Wie? Wir haben eine Blaue Tonne?

Zugegeben, die Frage liest sich total blöd, aber ich kam heute nach Hause und sah voller Staunen, dass sich neben die normale Hausmülltonne und die Gelbe Tonne noch eine dritte Abfalltonne in die an dieser Stelle nach hinten versetzte und liebevoll gepflegte wie mit der Wasserwaage geschnittene Hecke schmiegte, die die gesamte Wohneinheit säumt: Ihr Deckel war blau. Ja, ich weiß auch, was es mit der Blauen Tonne auf sich hat. Es handelt sich um die Altpapiertonne. Lange bekannt. Immerhin hatte ich zwei dieser Exemplare in meinen vorherigen Wohnsituationen zwecks Leerung derselben in regelmäßigen Abständen entweder aus dem Keller die Treppe hinauf oder aus dem Hof hinter dem Haus auf die Straße wuchten müssen, immer bass erstaunt, wieviel Papierabfall meine Hausgenossen so produzierten: War etwa ein verkappter Schriftsteller darunter? Bei genauerer Betrachtung der Hausgenossen erwies diese Annahme sich jedoch als unbegründet, und auch ich gehöre nicht der schreibenden Zunft an.

Seit ich letztes Jahr im August umgezogen bin, habe ich bei uns jedoch weder vor, hinter, noch im Haus eine Blaue Tonne gesehen, während diese Behälter vor den Nachbargebäuden in schöner Eintracht neben den anderen beiden Gesellen für Haus- und Recycling-Abfall stehen, was mir auch recht praktisch erscheint. Verlässt man die traute Heimstatt, kann man sich gleich beim Weggehen jeglicher Druckerzeugnisse oder redundanter Wurfpost nebst anderem Papier bequem und in einem Aufwasch entledigen.

Nicht jedoch bei uns. Nein. Bei uns regiert „Johnny Controlletto“ höchstpersönlich! Als ich kurz nach Einzug nach dem Standort der Altpapiertonne fragte, verwies jener mich an eine Klappbox aus Kunststoff, die in der gemütlichen Atmosphäre des Winkels unter der Treppe ins Kellergeschoss steht. Dort könne ich mein Altpapier deponieren, welches er, der selbsternannte Hausvorsteher, dann höchstselbst im geeigneten Behälter verklappen werde – denn eine auf der Straße stehende Altpapier-Tonne würde doch nur dazu verführen, dass Passanten ihren Papier- oder sonstigen Müll hineinwürfen. Eine Regelung, die mir angesichts der sehr aufgeschlossenen Art des „Hausvorstehers“ a priori nicht sonderlich behagte, so dass ich Dinge, die nicht unbedingt für die Augen Dritter geeignet, auch wenn sie harmloser Natur sind, zunächst durch meinen Aktenvernichter jagte. Das war aber auch nicht richtig, denn in die Klappbox gehörten ja nur papierne Strukturen, die noch zur Gänze als zusammenhängende solche erkenn- und damit lesbar waren. Ergo Ganzkörper-Druckerzeugnisse. Ganzheitlichkeit ist ja heute allenthalben gefragt, hier offenbar auch beim Altpapier. Fortan verklappte ich vermeintlich zu Persönliches, wie zum Beispiel die letzten Urlaubsfotos meines Ex und meiner Wenigkeit, lieber an meinem Arbeitsplatz, indem ich es dort durch den Aktenvernichter jagte, der nach dem „Criss-cross-Verfahren“ arbeitet und Papier mit viel Verve und ebensolchem Lärm in kleine Stücke häckselt, statt es in lange Streifen zu schneiden, was mir speziell bei den genannten Urlaubsfotos ein befriedigtes Brummen und ein abschließendes Nicken à la Oliver Hardy entlockte, wenn er in seiner Rolle mal wieder Recht hatte oder zu haben glaubte. Nichts gegen Oliver Hardy – ich bin ein Fan von „Laurel and Hardy“-Slapsticks und raufe mir immer wieder, obwohl mir die Episode nebst Ausgang durch wiederholtes Ansehen bekannt ist, theatralisch die Haare, wenn ich mir „Der zermürbende Klaviertransport“ anschaue.

Doch zurück zur zermürbenden Altpapierentsorgung. Seit der Anmerkung, gehäckseltes Papier gehöre nicht in die Klappbox, sichtete ich meinen Papierabfall, als handle es sich dabei um Geheimdokumente mit dem Vermerk: „Persönlich! Vertraulich!“ Einmal ertappte ich mich dabei, dass ich einen „Real“-Wurfkatalog für die vor-vorhergegangene Woche einiger Seiten entledigte, in denen ich mit Kugelschreiber Kreuze an Produktausschreibungen angebracht hatte, die mich interessiert hatten, und mir diese Seiten in den Mund stopfte, um jegliche Beweise zu vernichten, nachdem unser selbsternannter Hausvorsteher mir nach arglosem Einwurf der Papp-Produktverpackung einer elektrisch betriebenen Zitruspresse in die Altpapier-Klappbox ohne Aufforderung dazu zwei Tage zuvor erklärt hatte, da hätte ich ja Geld verschwendet, denn er und seine Frau hätten im Vorjahre bereits schlechte Erfahrungen mit dem Gerät gemacht. Ich solle ihn bei geplantem Kauf derartiger Dinge doch besser demnächst zuvor befragen, ob der Kauf sich überhaupt lohne. Aber schön, mich mal wieder persönlich zu treffen, denn er und seine Frau hätten sich schon Gedanken um meinen Verbleib gemacht, nachdem sie meine Wohnung mehrere Tage unbeleuchtet gesehen hätten. Ob ich denn im Urlaub gewesen sei?

Ich werte vor diesem Hintergrund die Anwesenheit der Blauen Tonne vor dem Hause als Fortschritt. Gewiss, Ihr mögt darüber lachen, aber sollte sie, was ich zu hoffen nicht müde werde, dort tatsächlich stehenbleiben, bedeutet das den Sieg fortschreitender Unabhängigkeit. Oder dass mein Nachbar, der den ganzen Tag zu Hause ist, keine wirklich interessanten Dokumente mehr in der Klappbox vorfindet.

Und jetzt ist mir danach, Eric Clapton zu hören. „I Shot the Sheriff“ – ich liebe dieses Lied!

Für Elke H.
Wenn Ihr auch nicht wisst, wofür – sie weiß es. 😉