Abseits von „Krethi und Plethi“ – Ali zu Gast bei Großkopferten …

Gestern habe ich eine Vernissage besucht. Zusammen mit meiner Kollegin Lydia, und es war dann auch ein sehr netter Abend, nachdem wir den „Industrieclub“ unserer Heimatstadt verlassen hatten, noch ein Eis essen gingen und einen Stadtbummel machten. Lydia und ich sind zwar nicht immer einer Meinung, aber wir haben einige Dinge gemeinsam und haben gestern auch beschlossen, öfter mal etwas gemeinsam zu unternehmen. Gemein ist uns auf alle Fälle ein gewisser Sarkasmus: Beide können wir immer sicher sein, dass das Gegenüber, also entweder Lydia oder ich, sofort versteht, was man eigentlich mit einem vermeintlich lockeren Spruch meint, was wirklich dahintersteckt. Das hat uns auch sehr in den neun Jahren mit Kollegen Birger geholfen.

Da Lydias Chef nicht zur Vernissage gehen wollte, überreichte er ihr mit weltmännisch-großzügiger Geste die Einladung, in der auch eine Begleitung zugestanden wurde. Lydia fragte mich, ob ich Interesse hätte – ich sagte ja. Es war nicht meine erste Vernissage, und ich wusste: „Das kann lustig werden!“ Denn entweder sind die Exponate so geartet, dass man einen amüsanten Abend mit viel Schmunzeln und Lachen vor sich hat – oder die hochwohlgeborenen Gäste der Vernissage gereichen zum Amüsement. „Hochwohlgeboren“ sind sie – wie ich erst gestern wieder feststellen durfte – dann nur in seltenen Fällen, speziell hier in meiner Heimatstadt, aber es gibt ja auch so etwas wie Geldadel. Meine Familie besteht nicht aus Kaufleuten, aber ich schätze sie sehr, da auf Bildung stets großer Wert gelegt wurde, obwohl – das kann man sich heutzutage anhand allfälliger Klagen, Arbeiterkinder seien per se benachteiligt, wenn es ums Studium ginge, kaum vorstellen! – nur zwei Generationen vor mir meine Familie sich aus Arbeitern und Handwerkern zusammensetzte. Irgendwie strebten die aber irgendwann, sofern möglich, auch noch andere Dinge an und brauchten dafür keinesfalls einen „Talentscout“, wie es heute so üblich ist, der die vermeintlich Bildungshungrigen ans vor Schüchternheit schweißnasse Patschhändchen nimmt, weil die Armen ja – ganz im Gegensatz zu früheren Generationen – keinerlei Gelegenheit finden, sich mal selber zu informieren, welche Möglichkeiten ihnen allen offenstehen! Und das trotz bequemer Aspekte wie Internet und Konsorten. Aber das ist wieder eine ganz andere Sache, und Eigenverantwortung und eigenes Denken sind ja heutzutage ohnehin irgendwie nicht mehr en vogue und zusammen mit der Allgemeinbildung schon vor geraumer Zeit heimlich, still und leise zu Grabe getragen, beziehungsweise im Morgengrauen irgendwo verscharrt worden, als alles noch in tiefem Schlaf lag.

Gestern am frühen Abend fuhren Lydia und ich dann ins Herz dieser Stadt: zum „Industrieclub“. Ein junger Künstler, der internationalen Anspruch sein eigen nennt und aus unserer Heimatstadt stammt, hatte seinen großen Auftritt dort. Und ich fühle mich sehr geehrt, denn er schüttelte sogar mir das eher volksnahe Händchen. Aber gegen den Künstler an sich will ich rein gar nichts sagen, denn der kam sehr nett und natürlich herüber – netter und erheblich natürlicher als größere Teile seines Publikums. Die meisten schienen einander zu kennen, und ich fühlte mehrfach fragende, teils abweisende Blicke auf Lydia und mir ruhen, als wolle man fragen: „Wer sind die denn?“ Nun gut, die anderen Anwesenden waren mir auch nicht bekannt, und als ich ihr teils – für mich persönlich – fragwürdiges Gebaren näher betrachtete, war ich auch froh darüber. Ein Busunternehmer war mit seiner Familie da – natürlich Mitglied des Clubs, da er Unternehmer ist. Die Töchter, von denen keine auch nur ein Wort sagte, hatten lange Storchenbeine und umso kürzere Kleidchen an, Spargelbeine, und sie schienen sich auch nur von Spargel ohne Beilagen zu ernähren. Wären sie gefallen, wären sie sicherlich sofort entzweigebrochen. Sprechen sah und hörte ich sie nie. Vielleicht war das auch besser so, denn ich hörte ihre Eltern reden, und das bereitete wenig Freude. Aber die beiden Mädels konnten – und darum beneide ich sie ein kleines bisschen – auf 10-Zentimeter-Bleistiftabsätzen nicht nur elegant und mit gekreuzten Beinen stehen, sondern sogar gehen! Wahrscheinlich haben sie Unterricht darin – ich hatte nur Klavierunterricht. Da kommt es auf die Beine nur dann an, wenn man die Pedale betätigen und sich auf dem Klavierhocker halten muss, was ohne Beine ganz schlecht möglich wäre.

Ich fühlte mich nicht die ganze Zeit wohl dort, eher so, wie sich der einzige Karpfen in einem See fühlen muss, wenn er einer Bande von Hechten ausgeliefert ist. Lydia und ich flanierten dann auch lieber herum und betrachteten die Kunstwerke. Einige gefielen mir sogar, vornehmlich die, bei denen nicht irgendwelche Tagebucheintragungen des Künstlers Motivation gewesen waren, wie partiell erklärend daneben geschrieben stand, dem ich angesichts mancher Abbildungen einen Besuch bei einem guten Psychotherapeuten angeraten hätte, um Traumata wirklich zu verarbeiten. Aber ich werde unfair: Einige Bilder fand ich wirklich klasse.

Dann wurden wir zusammengerufen, da nun die Begrüßungsrede gehalten wurde – ein Herr von der Sparkasse im feinen Zwirn hielt sie. Er schien mit seiner Uniform aus Teurer-Anzug-Krawatte-Seidenstrümpfe-Schuhe verwachsen, und er ist ein Bankmensch – daher verzieh ich ihm kleine Fehler hinsichtlich eher mein Fach, die Geisteswissenschaften, betreffende Dinge. Er übergab an eine Kunsthistorikerin, die offenbar selten vor Publikum spricht, dafür aber Aspekte an des Künstlers Werk hervorhob und mit unnötigen Metaphern versah, die einem unerfahrenen Kleinkind ins Gesicht hätten springen und das unschuldige Kind an der Kehle würgen müssen, so offensichtlich waren sie. Das Publikum lauschte gebannt. Zumindest zum Teil. Andere Teile flüsterten gut hörbar herum: „Hast du den/die gesehen? Unmöglich, das Kleid/der Anzug!“ Es ging so weit, dass mir der Künstler irgendwann Leid tat. Neben mir tuschelten zwei Damen herum, das – übrigens sehr schöne – Kleid einer mir völlig unbekannten Anwesenden, die aber wohl zur Hautevolée dieser Stadt gehört, sei ja wohl das Letzte. Sie selber standen im Freizeitlook und mit ausgelatschten Tretern da, was ich normalerweise – auch ich verfüge nicht über exorbitante Abendmode – für „echt revolutionär“ gehalten hätte. Dazu aber hätten sie einfach nur ganz selbstverständlich in ihrem Aufzug dastehen müssen und das festlichere Umfeld keineswegs wahrnehmen dürfen. Echtes Revoluzzertum wirkt nur dann, wenn man das zu Kritisierende vermeintlich gar nicht beachtet – dann erst wirkt die Revolte nebst Verachtung wirklich, da man den Feind nicht einmal einer Bemerkung würdigt. 😉

Ich war froh, als das Buffet eröffnet wurde, denn da meinte Lydia zu mir: „Was meinst du? Sollen wir nicht lieber ein Eis essen gehen? Irgendwie fühle ich mich hier nicht so wohl.“ – „Sehr gute Idee, mir geht es genauso!“ – „Du kommst doch aber auch aus solchen Kreisen!“ – „Ich? Bewahre! Bei uns ist keiner Geschäftsmann! Das dürften hier wohl die meisten sein – zumindest gebärden sie sich so.“ Und da grinste Lydia. Sie hatte verstanden, was ich meinte und das Publikum wohl ähnlich eingeschätzt wie ich. 😉

Ehrlich gestanden: Der schönste Teil des Abends war der in der Eisdiele, obwohl wir gegen eine Wespeninvasion kämpfen mussten. Auch der Stadtbummel hinterher war schön, obwohl die Geschäfte bereits geschlossen waren.

Ich konstatiere: Ich mag die vermeintliche Hautevolée nicht. Und ich frage mich: „Wenn das hier schon so schlimm ist, wie mag es dann in Städten wie München sein?“ 😉 Da bleibe ich doch lieber volksnah. Oder? 😉

Solltet Ihr mal Gast einer Vernissage sein: Ich wünsche euch viel Spaß! 😉

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