Honey’s gone …

Nein, ich will damit keineswegs andeuten, dass mir der Honig für mein Frühstücksbrötchen ausgegangen sei, denn erstaunlicherweise habe ich immer Honig im Haus (Wald- oder Tannenhonig, also das, was doppelt vorverdaut wurde, ergo zunächst von verschiedenen Arten sogenannter „Schnabelkerfe“ – ich liebe dieses Wort – wie zum Beispiel Blattläusen ausgeschieden und dann von Bienen aufgenommen, verarbeitet und erneut ausgeschieden … nun gut…), wenn auch keine Frühstücksbrötchen, da ich, wenn überhaupt, nur am Wochenende zu Hause frühstücke. Honig ist aber immer da.

Nein, hier geht es um etwas ganz anderes. Ich bin ja recht gern in sozialen Netzwerken unterwegs, derzeit hauptsächlich in einem, das mir auch gut gefällt, und nein: Es handelt sich nicht um Facebook, wo ich wahrscheinlich nur unter Androhung roher Gewalt einen Account einrichten würde. Doch auch in „meinem“ sozialen Netzwerk ist man nicht davor gefeit, von Knallchargen, Vollidioten und Schlimmerem angechattet zu werden. Denn natürlich gibt es eine Chatfunktion.

Ich werde, wie mein ältester und bester Freund – nennen wir ihn Fridolin – immer sagt, offenbar immer nur von Wahnsinnigen angechattet: „Ali, ich weiß nicht, warum, aber offenbar bist du ein Magnet für Irre.“ So sagte er erst neulich noch, und ich fragte mich entsetzt, ob es vielleicht daran liegen könne, dass Gleich und Gleich sich gerne geselle. Aber ich glaube, das hatte er nicht gemeint. Er meinte zu mir: „Mach dir einen Spaß daraus. Das kann nämlich wirklich total lustig sein, wenn du den Idioten, die wahrscheinlich allesamt zur Nigeria-Connection gehören, wenn es nicht echte Irre sind, den totalen Bären aufbindest. Los – du hast doch Phantasie!“

Gut. Bis dato hatte ich die Idioten immer geblockt, die dann jedoch unter anderem Namen und anderer Identität erneut auftauchten. Aber in der Tat – es ist viel lustiger, wenn man Bekloppten die dollsten Dinge erzählt. Ich weiß, wovon ich spreche.

Denn kürzlich chattete mich „Joel“ an. Äußerst höflich stellte er sich mir als „Dr. Joel M[…]“ vor, und es sei ihm eine Freude, mit mir kommunizieren zu dürfen. Er sei 53, stamme aus New York, sei Chirurg und derzeit als Sanitätsoffizier im Dienste der UN in Afghanistan tätig. Er sei Witwer, seit seine Frau vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Der Verlust habe ihn beinahe umgebracht, weswegen er auch die Entscheidung getroffen habe, sich für die UN-Truppen zu verpflichten. Inzwischen aber habe er neuen Lebensmut gefasst, zumal da ja auch noch sein knapp sechzehnjähriger Sohn sei, der dringend eine weibliche Bezugsperson benötige, wie er, Joel, auch.

Eine wahrhaft herzzerbrechende und steinerweichende Geschichte, und ich drückte ihm auch gleich „my heartfelt sympathy“ aus. Wie er denn da just auf mich gekommen sei?

Er habe nach neuen Leuten gesucht, zumal sein bester Freund in just „meinem“ sozialen Netzwerk die Frau fürs Leben gefunden habe – beide hätten einen inzwischen zweijährigen Sohn. Er habe gesucht und sei dann auf mein wunderschönes Profilbild gestoßen. Das habe ihm so gut gefallen – da habe er mich einfach ansprechen müssen.

Ich grinste, obwohl ich mein Profilbild wirklich schön finde. Höflich bedankte ich mich für das große Kompliment, und schon ging es los mit einem wahrhaft spannenden Chat. „Joel“ war ganz hin und weg von meiner Erscheinung, ich wurde mit Komplimenten überhäuft. „Dear“ war eines der meistgenannten Wörter, wobei er „honey“ für mich zu bevorzugen schien. Dagegen habe ich gar nichts; „baby“, „sweetheart“ oder gar „sweetie“ hätte ich schlimmer gefunden. Ich bin bekanntermaßen anglophil, und bei meinem Erstbesuch meiner amerikanischen Verwandten in Seattle war ich oft mit „honey“ angesprochen worden, was ich eigentlich ganz okay und nett fand. Aus dieser Zeit stammt auch „Ali“, weil die wenigsten Leute dort mit meinem eigentlichen Namen etwas anfangen konnten, aber „Ali“ mag ich.

Nun ja. „Honey“, also ich, chattete mit einem Fake, und das machte wirklich Spaß. Besonders amüsant wurde es, als ich gefragt wurde, wie ich denn lebte. Ich berichtete sehr plastisch, in einem „lovely mansion“ zu leben, das mir gehöre. Ergo in einer Villa. Auch hatte ich wie durch Zauberhand drei Domestiken: eine „maid“, einen „chauffeur“ und einen „gardener“, ergo ein Dienstmädchen, einen Fahrer und einen Gärtner, denn natürlich gehörte zu meinem „mansion“ auch ein wundervoller Garten mit prachtvollen Blumen – sogar einen kleinen Pavillon gab es! Und natürlich sei meine Villa gespickt mit wertvollen Gemälden. Wie er denn in Amerika lebe?

Oh, er habe eine Burg von seinen natürlich längst verstorbenen Eltern (Florence und Benedict) geerbt! (Ich brach vor meinem PC vor Lachen beinahe zusammen, denn er hatte zuvor erzählt, in Brooklyn beheimatet zu sein …) Ich fragte rück, wie das denn gehe: eine Burg mitten in Brooklyn! Da wurde er etwas ungehalten und erklärte mir, es handle sich um eine mittelalterliche Festung. (Ich spie beinahe den Tee, den ich gerade im Mund hatte, auf meine Tastatur, aber das hätte mein Laptop ernsthaft beschädigen können, und so beherrschte ich mich.) Eine mittelalterliche Festung! In Amerika! Als er mit meiner Hilfe bemerkte, dass das nicht stimmen könne, lenkte er ein und behauptete, ich hätte seinen Test bestanden: Er wolle ja nur eine intelligente und gebildete Frau, und die meisten Frauen würden gar nicht merken, dass das mit dem Mittelalter in Amerika gar nicht stimmen könne. Ja, klar. (Obwohl ich inzwischen glaube, dass tatsächlich nicht wenige Frauen darauf hereinfallen würden …)

An dieser Stelle musste ich den Chat dann auch leider abbrechen, denn soeben kam mein Dienstmädchen mit dem Tee, selbstredend in einem silbernen Teeservice, und auch der Besuch meiner Maniküre stand bevor. Ebenso der meines Gärtners. Bei der Erwähnung des Gärtners wurde „Joel“ dann etwas ungehalten, denn er vermutete, der Gärtner könne anderes im Schilde führen, als nur mit mir über die Überwinterungsmaßnahmen meiner edlen Teerosen – natürlich eine eigene Züchtung, da die Rosenzucht zu meinen vielfältigen Hobbys zählt – zu sprechen. Ich beruhigte ihn und meinte, es gehe wirklich nur um die Rosen. Das würde er doch sicherlich verstehen, da er, wie angegeben, Rosen neben seinem Sohn und seiner dahingeschiedenen Ehefrau (von den Philippinen stammend) auch über alles liebe.

Am nächsten Tag ging es weiter … Inzwischen besaß ich sogar eine Yacht, zu der ich stets mit meinem Bentley gebracht werde, da mir ein Rolls-Royce zu ordinär erscheine („Every Tom, Dick and Harry has a Rolls!“). Mehrere Pferde, unter anderem Rennpferde, waren mir eigen, und ganz nebenbei züchtete ich Windhunde (Greyhounds). Außerdem hatte ich in meiner Villa einen echten Steinway-Konzertflügel, auf dem ich geneigten Hörern „every now and then“ ein kleines Konzert darbrächte.

„Joel“ schrieb, auch er wolle dazugehören – ich sei die Frau seines Lebens. So gebildet und weltläufig! Genau das Richtige für ihn und seinen Sohn Alex, dessen Alter zwischen 16 und 18 „every now and then“ changierte, ebenso wie sein Wohnort (USA oder Großbritannien, beide Male Internat).

Fotos gab es auch von ihm. Ich muss gestehen, dass ich, als ich sie sah, dachte: „Schade, dass das alles ein Fake ist!“ Denn, ich bin ganz ehrlich, den Typen auf den Fotos würde ich nicht unbedingt von der Bettkante schubsen. 😉 Aber per Google-Bildersuche lässt sich leicht herausfinden, wessen Fotos das wirklich sind bzw. ob die noch anderweitig genutzt wurden. Und siehe da: Es handelt sich bei dem wirklich reizvollen Menschen – zumindest auf einigen Fotos – um einen amerikanischen Hypnotherapeuten, einen Hypnosespezialisten. Offenbar haben die Angehörigen der Nigeria-Connection, mit denen ich chattete, dessen Bücher auch gelesen. Denn – ich muss es zugeben – das Gesülze, das sie von sich gaben, schmeichelte schon ein wenig, auch wenn ich Sorge um mein Laptop hatte, das bei all dem Schmalz, das da bemüht wurde und quasi aus dem Rechner troff, ernsthaften Schaden hätte nehmen können. Die Fotos des wahrscheinlich völlig ahnungslosen Hypnotherapeuten scheinen übrigens sehr beliebt bei Scammern zu sein, wie man die Menschen nennt, die arglosen Mitmenschen einen gigantischen Bären aufbinden und Liebe vorgaukeln, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Einen Vorteil hat das Ganze in jedem Falle, vor allem, wenn man weiß, womit man es zu tun hat: Die tollen Komplimente stärken das Selbstbewusstsein. 😉

„Joel“ macht sich gerade große Sorgen um mich. Denn ich melde mich gar nicht mehr. Klar, ich schreibe ja auch gerade diese Glosse hier. Er möchte ganz dringend wissen, ob es mir gut gehe, da er mich so sehr liebe und direkt nach seiner für Februar zu erwartenden Pensionierung heiraten möchte … Ich muss zugeben, dieses ewige „Plong“-Geräusch meines Rechners, wann immer eine Nachricht eingeht, nervt inzwischen. Vielleicht sollte ich ihm mitteilen, dass mein Gärtner mir gerade einen Heiratsantrag gemacht habe. Ich glaube, das mache ich! 😉

Lieber Fridolin – vielen Dank! Es macht wirklich großen Spaß, Idioten zum Besten zu halten. Aber irgendwie fehlt mir derzeit mein Dienstmädchen mit dem Tee! Zu dumm, ich habe ihm heute frei gegeben …

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.