Achtung! Hörnchenalarm!

Schon sehr oft ist mir aufgefallen, dass manche Tierarten grob unterschätzt werden. Kaninchen, zum Beispiel. Die sehen in der Tat einfach nur putzig aus mit ihren riesigen Augen und langen Ohren, dem albern anmutenden Schwanz, den langen Hinterläufen, auf die sie sich oft stellen und „Männchen machen“, um Ausschau zu halten, wobei die beiden Vorderläufe quasi völlig nutzlos an ihnen herabhängen. Und schon ihre Art, sich fortzubewegen, wirkt kolossal albern. Wer je gesehen hat, wie sich ein Kaninchen die Ohren, auch „Löffel“ genannt, putzt, wird diese Tiere ohnehin nie wieder hundertprozentig für voll nehmen können, da gerade diese Tätigkeit besonders niedlich aussieht, wenn das kleine Tier das Köpfchen schieflegt und mit beiden Pfoten den jeweiligen „Löffel“ nach unten und langzieht und dann daran herumfuhrwerkt. Droht Gefahr bzw. scheint aus ihrer Perspektive „periculum in mora“, trommeln Kaninchen mit den sehr kräftigen Hinterläufen auf den Boden, dass es nur so kracht. Mein von mir sehr geliebtes, leider im letzten Jahr aufgrund von Altersschwäche im Alter von über zehn Jahren verstorbenes Zwergkaninchen „Muffin“, ein sehr liebenswerter, schwarzweißer kleiner Geselle, hatte sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, mich immer wieder vor dräuender Gefahr, ergo Gewitter, einem zu Besuch weilenden Hund oder meinem Ex-Freund zu warnen, den er überdies mehrfach wohl aus Abneigung in den großen Zeh gebissen hat – er trommelte immer, als wolle er im nächsten Leben die Tätigkeit eines Tambours einnehmen. Ich wusste dies durchaus zu schätzen, denn er wollte mich schützen, und in zumindest einem der genannten Fälle hätte ich wohl wirklich lieber auf die Warnungen des treuen Tieres gehört. Nein, ich meine nicht das Gewitter, und auch der Hund war ein freundliches Tier, das hinterher Nase an Nase mit dem kleinen „Muffin“, wenn auch durch das Käfiggitter getrennt, dalag (gut, ohne das Gitter hätte ich mir das Ganze auch lieber nicht vorgestellt, aber mit dem Gitter waren sie hinterher beste Freunde).

Wie es „bei Karnickels“ wirklich abgeht, dass da unter anderem gnadenlose und blutige Kämpfe um die Rangfolge oder Vorherrschaft ablaufen, will niemand wirklich wissen – zu niedlich sind die kleinen Kerle, die im Grunde das sogenannte Kindchenschema nie so ganz ablegen. Es liegt wohl an den riesigen Kulleraugen und eher runden und weichen Formen dieser Tiere.

Ähnliches ist von Hörnchen zu berichten. Auch diese, hierzulande vornehmlich als Eichhörnchen präsent, sehen von der Wiege bis zur Bahre einfach nur süß aus, und es grenzte an Frevel, auch nur in Erwägung zu ziehen, diese kleinen Sympathieträger mit den großen Augen könnten irgendjemandem ein Leid antun. Abertausende Singvögel wüssten, würden sie eine dem Menschen verständliche Sprache sprechen, anderes zu berichten, vom Verlust ihrer noch im Ei befindlichen Kinder oder aber der bereits ausgebrüteten Nestlinge, aber es gibt da eben diese babylonische Sprachbarriere. Nein, Hörnchen sind einfach nur putzig, und was putzig ist, kann doch nichts Böses tun. Oder?

Ich weiß von Hörnchen anderes zu berichten, denn ich wurde einst Opfer einer Bande von Wegelagerern, ein wehrloses Opfer echter Krimineller. Genauer: von Bandenkriminalität reinsten Weihwassers!

Mit meinem ältesten und besten Freund – wir nennen ihn bekanntermaßen Fridolin – war ich 1994 über Weihnachten in London, einem meiner Lieblingsorte hier in Europa und überhaupt. Es war klirrend kalt, hatte gefroren – herrlichstes Winterwetter mit Sonnenschein. Und so suchten wir den Hyde Park auf, besuchten dabei auch Kensington Gardens. An einer besonders pittoresken Stelle blieben wir stehen und erfreuten uns an dem Szenario, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel vielfältige Bewegung aus allen möglichen Richtungen wahrnahm: wellenförmig wirkende Bewegung. Aus allen Richtungen eilten Hörnchen herbei! Genauer: Grauhörnchen, jene nordamerikanische Spezies, die sich hier seit ihrer Einführung in Europa immer breiter macht und das uns allen bekannte rothaarige Europäische Eichhörnchen mit den albernen Haarbüscheln auf den Ohren mehr und mehr verdrängt. Diese grauen und ohrbüschellosen Hörnchen kamen von überall her herbeigeeilt, als hätten sie sich verabredet – wahrscheinlich hatten sie das auch! -, und die wellenförmige Charakteristik ihrer Bewegung wurde durch ihre buschigen Schwänze erzeugt.

Ich rief – noch völlig ahnungslos – begeistert: „Sieh mal, Fridolin! Die niedlichen Hörnchen! Sie kommen alle zu uns! Meine Güte, sind die zahm – die haben ja gar keine Angst!“ Weit gefehlt! Angst? Das kannten die Tiere nicht, aber mir wurde kurz darauf angst und bange, als die vermeintlich niedlichen kleinen Gesellen auch schon direkten Kurs auf uns nahmen und, ohne lange zu fackeln, an meinem wollenen Wintermantel in Dunkelgrün hochkletterten.

Sofort wurde ich gefilzt! Und das gründlicher, als jeder Zollbeamte das tun würde. Man blickte in die Manteltaschen, wühlte darin herum, blickte in beide Ärmel – es hätten Nüsse oder sonstige Leckereien dort gebunkert sein können. Man blickte sogar in meinen Kragen! Ich fühlte mich nicht wohl – diese Tiere haben sehr lange und spitze Krallen. Und ich hatte nichts dabei, das man ihnen hätte anbieten können. Höchstens Geld und Zigaretten, aber beides war für die Tiere uninteressant. Als man am und im Mantel nicht fündig wurde, blickte eines der Hörnchen sogar in mein rechtes Ohr und zog am dort befindlichen Ohrring. Aua! Meine Umhängetasche wurde, da sie von den Hörnchen nicht geöffnet werden konnte, mit bösen Blicken bedacht und grobmotorisch daran herumgezerrt,  während Fridolin, den sie weitgehend ignorierten, sich halbtot lachte. Ich hingegen überlegte, wann meine letzte Tetanusimpfung sich zugetragen habe – möglicherweise würden die Hörnchen sich rächen, wenn sie bemerkten, dass bei mir nichts zu holen sei.

Zum Glück fiel mir dann ein, dass ich in der Tasche einige „saltine crackers“ hatte, gesalzene Cracker. Die holte ich rasch heraus, wobei eines der Hörnchen mir aus einem Meter Entfernung und von einem schmiedeeisernen Gitter direkt auf die Brust sprang, als es sah, dass ich etwas Essbares dabei hatte. Mein Schrei war sicherlich bis New Scotland Yard zu hören, und das Hörnchen sprang angewidert und erschrocken ob des bemerkenswert lauten und schrillen Geräuschs, von dem ich selber nie geglaubt hätte, es äußern zu können, auf den Boden und sah mich vorwurfsvoll und mit einer gewissen Strenge an. Ich hingegen verhielt mich wie der Pfarrer in einer katholischen Messe und verteilte meine „Hostien“. Doch viel zu langsam für die Hörnchen, die sich zu meinen Füßen drängelten und mir die Gaben brutal aus der Hand rissen, um sie in Sekundenschnelle und im „Rasenmäherverfahren“, eine Reihe hin, die nächste zurück, aufzufressen, um erneut ungeduldig vor mir zu stehen und an meinen Schnürsenkeln zu zerren. Das kleinste Hörnchen, das offenbar noch in der Ausbildung war, verlor das ihm zugedachte Stück an eine Krähe, die aus der Luft darauf herabstieß und es dem kleinen Hörnchen aus der Pfote riss. Rasch reichte ich ihm einen neuen Cracker, aber es sah mich nur geringschätzig an, als es mir die Gabe aus der Hand riss. Dass es nicht vor mir ausspuckte oder mir gegen das Schienbein trat, wundert mich noch heute.

Als die Crackerpackung leer war, rannten Fridolin und ich fast um unser Leben …

Offenbar passen sich die roten Hörnchen hierzulande inzwischen an. Die waren früher ganz gewiss nie so dreist wie heutzutage – da bin ich ganz sicher. Kürzlich stellte sich mir ein solches Hörnchen breitbeinig in den Weg, als ich morgens zur Straßenbahn rannte und einen kleinen Seitenweg in abkürzender Absicht nutzte, den das Hörnchen wohl als sein Revier betrachtete. Es stand dort und schimpfte laut und unflätig – zumindest klang es nicht nett. Eine Amsel kam ihm zu Hilfe und schrie mich ebenfalls laut und böse an. Ich musste die beiden leider völlig ignorieren – ich war spät dran. Sie sprangen im letzten Moment auch zur Seite, als ich einfach weiter rannte. Jedoch ein eindeutiges Zeichen: Die Natur schlägt zurück. 😉

Und vorgestern saß ich arglos an meinem Rechner im Wohnzimmer, die Balkontür geöffnet, da ich rauche, dabei aber gerne Tür und Fenster geöffnet habe. Ich tippte gedankenverloren einen Text vor mich hin, als ich aus dem rechten Augenwinkel etwas über den Balkon huschen sah. Kein Problem – es gibt viele Singvögel hier, und ich werde oft von Meisen, Amseln, aber auch einem Eichelhäher besucht. Neulich sogar einer Elster, die gegen die Fensterscheibe der Balkontür klopfte. Es war sicherlich wieder einer dieser freundlichen Gesellen.

Wie erstaunt aber war ich, als ich ein scharrendes Geräusch von der Tür her wahrnahm und, als ich hinsah, ein kleines, rothaariges Kerlchen mit pinselartigen Haarbüscheln auf den Ohren sah, das sich gerade anschickte, ins Wohnzimmer zu kommen! Die beiden kleinen Vorderläufe hatte es bereits ins Innere der Wohnung gesetzt und war schon dabei, auch noch den Rest hinterherzuschieben. Behüte! Ein Eichhörnchen in der Wohnung! Ich sah bereits abgerissene Tapeten, aus den Regalen gerissene und in blinder Wut und Panik zerfetzte Bücher vor mir, und so schrie ich das arglose, aber dreiste Tier an, und es floh die Hauswand hinab. Beachtlich, wie diese Tiere klettern können! Und das in Eile und mit dem Kopf voran!

Ich muss mir dringend merken, die Fenster stets zu schließen, wenn ich gerade nicht im Raum bin. Nicht, dass ich eines Tages ins Schlafzimmer komme, wo ich gerade lüftete, und mein Bett ist bereits besetzt, und ein Eichhörnchen verweigert mir, mich selber hineinzulegen! Wie ich Hörnchen inzwischen kenne, wäre dies kein Wunder …

Und da beschweren sich manche Leute über die vermeintliche Dreistigkeit von Katzen! Ha!

2 Gedanken zu „Achtung! Hörnchenalarm!

  1. Sabine Heyer sagt:

    Almut!
    Balkontüren und Fenster wieder auf,
    ich brauch das Hörnchen!
    Immer schon wollte ich meiner Katze einen Spielgefährten in Form des roten und ohrbepuschelten Vertreters der Hörnchen schenken,
    die Leipziger Eichhörnchen waren aber in letzter Minute dann doch immer skeptisch geworden,
    wenn sie aus meiner Manteltasche heraus sahen,
    dass wir uns dem Ausgang des Claraparks näherten.
    Da halfen dann auch keine Nüsse mehr,
    die ich vorher eigenhändig und mit viel Liebe für sie geknackt hatte.
    Vielleicht wären Salzcracker nötig gewesen,
    damit sie mit zu mir gekommen wären …

    Wie auch immer,
    ich wittere eine neue Chance,
    was meinen Plan angeht
    und zähle jetzt ganz auf dich.

    Du schaffst das, Almut!

    Charlotte und ich freuen uns schon auf das Hörnchen.

    😉

    • ali0408 sagt:

      Liebe Sabine,

      ich werde, da ich ein sehr tierlieber Mensch bin, dem roten Hörnchen alsbald einige Nüsse hinlegen, die es dann – bei geschlossener Balkontür – gerne fressen darf. 😉 Ich werde ihm gewiss keinen Zutritt zur Wohnung gewähren, nachdem ich neulich in der WAZ las, in Dortmund habe die Feuerwehr ausrücken müssen, nachdem ein Eichhörnchen in eine Wohnung eingedrungen war, sich in der Küche hinter der Küchenzeile verschanzte und sich weigerte, freiwillig seine „Festung“ wieder zu verlassen. Die Feuerwehr musste die ganze Küchenzeile abmontieren, um das Tier zu bergen. Von erneuter Montage stand nichts zu lesen – ich vermute, die Wohnungsbesitzer mussten das selber vornehmen. Also – lieber kein Hörnchen in der Wohnung. Ich entschuldige mich an dieser Stelle auch schon einmal bei Charlotte. 😉

      LG,
      Almut

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