Ja, dieses Diktum des römischen Dichters Juvenal aus seinen Satiren wird gern von ganz speziellen Sportbegeisterten zitiert. Allerdings in einer stark verkürzten und die Grundaussage falsifizierenden Form, die dem genauen Gegenteil dessen entspricht, was es eigentlich aussagen soll, denn die Sportfans kennen nur: „Mens sana in corpore sano.“ Ein gesunder Geist ruhe in einem gesunden Körper – ganz automatisch und durch akribische sportliche Betätigung, wie sie es interpretieren. Dabei ist doch der Spruch vielmehr ein Appell, dafür zu bitten bzw. zu beten, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist ruhen möge – dass also auch das Geistige nicht zu kurz kommen möge, und das neben der körperlichen Betätigung. Vielleicht haperte es bei den oben genannten Sportfans im Fach Latein … Aber das ist eine unzulässige Pauschalisierung, die ebenso dumm ist, wie nicht so sportlichen Menschen per se zu unterstellen, sie seien dumm, dick, gefräßig, würden nur vor der Playstation sitzen und müssten einfach nur an sich selber arbeiten. Ich verspreche, ich werde gleich morgen zur nahegelegenen Bezirkssportanlage gehen und dort zur Strafe drei Runden auf der Tartanbahn rennen. Wenigstens eine Tartan- und keine Aschenbahn, auf der es immer besonders unangenehm war, wenn man stürzte … Es war immer eine besondere Freude, quasi das Tüpfelchen auf dem I, wenn man dann diese kleinen, teils spitzen Partikel aus der Haut friemeln musste – speziell an Knien und Ellbogen, was ganz fies wehtun kann, man dabei aber noch tapfer lächelnd sagen musste: „Es ist nur eine Schramme!“ (Irgendwie habe ich bei diesem Satz immer die Assoziation an die „famous last words“, und vor meinem geistigen Auge erscheint eine – fiktive – Filmszene: Held verletzt sich, sagt: „It’s just a scratch!“ Schnitt. Nächste Szene: Trauerzug taumelt schluchzend hinter Sarg her. Inliegend: Held aus der vorherigen Szene … Der mit der Schramme.)
Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass die Mutter eines weinenden Drittklässlers, der bei den Bundesjugendspielen nur eine Teilnehmerurkunde bekommen hatte (what the hell is this – bei uns gab es nur Sieger- und Ehrenurkunden und für die „Loser“ … nichts; naja – fast nichts, doch dazu später …), eine Petition zur Abschaffung dieses Zwangswettbewerbs gestartet habe. Ich habe die Bundesjugendspiele gehasst, ich gebe es zu. Keineswegs aber hasse ich Sport. Es gibt einige Dinge, die ich sehr gern mache und immer gern gemacht habe: Gymnastik, Jazzgymnastik, Tanzen – sogar Basketball machte mir nicht selten so etwas wie Spaß, zumal wir eine sehr gute Sportlehrerin hatten, die auch bei denen, die nicht die geborenen Spieler waren, Fortschritte bemerkte und notentechnisch und durch Lob honorierte. Ich lief sogar gern – nachdem sich herausgestellt hatte, dass ich alles, aber keine Sprinterin bin, sondern gut auf der Langstrecke, was meine Sportlehrerin, eine echte Gräfin übrigens, aber keineswegs elitär, sondern handfest und pragmatisch – sogar die Sportnieten mochten sie (fast alle) – dazu verleitete, zu mir zu sagen: „Ali, du bist eine wirklich schlechte Sprinterin, aber damit sage ich dir nichts Neues. Aber du bist sehr gut auf der Langstrecke und hast Ausdauer, wo die, die schnell beschleunigen können, regelmäßig versagen. Und Ausdauer ist sehr wichtig, immer im Leben. Weitermachen!“
Hallenhockey fand ich auch nicht schlecht, ebenso Badminton. Circuit Training – sogar das machte ich gern. Gegen Ausdauer und Kondition ist nichts zu sagen, und einige Übungen machten wirklich Spaß – bis auf Klimmzüge, die mir auch heute noch nicht gelingen. Nur im übertragenen Sinne. Ganz grässlich: Volleyball und Gerätturnen – das ging gar nicht. Zum Glück aber kam das nicht so oft vor.
Aber die Bundesjugendspiele? Igitt! Da gab es ja nur eine Disziplin, die ich hinbekam: Langstrecke. Ansonsten bestanden für mich die Wahlmöglichkeiten zwischen Pest und Cholera: Kugelstoßen oder Schlagballweitwurf, Weitsprung oder Hochsprung. Hochsprung – ha! Bin ich ein Pferd? Ich kann nicht hoch springen, und der von den Lehrern präferierte Fosbury-Flop gestaltete sich unter meinen – mit mehrfacher Verweigerung wie beim Springreiten – angsterfüllten Versuchen zum ganz persönlichen Flop, denn ich floppte hervorragend beim Hochsprung, nur nicht Fosbury … Außerdem bin ich eh der Typ, der mit dem Hintern bisweilen das einreißt, was er vorne aufgebaut hat und sich dann erleichtert und ungläubig umdreht. Hochsprung fiel flach. Es blieb daher nur das vermeintlich geringere Übel – der Weitsprung. Allerdings machte auch der keine Freude, und ich stand bei den Bundesjugendspielen während der Wartezeit – denn die BuJu-Spiele bestehen zum größten Teil aus Warten, Warten auf die nächste Blamage in meinem Falle – nicht selten an der Weitsprunggrube und starrte hinein, als handelte es sich um mein eigenes Grab. Nur einmal war ich erheblich besser im Weitsprung, bei dem ich sonst gerne mal übertrat oder nach der Landung überflüssigerweise und sehr unelegant nach hinten kippte und mit dem Hintern dann meine mit den Füßen eigentlich erreichte Weite drastisch minderte. Denn da hatte meine Englischlehrerin Dienst als Messpersonal an der Weitsprunggrube. Nicht nur, dass sie mich begeistert und lautstark in ihrer lebhaften Art anfeuerte, als ich losrannte wie eine bleierne Ente, was mir tatsächlich etwas Auf- oder besser Vortrieb gab – da glaubte jemand an mich! Und nicht nur das! Ich erreichte bis dato nie erzielte Weiten! Frau F. schwor Stein und Bein, ganz korrekt gemessen zu haben, als ich sie hinterher in einer Minute der Ablenkung fragte … Danke, Frau F. – Ihre „ganz korrekten“ Messungen habe ich Ihnen nie vergessen, wie ich Sie auch nie vergessen habe.
Dann ging es ans Kugelstoßen, und noch heute bin ich verwundert, dass ich mir dabei nicht die Zehen gebrochen habe, denn die Kugel landete nie so sehr weit von meinen Füßen entfernt – zumindest beim vorherigen Üben. Immerhin schaffte ich es bei den entscheidenden Stößen dann über den weißen Balken hinaus und verließ – so die Regeln – den Kreis auch „kontrolliert nach hinten“, obwohl ich beim allerersten Versuch beinahe mitsamt Kugel nach vorne gerissen worden wäre, die ich irgendwie nicht so recht hatte loslassen wollen … 😉 Und wie schnell ich diesen Kreis immer kontrolliert nach hinten verließ! Denn die Zuschauer lachten sich immer scheckig, wenn sie mich mit dieser sperrigen, schweren Kugel hantieren sahen – erst recht, wenn dann das Ergebnis verkündet wurde. Pein und Schmach!
Einmal kam meine adlige Sportlehrerin zu mir, meinte: „Ali, Kugelstoßen ist nicht deine Disziplin – warum wirfst du nicht Schlagbälle?“ Ich sah sie an und meinte: „Das kann ich auch nicht. Wenn ich werfe, sollte sich lieber niemand in meiner Umgebung aufhalten – schon gar nicht hinter mir.“ Sie lachte, aber sie hatte mich auch noch nie Schlagbälle werfen sehen. Wäre die maximale Höhe bei meinen Würfen gemessen worden, hätte ich sicherlich eine Siegerurkunde bekommen, aber hier ging es ja um Weite … 😉 Zugegeben, es hatte mir auch nie einer der Vorgänger Frau von W.s die richtige Technik gezeigt. Vielleicht hätte das Abhilfe schaffen können.
Bei den nächsten BuJu-Spielen dachte ich mir: „Du versuchst es mal mit dem Schlagball – schlimmer als Kugelstoßen kann das nicht werden. Gelacht wird sowieso, wenn du wirfst.“ Und da hat mir dann eine Mitschülerin, die im Leichtathletikverein war, vorher die richtige Technik gezeigt. Siehe da: Ich konnte werfen! Zwar reichte es nicht für eine Urkunde, aber keiner lachte! Und ich hatte wirklich weit geworfen. Cool! Eine gänzlich neue Erfahrung – nur leider von keinem meiner Sportlehrer erzeugt.
Und das ist für Menschen wie mich schon ein Erfolg, denn wenn man ohnehin nicht so sicher in bestimmten Sportarten ist, sind Gelächter, Hohn und Spott keineswegs so „charakterstärkend“, wie dieser Tage diverse Eltern in Reaktion auf die Petition der eingangs genannten Mutter in diversen Foren ganz pauschal behaupten, was ohnedies schon eine Frechheit ist. Was hat das Leiden unter Ausgelachtwerden mit einem zu stärkenden, da vermeintlich schwachen, Charakter zu tun? Vielleicht sollte der Charakter der Auslachenden und Spottenden mal eher gestärkt werden, denn motivierend wirkt sich das auf die weniger Begabten ganz und gar nicht aus, und Hohn ist noch nie ein Zeichen eines starken Charakters gewesen.
Dennoch bin ich nicht dafür, diese alljährlich stattfindenden „Spiele“ abzuschaffen. Vielmehr sollten sie etwas reformiert werden. Entweder auf freiwilliger Basis stattfinden, oder man bietet ein paar andere Sportarten und ein breiteres Spektrum an, denn nur, weil man leichtathletisch eine Niete ist, muss man nicht in Gänze völlig unsportlich sein.
Der Aufschrei vieler Eltern gegen die Petition ist beeindruckend, und ich habe noch nie so viele Forumsschreiberlinge gesehen, deren Lesekompetenz Lücken aufweist. Und noch nie habe ich so oft oben genanntes verkürztes und fehlerhaft interpretiertes Zitat gelesen. Vielleicht sollte man ja auch einmal einen zwangsverpflichtenden Lesewettbewerb an Schulen einführen. Oder einen Mathe- oder Englischwettbewerb. Quasi ein Pendant zum Zwangswettbewerb der BuJu-Spiele. Den Aufschrei möchte ich dann aber nicht hören … 😉
Und ansonsten: Bewegt euch, macht Sport, wie es euch gefällt – aber bewegt euch! Körperlich, aber auch geistig. 🙂