Es gibt Tage, an denen irgendwie alles schräg und falsch läuft. Es regnet, hagelt – und dazu Sturmböen. Gestern hätte mein Regenschirm mich auf dem kurzen Stück von der Straßenbahnhaltestelle bis zu meiner Wohnung noch beinahe verstümmelt. Als hätte ich in den letzten Tagen nicht schon genug Stress gehabt!
Nein, auf dem kurzen Stück von der Haltestelle bis ins traute Heim musste sich auch noch mein Schirm im wahrsten Sinne des Wortes gegen mich wenden! Ich kämpfte gegen besagte Sturmböen und sintflutartigen Regen an, und das mit einem kleinen Schirm – David gegen Goliath -, auf dem in allen Grundfarben der Schriftzug: „Don’t worry, be happy!“ steht. Das Unangenehme an Sturm und böigem Wind ist, dass man bisweilen in eine Art Luftloch gerät, ergo in eine Flaute. Man wähnt sich kurzzeitig in Sicherheit – und da haut es einem auch schon den Schirm um die Ohren, da die nächste Bö umso heftiger und in diesem Moment unerwartet von der Seite, von oben, eigentlich aus allen Richtungen über einen hereinbricht. So ging es mir gestern nach einem weiteren Tag voller Stress. Mein Schirm, genauer: dessen Stiel schlug mir mit voller Wucht neben das linke Auge – die Stelle ist jetzt noch leicht geschwollen, aber zum Glück habe ich kein Veilchen, denn sonst hätte eine meiner Kolleginnen ihre helle Freude und würde sicherlich das Gerücht verbreiten, ich sei verprügelt worden. Der Kollegin, sie ist bekannt dafür, gebricht es an einem eigenen, zufriedenen Leben, und sie liebt es, Gerüchte zu verbreiten. Ich wollte dazu aber nicht unbedingt über Gebühr beitragen, und so war ich froh, dass mein Schirm mich nicht allzu sehr gebrandmarkt hat. Aber es war gut, dass mir im Moment der Schirmattacke und auch kurz danach niemand begegnete, der irgendwelche Anmerkungen, Einwände, Bedenken hatte – ich weiß nicht, was dann passiert wäre. Ich glaube fast, meine normalerweise sehr ruhige, beherrschte und gelassene Art wäre mir verlustig gegangen.
Der Tag heute war nicht erheblich besser. Gegen Mittag verließ ich mein Büro, um in eine der Nachbarstädte zu fahren, um dort an der Uni meine Seminare zu leiten. Der Bus fuhr pünktlich, die Straßenbahn, in die ich umsteigen musste, war auch zur per Fahrplan angegebenen Abfahrtszeit bereit – ich war höchst zufrieden. Das ist ja auch nicht selbstverständlich. Als Pendler ist man Kummer gewohnt.
Ich ergatterte sogar einen Einzelsitzplatz. Ich bin normalerweise kein unkommunikativer Mensch, aber in öffentlichen Verkehrsmitteln sitze ich aufgrund diverser Erfahrungen doch lieber allein, denn einmal war mein Sitznachbar dauernd eingenickt und hatte dabei seinen Kopf mit bemerkenswert fettigen Haaren stets vertrauensvoll an meine Schulter geschmiegt – und ich hatte eine neue Winterjacke an! Ein weiteres Mal hatte sich auf einem Zweiersitzplatz ein Mensch neben mich gesetzt, dem die Benutzung fließenden Wassers und Seife völlig unbekannt zu sein schien, ebenso die Institution Zahnbürste nebst –pasta. Bah! Ich erinnere mich, fast in die Innenwand der Straßenbahn hineingekrochen zu sein, um dem Hautgoût zu entkommen – es war einfach nur ekelhaft. Dauertelefonierende Sitzpartner sind auch nicht sonderlich erbaulich, speziell dann, wenn jeder Satz, den sie absondern, mit: „Also, ich sag mal so …“ beginnt und sie sich – noch schlimmer – dann während des sehr emotional geführten Telefonats derart ereifern, dass sie Verbalinjurien ausstoßen und sich derart echauffieren, dass auch ihre Gestik ihrer emotionalen Grundstimmung Folge leistet und man ständig Gefahr läuft, einen Schlag in die Fresse zu bekommen. (Excuse my French!) Auch sind Sitzpartner, die bereits morgens um 9 eine veritable Fahne vor sich hertragen und einen mit bemerkenswerten Zahnlücken bewehrt angrinsen und gleich die nächste Flasche Bier aus dem schmuddeligen Rucksack ziehen, die sie mit den verbliebenen Zähnen öffnen, während sie sich mit ihrem gleichgearteten Kumpel darüber unterhalten, dass ja ein anderer guter Kumpel neulich schon wieder jemanden niedergestochen habe, der noch jetzt im Krankenhaus mit dem Tode ringe. Aber Schwund sei halt überall. Dummerweise habe der ansonsten total gutmütige Messerstecher, der ja bisher nur dreimal wegen gefährlicher Körperverletzung und einmal wegen Totschlags im Bau saß, nur kurz nach der diesmaligen Entlassung aus selbiger Institution die Beherrschung verloren, aber völlig zu Recht, weil der Kontrahent „Du Blödmannsgehilfe!“ zu ihm gesagt habe. Oder war es „Gesichtselfmeter“? Und das, als der Ex-Knacki (in spe) dessen Freundin angefasst habe – soll sich nicht so anstellen, die doofe Ische auch nicht, die gleich Mord und Brand geschrien hatte. Auf alle Fälle total ungerecht, dass „den Jupp“ nun schon wieder eingefahren sei – zum Glück aber habe er einen guten Verteidiger, der ihn auch schon die letzten Male schnell aus dem Knast geholt habe, und der fast Abgestochene sei das alles ja wohl „selbst in Schuld“. Nee, danke. Ich sitze doch lieber einzeln.
Heute gab es auf der Fahrt gen Hauptbahnhof eine Türstörung. Eine bis dato funktionsfähige Tür der Tram weigerte sich, sich zu öffnen, und der Fahrer riegelte diese mit einem Schlüssel ab. Ein anderer Mitarbeiter der Straßenbahngesellschaft, den ich von verschiedenen Fahrscheinkontrollen kenne, klebte während der Weiterfahrt zwei Schilder an die Tür, eines nach innen, das andere nach außen gerichtet, die – eher piktogrammartig und ohne Worte – sehr deutlich anzeigten, dass die Tür unbenutzbar sei. Sicherheitshalber blieb er jedoch dahinter stehen.
Und das war auch gut so. Denn an allen folgenden Haltestellen standen Leute vor just der unbenutzbaren Tür, wedelten mit ihren Händen vor den Bewegungsmeldern außen, die im Normalfalle den Türöffnungsantrieb auslösen, während von innen der Straßenbahn-Mitarbeiter heftig gestikulierte, sie sollten die nächste Tür benutzen. Doch die Leute starrten stumm auf der ganzen Tür herum … Sie starrten vor allem stupide. Einige meckerten, das sei wieder typisch für diese Verkehrsgesellschaft. Keiner ging einfach zur nächsten Tür. Wie die Schafe standen und starrten bzw. blökten sie herum. Bis dann doch der Groschen fiel …
Nach der dritten Haltestelle in Folge, da dies so lief, platzte dem Straßenbahnmenschen der Kragen. Er regte sich lautstark auf: „Mein Gott – die Mehrheit der Menschen ist einfach nur doof! Es könnte hinter dieser Tür brennen, und dennoch würden sie genau hier einsteigen wollen! Ich hasse meinen Job! Es sind so viele Doofe unterwegs!“
Vor meinem geistigen Auge entstand das von ihm heraufbeschworene Szenario, und angesichts der dumpf daherblickenden Menschen, die direkt vor den Klebeschildern der sich nicht öffnenden Tür standen und weder wankten, noch wichen, brach ich in helles Gelächter aus.
Der Straßenbahn-Mann freute sich: „Wenigstens eine hier, die fröhlich ist und lacht! Sie hätten garantiert auch sofort kapiert, dass Sie hier nicht einsteigen können.“ – „Ich hätte sicherlich nicht so lange an dieser Tür ausgeharrt, das stimmt. Und ich lache, weil Sie das so lustig formuliert haben. Sie haben ja recht!“
Da lachte er auch, und als wir beide am Hauptbahnhof ausstiegen, wünschte ich ihm noch einen schönen Tag. Er meinte: „Schauen wir mal. Aber vielen Dank für Ihr Lachen – das hat mir jetzt den Tag gerettet.“ – „Und Ihr Kommentar mir meinen.“
Es sind manchmal die kleinen Dinge, die einen blöden Tag retten oder zumindest erhellen können. 🙂