein immenser Vorteil, wie wir feststellen mussten, als unsere Zweite Schriftführerin von ihrer Mission zurückkehrte, die Tesarolle durch den Raum schmiss und dabei zu unserer Erbauung pöbelte: „Dat Tesading da kann sich die Stadt dahin schieben, wo die Sonne nich scheint. Kein Abroller – ich happ die Streifen mitte Zähne abreißen müssen! Die vonne Stadt solln sich dat Ding dahin schieben, wo die Sonne nich scheint, und ich glaube, ich muss nich ääaklääan, wattich damit meine, ne?“ Nein. Das musste sie nicht. Wir standen alle irgendwie erstarrt da, auch um die Ecke im Wahllokal 08/16 verstummten sämtliche Wahlhelfer. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Aber nicht für lange, denn Madame schnaubte den Wahlvorstand an: „Wann müssen wa denn getz aabeiten? Sind die Schichten schon eingeteilt?“ – „Sie erklären mir bitte nicht meine Arbeit,“, gab der Vorstand zurück. Es herrschte morgens um kurz vor 8 schon ganz harmonische Stimmung, genau so, wie ich es liebe. 😉

Ich will bei so etwas immer die Frühschicht – wenn ich mich schon um 6 oder etwas später aus dem Bett quäle, möchte ich dann wenigstens gleich loslegen, und so meldete ich mich für die Frühschicht von 8 bis 13 Uhr, ebenso die Erste Schriftführerin, und auch die Stellvertreterin unseres Wahlvorstandes wollte gerne mit uns dableiben. Es entstand noch beinahe Streit zwischen Erster und Zweiter Schriftführerin, da Letztere auch lieber vormittags arbeiten wollte. Ich hoffte, ich würde in diesem Fall noch auf den Nachmittag umschwenken können … Aber die Erste Schriftführerin behielt die Nase vorn, ich blieb dann auch bei meiner ursprünglichen Absicht. Nur die Stellvertreterin des Vorstandes musste nachmittags antanzen, da der Wahlvorstand behauptete, er müsse zwingend vormittags da sein. Ich vermute, er behauptete dies angesichts der Tatsache, dass auch er sich außerstande sah, mit der Zweiten Schriftführerin fünf Stunden am Stück zu arbeiten, ohne Mordgelüste zu verspüren …

Wir traten vormittags mit vier Leuten an, der Zweite Beisitzer der Nachmittagsschicht war nicht erschienen, so bestand diese nur aus drei Personen, von denen zwei mein volles Mitgefühl hatten.

Ich bin immer als Erste Beisitzerin tätig, eine wirklich sehr verantwortungsvolle Tätigkeit, jawohl! 😉 Denn ich händige den Wählern ihre Stimmzettel aus, nachdem ich zusammen mit der Schriftführerin geprüft habe, ob sie wahlberechtigt seien. 😉 Wirklich sehr anspruchsvoll. Diesmal musste ich zusätzlich den Zweiten Beisitzer beaufsichtigen, der auf der anderen Seite neben den Urnen saß und nur Verwirrung stiftete. Gleich der allererste Wähler um kurz nach 8 warf auf des Zweiten Beisitzers Geheiß seine Zettel in die falschen Urnen, obwohl vorher ganz genau besprochen worden war, was wohin gehörte. Dreimal. Der arme Wähler, ein freundlicher, älterer Herr, war ganz verzweifelt! „Ist meine Wahl denn nun überhaupt gültig?“ fragte er ein ums andere Mal, und ich versicherte ihm, dass dies der Fall sei, da die unterschiedlichen Stimmzettel ja verschiedene Farben hätten – er solle sich nicht sorgen. Herausholen könnten wir sie leider nun nicht mehr, da die Urnen versiegelt seien. Aber beim Auszählen der Stimmen würde dann alles richtig zugeordnet. In meine Erläuterungen hinein fragte der Zweite Beisitzer den armen Erstwähler: „Haben Sie den europäischen Zettel denn in die große Urne geworfen?“ – „Welchen europäischen Zettel?“ stammelte der arme Mann verwirrt. Ich gebe zu, auch meine Kollegin und ich waren zunächst verwirrt, denn im Grunde waren ja alle Stimmzettel europäischer Herkunft. Gut, woher das Papier stammte, wussten wir nicht, aber von europäischen Druckereien angefertigt waren die Formulare! Aber da wir ja unter anderem Europawahl hatten, war uns dann recht schnell klar, dass es sich wohl um den Europawahl-Stimmzettel handeln musste.

Als um 13 Uhr dann Schichtwechsel war, rannte ich zur Nachbarschule und wählte selbst. Um 18 Uhr musste ich wieder antreten zum Auszählen der Stimmen. Unser Zweiter Beisitzer war nicht wieder erschienen – ich hatte gleich gewusst, es war ein Fehler des Wahlvorstandes, uns unsere finanzielle Entschädigung nach der Frühschicht zu geben -, aber in diesem Falle war es eine Wohltat. Wir hatten schon durch die Zweite Schriftführerin genug Ärger, denn sie stiftete ebenfalls Verwirrung, warf dauernd die bereits geordneten Zettel durcheinander – es gab keinen, der sie nicht am liebsten gemeuchelt hätte. 😉

Erheblich in Verzug, hatten wir dann schließlich alle Stimmen ausgezählt, und die schlimmste Verletzung, die sich die Beteiligten dabei zuzogen, war keineswegs durch – wenn auch nachvollziehbare – rohe Gewalt begründet, sondern durch Papierschnitte. Und zum Glück wurde unser OB in seinem Amt bestätigt, denn ansonsten hätten wir am folgenden Sonntag noch einmal zusammenkommen müssen – in derselben Besetzung. Das hätte wohl nicht nur meine soziale Kompetenz eindeutig überschritten … 😉

Geht bitte immer wählen, und wenn es nur deshalb ist, den Stress der Wahlhelfer zumindest zu rechtfertigen. 😉 Und solltet ihr selber mal in die Lage kommen, als Wahlhelfer tätig werden zu müssen: Macht es wie ich – tragt es mit Fassung. 🙂

„Warum …?“

Meine Lieblingsfrage ist die, die mit „warum“ anfängt. Nicht „weshalb“ oder „weswegen“ – diese beiden Frageworte erschienen mir immer etwas schwerfällig. „Warum“ ist anders. Klingt erheblich angenehmer für meine Ohren, ist angenehmer zu artikulieren und kann viel schöner artikuliert werden, viel geheimnisvoller klingend. Das E, wie in „weshalb“ oder „weswegen“, klingt immer so gepresst, finde ich, aber ich bin auch vorbelastet und betrachte Sprache und deren Laute sicherlich anders als andere. Das ist einfach erklärt: Mein Hauptfach an der Uni war Linguistik, und als Vertieferrichtung hatte ich „Phonetik und Phonologie“. Diejenigen unter euch, die noch den alten 60er-Jahre-Film „My Fair Lady“ kennen, früher gerne an Silvester ausgestrahlt und mit Audrey Hepburn und Rex Harrison in den Hauptrollen, werden sich nun sicherlich mit Grauen abwenden, denn der männliche Hauptpart, Professor Higgins, war auch Phonetikexperte. (Ich behaupte ja immer, meine Eltern seien schuld an meiner abstrusen Vorliebe, Sprache betreffend, da sie zuließen, dass ich als Drei- oder Vierjährige diesen Film sah, der Schuld daran hat, dass ich Audrey Hepburn zu meinen ewigen Lieblingsschauspielerinnen zähle, mich aber vor den merkwürdigen Gewohnheiten Professor Higgins‘ zunächst fürchtete und zu meinem Vater schlich und fragte, was der Mensch denn da eigentlich machte: Mein Vater erklärte mir, der Mann sei Sprachwissenschaftler und Phonetiker – und das muss mich irgendwie beeinflusst haben … ;-))

„Warum“ klingt viel geheimnisvoller als das blecherne, umständliche „Weshalb“ oder „Weswegen“, viel netter auch als das investigative, schrille „Wieso“, und man kann es mit viel mehr Varianzen in der Stimme artikulieren. Meine eigene Stimme ist weder übermäßig hoch, noch übermäßig tief, und ein alter Freund behauptet, ich hätte eine „ganz eigene, unverwechselbare Stimme“. Als ich ihn fragte, was meine Stimme so unverwechselbar mache, meinte er grinsend: „Dein A klingt interessant und ganz typisch für dich. Etwas quäkend.“ Aha! Ich klinge im A also so nasal wie eine Ente! Danke, Giacomo!

Eigentlich umspannt meine Stimme – abgesehen von den entenartigen A – seit einiger Zeit ein ziemlich weites Spektrum. Ich kann sehr hoch, aber auch ziemlich tief klingen, je nach Situation und Gesprächspartner. Je höher ich mit jemandem spreche, desto unangenehmer oder heikler das Thema oder die Person. Je tiefer oder „mouillierter“, desto angenehmer das Gegenüber, zumindest bei mir, und das bisweilen ganz unbewusst. Im Chor war ich im Alt, aber wäre meine Stimme ausgebildet, wäre ich wohl eher ein Mezzosopran, quasi das, was das Cello im Orchester ist: kann relativ hoch, aber auch tief. Und bei einer solchen Stimme eignet sich das Fragewort „warum“ viel besser als „weshalb“ oder „weswegen“, ganz zu schweigen von „wieso“ – typische Sopran- oder Tenorwörter. 😉 Aber ich schweife ab und behellige euch mit meinen komischen phonetisch-phonologischen Ideen. 😉

Wie komme ich jetzt darauf? Eigentlich wollte ich doch etwas ganz anderes! Nämlich mal wieder ganz viele „Warum“-Fragen stellen, jenseits des typischen „Warum“-Alters, das sich meist auf die Kindheit bezieht. (Meine Mutter meinte irgendwann einmal entnervt, man solle Kindern das Wort „warum“ besser gar nicht erst beibringen, aber das meinte sie zum Glück nicht ernst. Seit ich mit Kindern gearbeitet habe, konnte ich sie übrigens verstehen. ;-))

Meine „Warum“-Fragen sind vielleicht nicht ganz ernst gemeint. Oder doch? Zumindest betreffen sie Dinge, die sich mir bis heute nicht erschlossen haben. Fangen wir an …

Warum um alles in der Welt sind meine Haare, die ich vor dem Zubettgehen noch gebürstet hatte, morgens wie ein klettendurchsetzter Busch verknotet? Warum habe ich Knoten in den Haarspitzen, die ich nur mit lauten Flüchen und unter Schmerzen lösen kann? Warum? Was um alles in der Welt stelle ich nachts an, wenn ich schlafe? Oder sollten Heinzelmännchen tätig sein, die ganz kunstvoll meine Haare mittig und/oder an den Spitzen verknoten, damit ich morgens so richtig Freude habe, wenn ich den ganzen Mist entwirren darf? (Kleiner Tipp: Vor dem Duschen machen, denn im nassen Zustand sind verknotete Haare noch viel schlimmer zu bändigen. Und noch ein Tipp: Es gibt spezielle „Entwirrbürsten“ für wenig Geld zu kaufen. Die haben komisch gedrehte Borsten und sehen etwas bescheuert aus, aber ohne meine „Entwirrbürste“ wäre ich morgens verloren – und ich habe vergleichsweise kurze Haare.)

Auch habe ich den Eindruck, dass meine Kontaktlinsen irgendwie ein Eigenleben führen müssen. Anders ist ein gewisses Phänomen nicht zu erklären. Denn: Warum passiert es mir immer wieder, dass ich meine – weichen – Kontaktlinsen morgens einsetze, und die Biester sitzen dann einfach nicht? Driften auf dem Auge herum wie in Seenot befindlich, scheuern herum, statt sich einfach geschmeidig anzulegen und so zu funktionieren, wie man es von ihnen erwartet? Warum? Ich bin seit vielen Jahren Kontaktlinsenträgerin! Es kann sich nur um ein Eigenleben handeln, in dem die kleinen Dinger sich, ganz korrekt in ihre Behälter gelegt, denken: „Wir sind nicht politisch korrekt, und das zeigen wir der Tussi morgen früh!“ Und nachts scheinen sie sich „auf links“ zu drehen, und ich, morgens meist in Eile, darf mich dann mit diesem „Revoluzzertum“ herumschlagen! (Dabei wäre das bei mir gar nicht einmal nötig, da ich ein Herz sowohl für Spinner wie auch Revoluzzer habe.) Oder mit verdrehten Kontaktlinsen zur Arbeit gehen und dann stundenlang zu leiden. Inzwischen trage ich immer Reinigungslösung mit mir herum, seit ich einmal versucht habe, das Ganze mit Leitungswasser zu beheben. Niemals! Nicht machen! Ihr seht danach aus, als hättet ihr gerade die Trennung vom Mann oder der Frau eures Lebens hinter euch, und ihr habt ein Gefühl auf dem Auge, als scheuere  jemand mit Sandpapier darauf herum. Ich bin immer sehr sorgfältig mit derlei Dingen, und so verstehe ich nicht wirklich, warum ich dann morgens manchmal mit den Linsen kämpfen muss. 😉 Die einzige Erklärung: Die führen ein Eigenleben. 😉

Warum ist der Montag der langweiligste Arbeitstag in der Woche? Man erwartete dies doch eigentlich eher vom Freitag, oder? Ich hingegen habe an Freitagen schon bis nach 20 Uhr im Büro gesessen und rotiert, weil einige unerwartete Dinge geschahen und/oder ganz schlaue Leute plötzlich – denn das Wochenende kommt ja immer ganz unerwartet – erkannten, dass da noch dringend etwas erledigt werden musste. Eine Mitarbeiterin teilte einmal an einem etwas späteren Freitagnachmittag mit, dass bei ihr wohl offene TBC möglich sei, da sie – sie ist „ganz wichtig“ – immer im Ausland und letztlich auch in einem Krisengebiet unterwegs gewesen sei. Ihr Partner sei positiv getestet worden. Hurra! Ich hatte meine Jacke schon in der Hand gehabt und sie anziehen wollen – ich musste bleiben und diverse Dinge regeln, mit denen ich zuvor noch nie zu tun gehabt hatte.

Warum eigentlich muss man sich im Leben mit so vielen Idioten herumschlagen? Und warum ist es nicht opportun, genau diese Frage den Idioten mal zu stellen? Ich habe im Berufsleben mit einer Kollegin zu tun, die wirklich gar nicht geht. Und ich bin im Grunde ein sehr genügsamer Mensch und rege mich meist nur dann auf, wenn es gar nicht mehr zu ertragen ist. Die Frau geht gar nicht, nervt bis zum Abwinken. Ich habe ihr schon mehrfach einige Dinge gesagt, aber im Grunde müsste mal einer hingehen und ihr sagen, dass ihre Art einfach gar nicht geht. Warum mache ich das nicht einfach? 😉

Eigentlich ist es so, dass man sich – zumindest dann, wenn so geartet, wie ich es bin – immer fragt: „Warum ist das Leben oft so doof und so schwierig?“

Ich kann es euch sagen: Wir sind selber schuld! Das nächste Mal, wenn mich die doofe Kollegin mit ihrer Wachhundmanier nervt, werde ich ihr sagen: „Du nervst! Warum machst du das eigentlich?“ Dann sprechen wir darüber, und dann geht alles sicherlich viel leichter! 😉

Und wenn ihr das glaubt, wünsche ich euch schon einmal viel Spaß beim Warten auf den Weihnachtsmann! Oder Godot. 😉

Und wenn mich noch einmal einer fragt, warum ich so sarkastisch sei, wie ich es bin, werde ich ihn einladen, mich mal eine Woche zu begleiten. 😉 Danach hat es sich dann mit dem „Warum“, da bin ich  mir sicher. 😉

Wie man so tickt …

Es ist im Grunde ganz einfach, mit mir klarzukommen oder mich zu verstehen: Man muss nur einfach mit mir reden, und das ganz ohne Schnörkel, Metaphern, Allusionen und sonstige Phänomene dieser Art. Zwar bin ich als „gelernte Literaturwissenschaftlerin“ in der Lage, derlei Stilmittel nicht nur zu erkennen, sondern auch zu deuten, zu interpretieren und bis aufs Knochenmark durchaus gekonnt zu analysieren, aber jenseits fiktionaler wie non-fiktionaler Texte und im realen Leben, vor allem meinem eigenen, bevorzuge ich doch Klartext. Da bin ich nicht sonderlich abstrakt, sondern bevorzuge Konkretes. Sowas wie „Butter bei die Fische“. Alles andere macht mich nervös, und wenn ich nervös werde, bin ich nicht sonderlich einfach zu ertragen. Ich werde zickig und hektisch, ich reagiere so, wie ich gar nicht reagieren will. Ich bin offenbar erstaunlich gut in der Lage, Berufliches und Persönliches zu trennen. Zumindest im Bereich der Text- und Stilmittelanalyse … 😉

Es gibt tatsächlich Menschen, die mich für cool oder gar „tough“ halten. Dabei bin ich wohl der uncoolste Mensch, den ich je kennengelernt habe. 😉 Zumindest aus meiner Sicht. Ich bin sogar – und da lachen immer alle Leute, die mich nicht so gut kennen – ziemlich schüchtern, was – ich gebe es zu – auch nicht auf den ersten oder weniger interessierten oder geschulten Blick erkennbar ist. Aber: Ich halte eine Menge aus, und ich habe eine ziemlich große Klappe, der Grund, weswegen man mir meine Schüchternheit nicht abnimmt. Ich bin aber nun einmal so. 🙂 Wenn es hart auf hart kommt, renne ich nicht weg, weil ich das ganz und gar nicht leiden kann. Wegrennen ist billig – außerdem bin ich keine gute Sprinterin. 😉

Es gibt Menschen, die mich für intolerant halten, weil es einiges gibt, das ich nicht mag. Vielleicht ist es aber auch so, dass es wirklich viele Dinge gibt, die einfach so nicht hinzunehmen sind. Oder zumindest nicht so einfach hinzunehmen sind. Vielfach ist Toleranz auch schlichte Faulheit, und manchmal wird Intoleranz unterstellt, wenn man selber keine Lust hat, über Konsequenzen nachzudenken.

Aber es wird hier zu abstrakt für meinen Geschmack. 😉 Eigentlich wollte ich – und das nicht ohne Grund – einfach mal auflisten, was ich total zum Kotzen finde und was ich mag.

Nicht so toll finde ich folgende Dinge:

„Jura“-Kaffeevollautomaten

O Gott, werdet Ihr jetzt denken, die Frau ist ja völlig durchgeknallt! Wie kommt sie denn jetzt darauf? Das ist aber ganz einfach erklärt: Diese völlig überteuerten Kaffeemaschinen erinnern mich an meinen letzten Ex. Seines Zeichens Jurist, hielt er wohl eine Jura-Kaffeemaschine für standesgemäß. Immerhin heißt das Ding ja „Jura“, und er ist als Standardjurist leider bar jeglicher Phantasie. Anfassen durfte ich sie nur, wenn auch gesichert war, dass genug Kaffee eingefüllt und das hässliche Ding vollbestückt und einfach zu bedienen war. Ich hätte ansonsten dem Statement-Küchengerät ja einen Schaden zufügen können! Im Grunde habe ich gar nichts gegen die Maschine an sich, mehr gegen ihren Betreiber, der mir allerdings keineswegs fehlt, ganz im Gegenteil. Es ist eher so, dass ich, wann immer ich eine Jura-Kaffeemaschine sehe, mich selber für meine Idiotie in den Hintern treten möchte, mit der ich dem Deppen noch eine zweite Chance gab. Offenbar war ich – ja, ich! – zu tolerant. Und/oder zu dumm. 😉 Und wer möchte dauernd mit seinen Schwächen konfrontiert werden? 😉

Aus ganz ähnlichen Gründen habe ich eine latente Aversion gegen das Lieblingskind eines jeden Grill-Liebhabers: den „Weber-Grill“. Ich denke, ich muss das hier nicht gesondert ausführen. 😉

Ich hasse es, wenn ich für jemanden koche, und der stopft alles in sich hinein und weiß die Mühe nicht zu würdigen. Und ich spreche hier nicht von Rührei, sondern durchaus aufwendigeren Dingen. Ich erinnere mich, mal für jemanden „Coq au Riesling“ gekocht zu haben, die elsässische Version des bekannteren „Coq au Vin“, das mit Rotwein zubereitet wird. Genauer: Ich hatte ein ganzes Menü gekocht, mit „Entrée“, einem Zwischengang, dann dem „Coq au Riesling“, dann einem Dessert (ich hasse die Zubereitung von Desserts, einem Gang, den ich selber meist auslasse), und dann gab es noch eine wirklich nette Auswahl verschiedener Käsesorten. Da saß der und stopfte sich einen Gang nach dem anderen in den Rachen, während ich total erschöpft von der ganzen Kocherei war, bei der er netterweise immerhin das französische Maishähnchen vor dem Kochen in handliche Teile zerlegt hatte. Kein Wort der Anerkennung – immerhin durfte ich den Film aussuchen, den wir gemeinsam ansehen wollten. Ich hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera, genauer: zwischen Horror und Psychothriller. Ich wählte den Psychothriller, da mir dies situationsbedingt passend erschien. (Der Horror kam erst später.) Während er lief, brach ich auf der Couch zusammen und verschlief den Film, von dem ich nicht einmal ein Drittel mitbekommen habe.

Umgekehrt ist zu aufwendiger und theatralischer Dank auch nicht optimal, wenn ich gerade mal ein Steak in die Pfanne gehauen habe.

Theatralik ist generell etwas, das ich nicht mag, wie alles aufgesetzte Benehmen. Alles, was zu dick aufgetragen ist, finde ich furchtbar. Ganz entsetzlich auch, wenn Menschen, die mich gerade kennengelernt haben, so tun, als könnten sie mich einschätzen, mir, fange ich einen Satz an, dann das Wort aus dem Mund nehmen und den Satz zu Ende bringen. Meist stimmt der Rest dann keineswegs mit dem überein, was ich sagen wollte. Genauer: Er ist meist so weit von meiner Art, zu denken, entfernt wie Sonne und Neptun. Da kann ich ziemlich sickig werden, und solche Leute lernen mich dann wirklich kennen. Nicht ganz so, wie sie sich das vorgestellt hatten, aber wenigstens authentisch. 😉

Noch schlimmer, wenn ich von Menschen, die mich gar nicht kennen, „erzogen“ werden soll, weil sie der Ansicht sind, ich sähe die Dinge verkehrt. Liebe Leute, ich sehe die Dinge nicht verkehrt, sondern aus einer anderen Perspektive, nämlich meiner! Ich rede euch doch auch nicht in eure Sichtweise hinein, jedenfalls dann nicht, wenn ihr mich nicht darum bittet. Höchstens dann, wenn ihr derart abstruse, lebensfeindliche Dinge absondert, dass ich nicht anders kann, als zu protestieren. Und darin bin ich wirklich gut! 😉 Allerdings schätze ich freundschaftlichen Rat von Gleichgesinnten – ich gebe zu, es ist nicht ganz einfach. Oder doch? Denn es ist im Grunde nur dieses von oben herab erfolgende Belehren, das ich wirklich nicht ausstehen kann.

Ich hasse es wie die Pest, wenn ich morgens langsam wach werde – ich bin kein Morgenmensch – und mir dann jemand, der schon beim Aufschlagen der Augen völlig fit ist, die Ohren vollquatscht. Einmal Urlaub mit meiner sehr lebhaften Schwester in einem Doppelzimmer verbracht, war mir eine Lehre, dies künftig zu vermeiden. Ich rede selber sehr viel, aber erst ab einer gewissen Uhrzeit und nach dem ersten Kaffee. Und nicht halb so schnell. Meine Schwester ist unglaublich: Wacht morgens auf und fängt gleich zu reden an, und das noch lauter als ich. 😉 Mein letzter Aufenthalt in London war daher viel anstrengender als sämtliche vorherigen London-Aufenthalte zusammen.

Spinnen und Insekten sind auch etwas, das ich nicht sonderlich schätze. Liebe Spinnen und Insekten: Verirrt euch bitte nie in meine Wohnung, denn ich liebe zwar Tiere, und auch euch mag ich, aber das bitte so weit wie möglich von mir entfernt. 😉 Es ist noch nicht so lange her, dass ich abends bei geöffnetem Fenster in meinem Wohnzimmer saß, am Rechner arbeitete und plötzlich etwas hörte, das wie Motorengeräusch klang – fast wie ein Flugzeug. Ich blickte auf, und da flog eine riesige, pechschwarze Libelle laut brummend direkt auf mein liebliches Antlitz, genauer: meine Nase zu! O Gott! Ich habe keine Ahnung, was meine Nachbarn dachten, als sie aus meiner Wohnung heftige Geräusche hörten, und das immerhin schon gegen 23 Uhr, denn ich sprang schreiend auf, riss meinen Schreibtischstuhl um und floh – wahrscheinlich mit weitaufgerissenen Augen – gen Wohnzimmertür. Die Libelle war angesichts meiner heftigen Reaktion wohl ähnlich schockiert wie ich über ihr Erscheinen, denn sie drehte bei und flog durchs Fenster wieder ins Freie. Fast glaubte ich, ihre Gedanken zu erahnen: „Ich haue hier lieber ab – die Alte ist ja völlig durchgeknallt!“ Ich schloss daraufhin das Fenster mit einem Knall.

Es gibt aber auch viele Dinge, die ich mag.

Ich mag den ersten Kaffee morgens, weil er mich dazu bringt, wach zu werden. Und im Gegensatz zu den weiteren Tassen Kaffee, die ich über den Tag verteilt trinke, schmeckt er auch. 😉 Die erste Zigarette des Tages, meist an der Straßenbahnhaltestelle auf dem Weg zur Arbeit geraucht. Ich mag ruhige, nachdenkliche Menschen, die wie Balsam wirken, wenn ich mich mal wieder viel zu sehr aufrege. 😉 Mir imponieren Menschen, die Dinge, an denen ihnen lag, aufgeben können, um andere Ziele zu erreichen. Ebenso Menschen, die aufgeben können, wenn sie sehen, das bisherige Ziel funktioniert nicht. Dazu gehört sehr viel Mut. Ebenso mag ich Menschen wirklich sehr, die eigene Schwächen zugeben können.

Und ich mag sogar Frankreich! Wer mich kennt, weiß, dass ich jahrelang nie so begeistert von dem Gedanken war, dort Urlaub zu machen. Mein Französisch-LK-Lehrer, allzu patriotischer Franzose, war schuld. Zu euphorisch, zu theatralisch, zu patriotisch – siehe oben. 😉

Ich mag eigentlich sehr vieles, sehr viel mehr als das, was ich nicht mag, aber das würde an dieser Stelle doch den Rahmen sprengen.

In diesem Sinne: Manchmal hilft es, sich vor Augen zu führen, was man mag und was nicht, um sich selber ein bisschen besser zu begreifen, wenn alles mal wieder stressig ist. Ich jedenfalls werde mir jetzt meine neue CD von „Zaz“ anhören. Französische Musik, die ich bisher nicht mochte. 😉

Ich bin kein Engel, ich bin nicht süß, und ich habe – wie alle Menschen – ganz eigene Macken. Aber alles in allem bin ich doch offenbar, wie mir ein guter Freund mal sagte, so etwas wie „ein feiner Kerl“. Er ist mein bester Freund – daher glaube ich ihm das einfach mal.

Der harte Kern des harten Kerns

Betriebsausflüge und –feiern sind nicht die einzige Möglichkeit, seine Kollegen richtig kennenzulernen, aber meist die letzte Bastion, zu erkennen, wer wirklich wie tickt. Und man ist bisweilen wirklich sehr überrascht. Manchmal auch nicht, wenn man ohnehin schon einen Eindruck hatte. Als gestern bei unserem diesjährigen Betriebsausflug sich die „Dame“, die ohnehin schon eine „Schleuderschnauze“ hat – wäre sie ein Hund, stammte sie wohl von einem Paar bissiger, nicht resozialisierbarer Elternteile ab, bei denen man annehmen könnte, die Tollwut sei wieder aufgeflammt und sofort zur Flinte greifen würde, wenn man auch sonst sehr tierlieb ist -, zunächst mit der Besatzung des Fahrgastschiffes, mit dem wir auf dem nahegelegenen Rhein-Herne-Kanal unterwegs waren, anlegte, weil sie – ausgerechnet sie! – kein Stück Kuchen mehr abbekam, dann noch mit einem der größten Pazifisten unter den Mitarbeitern über den vermeintlich allgegenwärtigen Rassismus am Arbeitsplatz diskutierte und ins Kreischen geriet, obwohl ihr Gegenüber sehr ruhig und friedlich war, dachte ich zunächst: „Nie wieder Betriebsausflug! Aber kein Wunder – Cindy Blech war ja schon immer so. Armer Herr Grethel!“ Denn Herr Grethel hat es wirklich nicht verdient, sich mit Cindy Blech um des Kaisers Bart streiten zu müssen, zumal da zwei Extreme aufeinanderprallen: Ersterer ein sehr ruhiger, sachlicher und vermittelnder wie freundlicher Mensch, den ich seit meinen Kleinkindzeiten kenne, und das genau so: freundlich, ruhig, sachlich, sehr fachkompetent, verantwortungsvoll-integer und etwas schüchtern. Zweitere eine Fanatikerin, die sich stets benachteiligt fühlt. Ich muss nicht erwähnen, dass Cindy Blech sich mit meinem Ex-Kollegen Birger und dessen Busenfreund sehr gut versteht und man miteinander befreundet ist, nehme ich an … Sie war es auch, die mich mal in der Kantine traf, als ich gerade vom Orthopäden kam und eine Spritze in den Rücken bekommen hatte. Sie konnte es nicht wissen, und wir halten auch immer größtmögliche Distanz zueinander, aber just an diesem Tag piekte sie mir ihren Zeigefinger just in die Stelle, wo man mir die Spritze verabreicht hatte! Als hätte sie es gerochen! Oder kurz vorher mit Birger telefoniert … Zum Glück kann ich mich beherrschen, ansonsten hätte ich ihr eine geknallt. Verdient gehabt hätte sie es nicht nur dafür.

Die meisten Kollegen, die gestern zum Betriebsausflug eilten, waren mehr oder minder normal, wie auch immer man Normalität nun definieren möchte. Es waren von allen Sorten welche dabei: nette, freundliche, großzügige, aufgeschlossene Wesen, Korinthenkacker, Kollegen, die immer so verbiestert wirken, als bissen sie bei der Arbeit auf Hühnerkacke, Spießer [obwohl ich ja der Meinung bin, dass wir alle – zumindest in kleinen, persönlichen Teilbereichen –  irgendwo irgendwie spießig seien], Großmäuler und so weiter.

Wir schipperten mit einem etwas in die Jahre gekommenen Fahrgastschiff über den Kanal, passierten eine Schleuse, und ich musste feststellen, nicht viele Kollegen waren schiffs- und schleusenerfahren. Viele standen an der Reling, ah-ten und oh-ten und hielten jeden Flutungsschritt bzw. das Gegenteil mit der Kamera fest. Ich hatte das Glück, von Kindesbeinen an mit dem Passieren von Schleusen vertraut zu sein, da ich mehrfach mit Motoryachten in und um ein großes Gewässer in einem meiner Lieblingsländer, den Niederlanden, unterwegs gewesen war: dem IJsselmeer und diversen Kanälen. Da haut einen so etwas nicht mehr ganz so sehr vom Hocker, und man sitzt mit der Gelassenheit eines alten Bordhundes an Bord und hofft nur, es möge nicht so lange dauern. Spritzwasser von oben? Ha! Ist halt so in einer Schleuse, und wenn man sich an Deck aufhält, ist eben damit zu rechnen. Man muss halt schiffstaugliche Kleidung mitbringen. Glitschige, algenbewehrte Schleusenmauern, bei denen einige Kolleginnen sich ekelten, boten einen mir durchaus altvertrauten Anblick, obwohl ich auch nicht tagtäglich damit zu tun habe.

Wir fuhren bis zu einem Schiffshebewerk, das ein themenbezogenes Museum betreibt, legten dort an, und die, die interessiert waren, konnten das Hebewerk nebst Museum besichtigen. Ich kannte das von verschiedenen Besuchen mit meinem Ingenieurvater bzw. der Schule, und so setzten Kollegin Janine, Kollege Frederik und ich uns in einen angrenzenden Biergarten. Frederik kam auf die glorreiche Idee, drei halbe Liter Pils zu holen. Bereits nach dem ersten Drittel ihres Glases war Janine nicht mehr dieselbe: Sie kicherte unentwegt, und Frederik und ich sahen einander grinsend an. Offenbar vertrug die Kollegin nicht so viel. Wir halfen dann bei der Leerung ihres Glases noch mit. Zum Glück ist es eine sehr nette Kollegin. Mit Cindy Blech hätten wir uns nicht zusammengesetzt.

Glücklicherweise ist die Kollegin nicht leicht aus der Bahn zu werfen, und so tranken wir nach der Rückkehr aufs Schiff noch ein Bier, nachdem wir einen Platz an Deck bzw. dort am Bug ergattert hatten. Die besten Plätze waren bereits belegt, und ich kam auf einer etwas durchfeuchteten Bank ganz vorne kurz vor der Bugspitze zu sitzen. Kollege Frederik kam dazu und meinte: „Ich setze mich zu Ali – da ist es wenigstens lustig!“ Donnerwetter – wie kam ich denn dazu? Wahrscheinlich liegt es an meinen bisweilen etwas derben Sprüchen, dass manche Kollegen mich für einen lustigen Haudegen halten. 😉 In Wirklichkeit bin ich durchaus sensibel – viele wissen das nur nicht. 🙂

Wir legten ab, und dann ging es ohne Probleme bis zur Schleuse zurück. Fast ohne Probleme. Denn zwischendurch fing es zu regnen an, und diejenigen, die die besten Plätze am Bug als Erste besetzt hatten, flohen kreischend unter Deck, auch Kollegin Janine. Frederik und ich blieben als einzige an Deck, und ich meinte kopfschüttelnd: „Alles Schönwettermenschen. Ist doch nur ein bisschen Wasser!“ – „Der harte Kern bleibt eben draußen.“

Vor der Schleuse mussten wir festmachen, und der Schiffsführer gab durch, dass wir mit knapp zwei Stunden Wartezeit rechnen müssten. Sofort ging das große Genöle los, das ich so sehr hasse! Da war von schlechter Organisation die Rede, von Unverschämtheit und Sonstigem. Als wäre die Wartezeit vorherzusehen gewesen! Es gibt nun einmal Vorfahrtsregeln an Schleusen, und mir war es lieber, dass der Gefahrguttransporter „Freya“, der explosive Ladung an Bord hatte, vor uns in die Schleuse fuhr. Mich nervt so ein Verhalten, wenn doch niemand etwas dafür kann. Angesichts der Krakeelerei erklärte der entnervte Schiffsführer dann, es sei zu Fuß nicht so weit, wieder zum Ausgangshafen zu gelangen, nur drei Kilometer, und die, die nicht warten wollten, könnten hier von Bord gehen.

„Drei Kilometer! So weit! Das ist ja das Letzte!“ war von vielen Seiten zu hören, und ich schüttelte nur den Kopf. Ich gehe von der Arbeit nicht selten zu Fuß nach Hause – die doppelte Strecke! Und das mit Spaß.

Erstaunt war ich, als ich sah, wie viele Kollegen das Schiff verließen – es blieben nur sieben zurück. Janine wollte das Stück nicht laufen, so blieb sie auch, daneben mit mir sechs weitere Leute. Der wirklich harte Kern. 😉

Die Entscheidung, an Bord zu bleiben, war das Beste am ganzen Tag, denn wir hatten viel Spaß, tranken Bier, alberten herum und bezeichneten die anderen als Weicheier. Soviel Spaß hätten wir mit dem Rest der Bande sicherlich nicht gehabt. Und wir hätten niemals die bisweilen sehr engstirnige Art einiger Kollegen, von denen man diese niemals erwartet hätte, so offen thematisieren können. Aber es ist gut, zu wissen, wie einige wirklich ticken. 😉

Daher: Fahrt immer fleißig mit zu Betriebsausflügen! 😉 Ich wurde gestern zum „harten Kern des harten Kerns“ ernannt, weil ich nicht nur an Bord, sondern sogar bei Regen draußen geblieben war – wenn das nix ist! 😉

Und ich werde nie wieder über Lehrer meckern, die Ausflügen und Wandertagen schon lange vor deren Durchführung nervös entgegenblicken. Es ändert sich nämlich offenbar nie im Leben etwas wirklich, ganz egal, wie alt die Ausflügler sind. 😉